Über den medialen Umgang mit dem Frankfurter Bahnhofs-Mord

"Es wird so getan, als hätte die Herkunft eine erklärende Bedeutung"

Nach dem Tötungsdelikt am Frankfurter Hauptbahnhof wird im Internet Hass vor allem von Rechtspopulisten geschürt. Auch die Berichterstattung wirft Fragen für den katholischen Publizisten Andreas Püttmann auf.

Nach Attacke im Frankfurter Hauptbahnhof  / © Frank Rumpenhorst (dpa)
Nach Attacke im Frankfurter Hauptbahnhof / © Frank Rumpenhorst ( dpa )

DOMRADIO.DE: "Bitte lass es keinen Ausländer gewesen sein!" Das denken mittlerweile viele, wenn ein schlimmes Verbrechen publik wird. Sie auch?

Dr. Andreas Püttmann (katholischer Publizist): Zuerst denke ich an die Opfer und die Angehörigen. Aber als politischer Mensch ist dann tatsächlich auch mein Impuls: Hoffentlich ist es kein Angehöriger einer von Rechtsradikalen verfemten Minderheit, über die sich dann wieder wochenlang deren Hass ergießt.

DOMRADIO.DE: Es ist ja immer das gleiche Muster: ein Mensch mit Migrationshintergrund begeht eine schlimme Tat, ein Verbrechen, und über den Fall hinaus läuft dann die Empörungsmaschinerie heiß. Forderungen nach hartem Durchgreifen im Allgemeinen werden laut. Absolut vorhersehbar aber kaum zu verhindern, oder?

Püttmann: Ja, das ist nicht zu verhindern. Wir haben inzwischen eine gut vernetzte, gut eingespielte rechte bis rechtsradikale Szene mit eigenen Medien, insbesondere im Internet, die sich Emotionen zunutze macht und regelrecht bewirtschaftet. Da werden auch Halbwahrheiten, fake news und Lügen eingesetzt, wie etwa die, dass die großherzige Flüchtlingsaufnahme 2015 jetzt irgendetwas mit dem Fall in Frankfurt zu tun habe. Was ja nicht der Fall ist. Aber man emanzipiert sich weitgehend von Fakten. Ich erinnere nur daran, dass 2018 Frau von Storch von der AfD nach dem Anschlag von Münster, den ein Deutscher verübt hatte, twitterte: "Ein Nachahmer islamischen Terrors schlägt zu und die Verharmlosungsapologeten jubilieren. Das Ausmaß des Jubels ist der Beweis dass alle die geleugnete Gefahr sehen. Der Islam wird wieder zuschlagen."

Also: Wenn es ein Muslim war, fühlt man sich bestätigt. Wenn es keiner war, hätte es aber einer sein können. Man findet immer wieder zu dem Feindbild zurück. Das können Sie nicht verhindern. Aber Sie können es eindämmen, versachlichen, informieren, auch durch Klarstellung der ethischen Kriterien z.B. dass man keine diskriminierende Pauschalisierung machen darf. „Durchgreifen“ im Sinne einer robusten Politik der inneren Sicherheit ist auch nötig. Der Staat kann sich von keiner kriminellen Minderheit auf der Nase herumtanzen lassen. Der Serbe zum Beispiel, der neulich in Voerde eine Frau vor den Zug gestoßen hat, war schon vielfach vorbestraft. Da fragt man sich ganz unabhängig von der Herkunft - er ist in Deutschland geboren - wie es dazu kommen kann, dass solche Leute nicht rechtzeitig von weiteren Taten abgeschreckt werden. Und schließlich kann man die rechten Hetzer auf ihre eigene Gewaltsprache zurückverweisen, wo man ja sehr reichlich fündig wird.

DOMRADIO.DE: Dazu passt ja auch der Fall kurz vor dem Frankfurter Mord: Da hat ein deutscher Schütze einen Mann aus Eritrea angeschossen. Da gab es dann keinen Generalverdacht gegen alle weißen Schützenbrüder. Ist das ein gutes Beispiel dafür, wie ungleich die Debatte geführt wird?

Püttmann: Ja, vor allem gab es ja nicht nur keinen Generalverdacht gegen die Schützenbrüder, sondern viel weniger Geschrei von rechts und keine Urlaubsunterbrechung von Ministern. Als sei es irgendwie weniger skandalös, wenn ein Deutscher einen Ausländer ermordet oder versucht zu ermorden, als wenn das umgekehrt geschieht. Und dieser Eindruck darf auf keinen Fall aufkommen.

DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns nochmal auf die konkrete Reaktion schauen. Sie haben sich besonders über die Berichterstattung der BILD geärgert.

