Europas Bischöfe rufen auf zur Wahl

Vernunft und Glaube gehören immer zusammen

Mehr Mitbestimmung, eine Mäßigung beim Fortschrittsdenken, der Blick auf die Armen und die Bewahrung der Schöpfung sind zentrale Themen des Aufrufs der Bischöfe zur Europawahl. Stefan Lunte von der Kommission der Europäischen Bischofskonferenz in Brüssel stellt den Aufruf vor.

Europawahl (dpa)
Europawahl / ( dpa )

domradio.de: Wenn ich dem Aufruf der Bischofskonferenz, christlich zu wählen, Folge leisten will, wo muss ich denn dann mein Kreuzchen bei der EU-Wahl machen?

Lunte: Die Bischöfe laden dazu ein, sich zu informieren und dann aus dem christlichen Geist heraus ein Kreuzchen zu machen. Aber sie haben es ja jetzt schon lange Jahre zur Tradition gemacht, nicht eine bestimmte Partei zu empfehlen. Das ist in Deutschland und in einigen anderen europäischen Ländern aus guten Gründen so, und das ist dann natürlich auf der europäischen Ebene nicht anders. Also: Keine konkrete Empfehlung für eine bestimmte Partei.

domradio.de: Es gibt ja auch einige kleine Parteien, die sich den christlichen Glauben auf die Fahnen geschrieben haben.

Lunte: Ja, die gibt es. Z.B. die Partei der bibeltreuen Christen oder die Partei Christliche Mitte. Das sind so kleine Parteien, die man kaum kennt. Andere Parteien sind eher bekannter, die größeren. Man sollte danach schauen, ob das Parteiprogramm und die Empfehlungen zu den Kompetenzen der Europäischen Union im Allgemeinen und zur Kompetenz des Europäischen Parlaments im Besonderen passen. Zum Beispiel gibt es Forderungen zum Verbot der Abtreibung. Das wird von vielen Parteien in Deutschland unterschrieben, andere wiederum möchten dieses Verbot nicht. Man muss genau hinschauen, ob solche Forderungen auf Ebene der EU überhaupt eine Relevanz haben. Das haben sie nämlich nicht, das ist eine ganz klar nationale Kompetenz. Es hat also keinen Sinn, mit so einem Ziel nach Brüssel zu ziehen, weil das auf der Ebene in Brüssel gar nicht entschieden wird.

domradio.de: Papst Franziskus hat ja gezielt davor gewarnt, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird. Haben Parteien denn überzeugende Konzepte, wie sie den sogenannten "neuen Armen" helfen können?

Lunte: Alle politischen Parteien in Europa und auch weltweit haben ein echtes Problem. Sie haben keine Antwort darauf, wie dem Phänomen der wachsenden sozialen Ungleichheit auf globalem Niveau begegnet und entgegengewirkt werden kann. Sie haben keine Lösung für das Problem, dass ein Prozent der Bevölkerung über Unmengen an Reichtum verfügt und die anderen trotzdem immer ärmer werden dabei. Früher dachte man noch, wenn die Reichen reicher werden, würden irgendwann auch die Armen reicher. Aber das stimmt nicht. Und darauf haben weltweit nur ganz wenige Parteien eine Atnwort. Auch da ist die Aufforderung von Papst Franziskus genau die Richtige, darüber nachzudenken, wie kann man eigentlich jenen ganz Armen helfen kann, damit sie an dem großen Reichtum der Welt auch teilhaben können.

domradio.de: "Nachhaltigkeit muss grundlegendes Prinzip aller Wachstums- und Entwicklungspolitik sein", fordern die europäischen Bischöfe. Dann wähle ich also christlich, wenn ich Parteien wähle, die sich den Umweltschutz ganz oben ins Wahlprogramm geschrieben haben?

Lunte: Ja, bestimmt, aber es gibt ja auch keine Partei, die gegen den Umweltschutz wäre. Irgendwann waren die Grünen da Vorreiter, aber heute ist der Umweltschutz ja in allen Parteien präsent. Worauf es dann ankommt, ist, wie konkret der Umweltschutz aussehen soll. Da muss man dann wieder in die Parteiprogramme  reinschauen.

domradio.de: Wichtig ist den Bischöfen auch, dass Europa nicht zur Festung wird, sondern menschenwürdig mit Flüchtlingen und Migranten umgegangen wird. Die Partei meines Vertrauens sollte sich also für eine offene und tolerante Flüchtlingspolitik einsetzen?

Lunte: Ja. Und auch für eine europäische Flüchtlingspolitik. Wir leben ja in einem großen gemeinsamen europäischen Raum, in dem wir Grenzen innerhalb Europas abgeschafft haben. Wenn das so ist, dann muss natürlich auch ein Land wie Deutschland, das in der Mitte ist und faktisch keine Außengrenzen mehr mit Nicht-EU-Staaten hat, bereit sein, am Schutz der Grenzen am Mitelmeer oder in Osteuropa teilzuhaben. Als Deutsche müssen wir mitwirken an einer europäischen Einwanderungsagentur. Eine menschenwürdige Behandlung von Migranten bei ihrer Einreise ist unverzichtbar. Ihre Menschenrechte müssen unbedingt geachtet werden. Schließlich müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um eine erfolgreiche Integration in die aufnehmenden Gesellschaften in der EU sicher zu stellen.

domradio.de: Der Aufruf der europäischen Bischöfe endet mit dem Satz: "Deshalb bitten wir Sie, aus dem Geist des christlichen Glaubens ihre Stimme abzugeben". Das heißt: Jeder muss selbst entscheiden, welches Kreuz auf dem Stimmzettel mit seinem Gewissen vereinbar ist?

Lunte: Zunächst informieren und dann aus dem Geist heraus die Stimme abgeben. Vernunft und Geist und Glaube gehören immer zusammen. Wenn man beides zusammen wirken lässt, dann entspricht man sicher dem Aufruf der Bischöfe.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Stefan Lunte / © privat
Stefan Lunte / © privat
Quelle:
DR