EuGH veröffentlicht Schlussanträge zu kirchlichem Arbeitsrecht

Chefarzt kündigen wegen Wiederheirat?

Wie ist das Diskriminierungsverbot der EU mit dem kirchlichen Arbeitsrecht in Deutschland vereinbar? Abermals beschäftigt die Frage die europäischen Richter in Luxemburg. In Deutschland beschäftigte der Fall bereits alle gerichtlichen Instanzen.

Autor/in:
Franziska Broich
Kirchliches Arbeitsrecht / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Kirchliches Arbeitsrecht / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Es geht um einen Chefarzt, der 2009 von einem katholischen Krankenhaus in Düsseldorf gekündigt wurde, weil er ein zweites Mal standesamtlich heiratete. Im Februar war der Europäische Gerichtshof in mündlicher Verhandlung damit befasst. Am Donnerstag nun veröffentlicht Generalanwalt Melchior Wathelet seine Schlussanträge. Sie sind richtungsweisend, aber nicht bindend für die Richter, die in einigen Wochen ihr Urteil bekanntgeben.

Der Streit hängt mit dem Sonderstatus der Kirchen im deutschen Arbeitsrecht zusammen. Im Grundgesetz gesteht der Staat den Kirchen zu, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Entstanden ist in der katholischen Kirche ein Arbeitsrecht, das strenge Anforderungen auch an das Privatleben der kirchlichen Mitarbeiter stellt. Danach kann unter anderem gekündigt werden, wer sich gegen die kirchliche Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe scheiden lässt und standesamtlich erneut heiratet.

Chefarzt erhielt nach zweiter Eheschließung Kündigung

So auch im konkreten Fall des Chefarztes, der nach seiner zweiten Eheschließung von seiner Klinik die Kündigung erhielt. Alle Instanzen bis hin zum Bundesarbeitsgericht entschieden aus unterschiedlichen Gründen, dass die Kündigung unwirksam sei. Damit wollte sich der kirchliche Arbeitgeber nicht abfinden und zog vor das Bundesverfassungsgericht. Karlsruhe stärkte das kirchliche Arbeitsrecht. Staatliche Gerichte dürften sich nicht in die Kompetenz des kirchlichen Gesetzgebers einmischen und definieren, wie weit die Loyalitätsforderungen der Religionsgemeinschaft gehen, so die Richter im November 2014.

Der Arzt argumentiert, die Kündigung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der EU. Schließlich führe eine Wiederheirat bei evangelischen Chefärzten nach dem katholischen Arbeitsrecht nicht zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Das Bundesarbeitsgericht will nun vom EuGH wissen, ob Kirchen bei ihren Loyalitätsanforderungen gegenüber leitenden Angestellten zwischen katholischen, andersgläubigen und konfessionslosen Arbeitnehmern unterscheiden dürfen.

Verneint der EuGH diese Frage, so will das Bundesarbeitsgericht wissen, ob das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in diesem Fall unangewendet bleiben muss. Das AGG ist die nationale Umsetzung der sogenannten Antidiskriminierungsrichtlinie der EU.

Katholische Kirche liberalisierte 2015 ihr Arbeitsrecht

Bei der mündlichen Verhandlung sagte der EU-Kommissionsvertreter, der Umfang der Loyalitätspflichten hänge nicht in erster Linie von der Religionszugehörigkeit, sondern von der "Verkündigungsnähe" der Arbeitsstelle ab. Die Stelle des Chefarztes sei nicht ausschließlich auf Katholiken beschränkt gewesen. Aus diesem Grund dürften auch nicht unterschiedliche Anforderungen je nach Konfession der Mitarbeiter gelten.

Im ähnlichen Fall Egenberger entschied der EuGH im April, dass deutsche Gerichte nicht über das Ethos der Kirchen als solches entscheiden dürften. Sie könnten aber überprüfen, ob es im Einzelfall «wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt» sei, dass ein Bewerber einer bestimmten Konfession angehören muss. Die Forderung nach einer bestimmten Religionszugehörigkeit müsse verhältnismäßig sein und dürfe nicht über das zur Erreichung des Ziels Erforderliche hinausgehen.

Die katholische Kirche liberalisierte in der Zwischenzeit 2015 ihr Arbeitsrecht. Die strengen Loyalitätsanforderungen gelten nur noch für verkündigungsnahe kirchliche Berufe. Beobachter sind sich zudem ziemlich sicher, dass die Kirche aus heutiger Sicht den Chefarzt nicht mehr kündigen würde.


Europäischer Gerichtshof / © Geert Vanden Wijngaert (dpa)
Europäischer Gerichtshof / © Geert Vanden Wijngaert ( dpa )
Quelle:
KNA