Komponist Rutter spricht über das zweite Corona-Weihnachten

"Es fühlt sich an wie eine Auferstehung"

Die Pandemie hat viele Konzerte und Gottesdienste zu Weihnachten 2020 unmöglich gemacht. Jetzt ist das teilweise wieder möglich. Auch der Komponist John Rutter ist erleichtert. Für ihn macht die Musik Weihnachten aber jedes Jahr perfekt.

Autor/in:
Matthias Friebe
John Rutter (Rutter)

"Halleluja", ruft John Rutter erleichtert. Der weltbekannte Komponist atmet 2021 etwas auf, denn in diesem Jahr sind Konzerte mit Publikum wieder möglich. Zwar gibt es auch jetzt noch Einschränkungen, aber die Musik ist zumindest teilweise zurückgekommen. Für ihn sei das wie eine Auferstehung, sagt er im DOMRADIO.DE-Interview. "In den Konzerten, die ich dirigiert habe, habe ich ein besonderes Gefühl der Aufregung und Freude verspürt." Besonders in Erinnerung ist ihm ein Konzert in der Londoner Royal Albert Hall mit 5000 Menschen vor wenigen Tagen.

Gerade an Weihnachten braucht es die Musik und den Gesang, ist Rutter überzeugt. 1945 in London geboren komponiert er schon seit fast 50 Jahren Musik und mit großer Freude vor allem Weihnachtsmusik. Es vergeht kein Jahr, in dem Rutter nicht ein neues Weihnachtslied komponiert oder zumindest neu arrangiert. Die Weihnachtsgeschichte, der Geist der Weihnacht inspiriert ihn immer wieder aufs Neue, "weil es ein so wunderbares Fest ist, das Menschen zusammenbringt. Es wird mich immer wieder inspirieren."

Die Musik transportiert die Botschaft

Die Botschaft des Festes, dass alle Menschen, seien sie religiös oder nicht, einbezieht, ist für ihn immer wieder aufs Neue stark. "In der Musik wird die Botschaft von Weihnachten perfekt transportiert. Wir haben so viele wunderbare Weihnachtslieder und Weihnachtshymnen, die ausdrücken, was uns in dieser Zeit des Jahres auf dem Herzen liegt."

In den 1970er Jahren begann Rutter mit dem Komponieren, gleichzeitig brachte er den Chor des Clare College in Cambridge, den er leitete, auf die internationale Bühnen. Seitdem hat er immer wieder versucht, Weihnachten in seinen Liedern aus verschiedenen Perspektiven darzustellen und dadurch ganz neue Zugänge zu finden. Mal lässt er Maria dem neugeborenen Jesus ein Einschlaflied singen, dann hören wir die Unterhaltung der Sterne über das Geschehene oder Rutter blickt auf die Krippe aus der Sicht des Esels.

Zwei deutsche Lieder begeistern ihn persönlich

Für den 76-jährigen Komponisten gehören zu seiner persönlichen Weihanchtsfeier auch Texte und Melodien dazu, die ihren Ursprung in Deutschland haben. Vor allem "In dulci jubilo" hat es ihm angetan. Im Wechsel von deutschen und lateinischen Textpassagen wird für Rutter ein perfektes Bild für das Weihnachtsfest deutlich – der Dialog von Himmel und Erde, von Engeln und Menschen. Das findet man auch in vielen von Rutters Kompositionen. "In dulci jubilo ist einfach eine wunderbare Verschmelzung von Himmel und Erde. Irgendwie kommen die beiden Sprachen zusammen und es ist eine Melodie, die Freude ausdrückt." Eine so große Freude, dass man von ihr angesteckt sein muss, findet der 76-Jährige. "Man muss schon ein Herz aus Stein haben, um nicht tanzen zu wollen, wenn man dieses Lied hört."

Ganz fest zu seiner Weihnachtsplaylist gehört aber noch ein zweites Stück mit deutschen Ursprung: "Es ist ein Ros entsprungen". Rutter selbst hat zu diesem Lieblingslied ein neues Arrangement komponiert, das vor wenigen Wochen im CD-Handel erschienen ist. Im Mittelpunkt steht dabei eine Solo-Oboe. Faszinierend an dem Lied findet er auch hier einen Dialog. "Auf der einen Seite das sanfte Nachdenken über die Jungfrau Maria, dann aber etwas Robustes: die Gewissheit, dass Weihnachten kommen wird und dass es ein Moment der Freude in jedem Jahr sein wird."