Püttmann: Ja, zugestanden: Boulevardmedien neigen dazu, Mordfälle immer etwas reißerischer aufzumachen als die Qualitätsmedien. Aber ich habe schon den Eindruck, dass bei Migranten eine erheblich höhere Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass BILD groß berichtet und auch die Nationalität oder die Ethnie dabei hervorhebt. Es ging ja auch diese unsägliche Kita-Speiseplan-Affäre voraus, wo die BILD eine regelrechte Kampagne gefahren hat. Nach der Frankfurter Tat kam zwar ein Artikel in der BILD, in dem stand, die AfD nutze den Kindermord vom Hauptbahnhof für ihre Hetzattacken. Was zunächst mal im Gestus der Distanzierung geschrieben war. Aber darin waren so ausgiebig Zitate von AfDlern angehäuft, dass man sich angesichts der Leserklientel der BILD doch fragt, ob das nicht noch eine Verstärkung und Bestätigung der Verhetzung hervorbringt.

Auch beim Referieren von Hetze ist die journalistische Verantwortung gefragt. Herr Reichelt, der Chefredakteur, hat in einem Kommentar ja auch noch die Frage aufgeworfen, "wieso noch viele andere potenzielle oder bereits aktive Gewalttäter völlig ungehindert nach Deutschland einreisen können". Er hat anhand eines Eritreers, der seit Jahren unbescholten in der Schweiz lebte und vor kurzem psychisch erkrankt ist, den Eindruck erweckt, dies hätte irgendwas zu tun mit einer massenhaften Einreise von Gewalttätern nach Deutschland. Sowas wirkt unterstützend für die rechte Agitation.

DOMRADIO.DE: Auch seriöse Journalisten haben zumindest ungeschickt reagiert, etwa die Chefredakteurin der Deutschen Welle, Ines Pohl, die bei Twitter geschrieben hat: "Das Verbrechen an dem achtjährigen Jungen am Frankfurter Bahnhof wird die gesellschaftliche Debatte in Deutschland prägen und deshalb ist es wichtig, die Wahrheit vollständig darzustellen. Dazu gehört auch die Herkunft des Täters."

Püttmann: Welche prägende Wirkung auf welche Debatte ist denn gemeint? Das erweckt doch den Eindruck, es könne eigentlich nur die Flüchtlingsdebatte gemeint sein. Es wird dann praktisch damit ausgedrückt, diese Debatte müsse jetzt anders verlaufen als vor dieser Tat in Frankfurt. Und das kann ich überhaupt nicht sehen. Was den Verweis auf die Herkunft des Täters betrifft, kann man sich beim Deutschen Presserat kundig machen. Da gibt es vernünftige Kriterien, wann die Herkunft genannt werden sollte und wann nicht. Aber es wird so getan, als hätte die Herkunft eine erklärende Bedeutung für die Art der Tat oder als gehöre der Täter zu einer besonders auffälligen Tätergruppe, dass zum Beispiel Eritreer häufiger Menschen ermorden oder vor die Bahn werfen.

Ich weiß nicht, ob man sich da nicht etwas weit aus dem Fenster hängt als Chefredakteurin der Deutschen Welle. Das scheint mir doch ein Defätismus gegenüber rechter Hetze zu sein, der Journalisten von seriösen Medien nicht gut ansteht, wenn sie voreilig akzeptieren: Dieses Ereignis ist jetzt prägend für die ganze Debatte.

DOMRADIO.DE: Gibt es einen Ausweg, sich eben nicht von den Rechten vor sich hertreiben zu lassen?

Püttmann: Da kann man Verschiedenes tun: Erstens nicht überdimensioniert berichten oder nur dann, wenn Migranten oder Ausländer Täter sind. Zweitens vor Pauschalisierungen warnen, die diskriminierend sind für bestimmte Minderheiten. Drittens kann man durchaus - wie das jetzt auch in sozialen Netzwerken geschehen ist - auf vergleichbare Verbrechen heimischer Täter hinweisen. Die sind ja häufig in der Bevölkerung gar nicht so bekannt. Es gibt grausamste Taten von sogenannten Bio-Deutschen. Dann ist es wichtig der Verhetzung den Boden zu entziehen, indem man Begegnungen initiiert von Deutschen mit Vertretern dieser verfemten Minderheiten, dass man Plattformen für das Gespräch schafft.

Da spielen die Kirchen sicherlich auch eine wichtige Rolle. In den sozialen Medien müssen moderate Kräfte präsenter werden, die Rechtspopulisten sind ja bei Facebook eine Macht. Und wenn die Mitte sich nicht stärker in die Diskussion einmischt, wird es denen immer wieder gelingen, solche einseitigen Skandalisierungen zu entfachen. Und man muss Volksverhetzung notfalls durch Anzeigen entgegentreten. Auch Repression ist hier gefragt.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Dr. Andreas Püttmann (privat)
Dr. Andreas Püttmann / ( privat )
Quelle:
DR