Blinde und Sehbehinderte brauchen mehr Blindenschrift im Alltagsleben

"Es gibt noch mehr Möglichkeiten"

Braille-Schrift ist für blinde und sehbehinderte Menschen existenziell, um am gesellschafltichen und kulturellen Leben teilnehmen zu können. Doch im öffentlichen Raum müsste noch nachgebessert werden- gerade für Kinder und Jugendliche.

Braille-Schrift lesen / © Vectorfusionart (shutterstock)
Braille-Schrift lesen / © Vectorfusionart ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: In diesem Jahr legt der Blinden- und Sehbehindertenverband den Fokus auf blinde und sehbehinderte Kinder. Wie wichtig ist es für sie, die Schrift zu beherrschen?

Peter Brass (Mitglied des Präsidiums des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e.V.): Wie für alle Kinder, die schreiben und lesen lernen, sehr wichtig. Denn Lesen und Schreiben sind Kulturtechniken, ohne die man nicht auskommt.

DOMRADIO.DE: Wie lernen sehbinderte Kinder die Blindenschrift denn eigentlich? Sehende Kinder lernen einen Buchstaben nach dem anderen. Gibt es da große Unterschiede?

Brass: Nein, es gibt im Grunde genommen keine großen Unterschiede. Die Systeme sind natürlich manchmal ein bisschen unterschiedlich, auch je nach Bundesland. Aber im Großen und Ganzen lernt man die Schrift genauso, zur gleichen Zeit möglichst natürlich, also im ersten und zweiten Schuljahr.

DOMRADIO.DE: Wie weit ist die Verbreitung der Brailleschrift denn im öffentlichen Raum? Würden Sie sagen, das Angebot reicht so aus?

Brass: Nein, sicherlich nicht. Es ist zwar schon ganz gut geworden. Auf großen Bahnhöfen, an den Geländern zu den Gleisen beispielsweise, hat man ja inzwischen ganz oft schon die Brailleschrift-Markierungen. Aber das reicht natürlich noch nicht. Es gibt bestimmt noch mehr Möglichkeiten, wo man Brailleschrift anbringen könnte.

DOMRADIO.DE: Was meinen Sie konkret?

Brass: Wo es mir auffällt ist in Hotels; bei den Zimmernummern zum Beispiel wäre es ganz schön, wenn sie in Brailleschrift angebracht wären. Wenn ich in ein Restaurant gehe, dass ich eine Speisekarte finden könnte in Brailleschrift. Das wären so Möglichkeiten, die ich mir jetzt mal ganz schnell aus dem hohlen Bauch vorstellen könnte, die mir zumindest sehr viel weiterhelfen würden.

DOMRADIO.DE: Für sehende Menschen ist es immer sehr schwer zu verstehen, wie blinde Menschen die Schrift so schnell lesen und ertasten können. Wie ist das zum Beispiel bei Menschen, die spät erblinden? Fällt es denen schwerer, die Schrift dann zu erlernen?

Brass: Ja, auf jeden Fall. Es ist natürlich einmal eine Technik, die man lernt. Später im Leben lernt man in der Regel nicht mehr mit der Geschwindigkeit. Und es ist natürlich auch eine Frage der Sensibilität, ob die Finger wirklich noch so sensibel sind, wie eben im Kindesalter. Wenn man das als Kind schon lernt, hat man natürlich auch eine Routine. Die Geschwindigkeit wächst und das ist natürlich bei Erwachsenen, die es später lernen, nicht mehr ganz so gegeben.

DOMRADIO.DE: Viele Dinge im Alltag laufen inzwischen sprachgesteuert, zum Beispiel Smartspeaker oder auch Handys, die sprachgesteuert funktionieren und auch Texte vorlesen. Wo geht die Zukunft der Brailleschrift da hin? Braucht es sie dann eigentlich noch?

Brass: Ja, auf jeden Fall. Lesen und Schreiben wird man immer brauchen. Es gibt zum Beispiel Statistiken, die besagen: Blinde und Sehbehinderte, die die Brailleschrift beherrschen und sie auch wirklich nutzen, kommen beruflich besser voran. Aber wir wollen natürlich, dass man in Zukunft auch weiter liest. Die Brailleschrift auf Papier wird wohl zurückgehen, weil die Produktion teuer und aufwendig ist. Die Blindenschrift auf Papier wird also weniger, aber es gibt inzwischen zum Beispiel relativ günstige kleine Braillezeilen mit 20 Zeichen, die man als Lesegerät nutzen kann. Und das ist zum Beispiel gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern, glaube ich ganz, ganz wichtig, um die Brailleschrift dort weiter zu verbreiten unter Blinden und Sehbehinderten. Aber natürlich bei uns in den entwickelten Ländern auch. Denn wenn ich nicht weiß, wie sich ein Name schreibt, dann hab ich Schwierigkeiten, wenn ich ihn zum Beispiel wiedergeben muss oder irgendeinen Begriff.

DOMRADIO.DE: Ist das jetzt, in Zeiten der Corona-Pandemie, eine ganz besondere Herausforderung, wo wir ja alle auf Abstand sind und auch so wenig wie möglich anfassen und berühren sollten?

Brass: Das ist natürlich ein Problem. Aber dadurch, dass auch die Virologen sagen, dass Berührungen und Schmierinfektionen nicht so eine große Rolle spielen, habe ich da selber wenig Berührungsängste, das wird ja auch wieder vorbeigehen. Blinde und sehbehinderte Menschen sind aber momentan natürlich auch viel weniger draußen, als das in der Zeit vor der Pandemie war. Und deswegen ist es vielleicht gar nicht so entscheidend im Moment.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Peter Brass / © Ziebe (DBSV)
Peter Brass / © Ziebe ( DBSV )
Quelle:
DR
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