Dank für die Impfstoff-Forscher

Insgesamt fünf neue Lieder sind erschienen, darunter auch eines, dass die Weihnachtsgeschichte aus der Sicht Josefs erzählt. "Ich dachte, es wäre schön, die Weihnachtsgeschichte aus seiner Perspektive in einem Weihnachtslied zu erzählen, seine Zweifel, seine Ängste", sagt Rutter selbst über sein "Josephs Carol". Auch hier ist es wieder die Verbindung von Himmel und Erde, die er in den Mittelpunkt rückt. Hier der zweifelnde Josef, der sich fragt, ob die Geschichte mit dem Engel und der Schwangerschaft, die ihm seine Verlobte Maria erzählt hat wirklich stimmt und da die himmlischen Engel, die ihm die Gewissheit verleihen. "Joseph, sieh das Wunder, das in Bethlehem geschehen wird" lässt Rutter den Chor der Engel singen in dem Lied, dass auch den Forscher in Oxford gewidmet ist, die am AstraZeneca-Impfstoff beteiligt waren. "Ein Dank für die Menschen, die versuchen, die Welt zu retten."

Damit so ein neues Weihnachtslied entsteht, reicht Rutter manchmal schon eine kleine Zeile, ein kleiner Gedanke. Das kann morgens im Bad sein oder nachts im Bett, weshalb immer ein Stift und etwas Notenpapier auf seinem Nachttisch liegt, verrät er im Interview. Meistens sei die Entstehung von Liedern aber harte Arbeit. "Ich beginne mit einem leeren Blatt Papier. Und ich hoffe, dass ich am Ende mit einem gefüllten Blatt herauskomme." Der Satz "on the way to Bethlehem", der charakteristisch für eines seiner größten Weihnachtshits ist, der sei ihm allerdings textlich wie rhythmisch spontan eingefallen. "Das war der kleine Keim, aus dem alles erwuchs", erinnert sich Rutter zurück. "Ich fragte mich: "Nun, wer ist auf dem Weg nach Bethlehem und warum?" Vielleicht ist es einer der Hirten, und wenn er ein musikalischer Hirte wäre, würde er vielleicht auf seiner Pfeife spielen."

Erstes Weihnachtslied mit 18 komponiert

Rutter war gerade einmal 18, ging noch zur Highschool, als er mit diesem "Shepherds Pipe Carol" sein erstes Weihnachtslied schrieb, das überall bekannt wurde. Höhepunkt ist für ihn aber natürlich auch der Heiligabend, genauer gesagt 15 Uhr an Heiligabend. "Es ist immer um drei Uhr am Heiligen Abend. Für mich ist das der Zeitpunkt, an dem ich eine Flasche Sekt öffne und mit meiner Familie anstoße, weil es tatsächlich der Beginn von Weihnachten ist."

Genau in diesem Moment beginnt in der Kapelle des King’s College in Cambridge der Gottesdienst, weltweit durch die BBC übertragen. Es ist der vielleicht bekannteste Weihnachtsgottesdienst überhaupt. Diese Zeremonie der Nine Lessons and Carols, in der im Wechsel je neun biblische Lesungen und Gesänge auf dem Programm stehen, beginnt in der Dunkelheit, mit einem einzigen Sänger, der die erste Strophe von "Once in Royal Davids City" singt, ein "magischer Moment". Er selbst habe als Junge auch im Chor gesungen, wenn auch nicht im King’s College. "Es war die einzige Zeit, in der ich eine schöne Stimme hatte". Ausgewählt für das Solo wurde er aber nie.

Uraufführung im weltberühmten Gottesdienst am King’s College

Zweimal schon war er dafür selbst beteiligt am berühmten Gottesdienst im King’s College. Seit 1982 ist es dort Brauch, dass jedes Jahr ein neues Weihnachtslied extra für diesen Gottesdienst geschrieben wird. Der damalige Chorleiter Sir Stephen Cleobury kam auf die Idee. Und so wurde 1987 Rutters "What sweeter music" aufgeführt, dass einen Text aus dem 17. Jahrhundert vertont: What sweeter music can we bring than a carol, for to sing the birth of this our heavenly King – Welche süßere Musik können wir bringen als ein Lied, für die Geburt unseres himmlischen Königs?

 "Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Wenn Sie ein neues Lied für das Festival of Nine Lessons and Carols am King's College schreiben, erhalten Sie zwei Eintrittskarten", freut sich Rutter fast schon kindlich. Einige Jahre später komponierte er mit "Dormi, Jesu" noch ein weiteres neues Lied für den Gottesdienst. "Bei diesen beiden Gelegenheiten hatten meine Frau und ich das Glück, unter den Anwesenden zu sein, und es ist wirklich etwas ganz Magisches."

Musik als Schlüssel zum Fest

Ob nun das magische des Gottesdienstes in der ehrwürdigen Kapelle des King’s College in Cambridge oder aber die Feier im Kreise der Familie. Musik ist für John Rutter der Schlüssel zu diesem Fest. In England ist es Brauch am ersten Weihnachtstag Truthahn zu kochen. Selbst wenn der verbrennt und nicht schmeckt, selbst wenn der Familienbesuch streitet anstatt sich zu freuen, selbst dann "ist es die Musik, die Weihnachten jedes Jahr perfekt macht."


Quelle:
DR