Erzbistum Köln zu Dialog mit Ditib

"Es geht jetzt nicht mehr nur um Religion, auch um türkische Politik"

Spitzel soll es dort gegeben haben, Hasspostings gegen Christen und eine sehr große Nähe zum umstrittenen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan: Der Islamverband Ditib steht in der Kritik. Das Erzbistum Köln will aber am Dialog festhalten.

Autor/in:
Das Gespräch führte Christoph Paul Hartmann.
Kirche und Moschee / © Harald Oppitz (KNA)
Kirche und Moschee / © Harald Oppitz ( KNA )

domradio.de: Die Ditib scheint ein enges Verhältnis zur Regierung Erdogan zu pflegen – ein zu enges, sagen Kritiker. Wie sehen Sie das?

Thomas Lemmen (Interreligiöser Dialog im Erzbistum Köln): Ditib ist rechtlich gesehen ein eingetragener Verein nach deutschem Recht mit einer Satzung und den entsprechenden Strukturen. Sieht man sich die Satzung und die Strukturen an, wird man sofort erkennen, dass über den Beirat der türkischen Religionsbehörde Diyanet ein entscheidendes Mitspracherecht in die Angelegenheiten der Ditib eingeräumt wird: Wer Mitglied der Ditib werden kann, wer zum Vorsitzenden gewählt werden darf, ob die Satzung geändert werden darf oder nicht - das entscheidet der Beirat. Mitglieder des Beirats sind allesamt hochrangige Spitzenfunktionäre der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Das ist eine staatliche türkische Organisation, die den Auftrag hat, den Islam und seine Angelegenheiten in der Türkei zu verwalten. Der Charakter dieser Organisation hat sich aber dadurch geändert, dass wir nun mit der AKP eine religiös-konservative islamische Partei haben und es nicht mehr darum geht, die islamischen Angelegenheiten im Rahmen der laizistischen Verfassung (Anm. d. Red.: Trennung von Staat und Kirche) zu organisieren, sondern über diese Behörde gleichsam politischen Einfluss zu nehmen. Dadurch hat sich der Charakter der Diyanet entscheidend verändert.

domradio.de: Dadurch auch der Charakter der Ditib?

Lemmen: So ist es, denn Ditib ist letztlich die Auslandsorganisation des Diyanet, was man auch daran sehen kann, dass immer ein hochrangiger Vertreter des Diyanet auch Vorsitzender der Ditib ist. Die Imame, also die Vorbeter in den Ortsgemeinden, sind allesamt Mitarbeiter, Beamte des türkischen Staates, die für ihre Tätigkeit aus der Türkei entsandt werden.

domradio.de: Wie bemerkt man diese Verbindung oder diese Abhängigkeit im Alltag?

Lemmen: Man merkt das dadurch, dass die Imame aus der Türkei kommen, für drei bis vier Jahre in Deutschland bleiben und ihre unmittelbaren Vorgesetzten nicht die Vereinsvorstände vor Ort sind, die also in der Gemeinde von der Mitgliederversammlung gewählt wurden, sondern die Vorgesetzten sind Religionsattachés im Generalkonsulat. Das heißt, wenn ein Imam Urlaub haben will, muss er dort nachfragen, um seinen Urlaub oder sonstige Dinge geregelt zu bekommen. Von dort kommen dann auch Anweisungen, wie eben auch die besagte Anweisung, Informationen über Mitglieder der sogenannten Gülen-Bewegung weiterzugeben.

domradio.de: Den Dialog zwischen der Ditib und dem Erzbistum Köln gibt es ja schon länger. Hat sich durch die Veränderung der Strategie der Diyanet auch eine Veränderung der Beziehung und der Zusammenarbeit ergeben?

Lemmen: Wir stellen fest, dass das Thema der türkischen Innenpolitik zunehmend ein Thema der Ditib geworden ist. Das macht es im Dialog nicht einfacher, sondern schwerer, weil es uns darum geht, uns nicht für politische Dinge vereinnahmen zu lassen, sondern einen interreligiösen Dialog zu führen. Der wird erschwert, wenn man merkt, dass beim Gesprächspartner nicht nur religiöse, sondern auch politische Dinge maßgeblich eine Rolle spielen.

domradio.de: Können Sie da ein Beispiel nennen?

Lemmen: Wir haben gemerkt, dass die politischen Ereignisse in der Türkei die Menschen in den Ditib-Gemeinden mitgenommen haben. Das ist verständlich, denn man hat ja Angehörige in der Türkei. Aber wir haben schon wahrgenommen, dass sich auch die Spannungen zwischen der Ditib und anderen Gruppierungen nach Deutschland verlagert haben. Das finden wir schon problematisch, wenn es dann heißt, dass beispielsweise Mitglieder der Gülen-Bewegung nicht mehr in Ditib-Moscheen gehen oder sich nicht mehr trauen, dort hin zu gehen. Dann wird auf einmal ein Streit aus der Türkei nach Deutschland verlagert. Das hat dann auch Auswirkungen auf Dialogzusammenhänge, dass man nicht mehr mit allen gleichzeitg Dialog führen kann, sondern bei Gesprächen schauen muss, mit wem kann man gerade reden und wer kann mit wem gerade nicht reden.

domradio.de: Wird sich die Zusammenarbeit durch die Vorwürfe jetzt ändern?

Lemmen: Das ist hauptsächlich ein Thema für die Politik. Religion und Staat sind in Deutschland getrennt und Bund und Länder müssen sich fragen, wie weit sie denn mit einer Religionsgemeinschaft zusammenarbeiten können, bei der Außenpolitik, die türkische Politik eine so maßgebliche Rolle spielt, zum Beispiel beim Religionsunterricht oder wie in Monheim, wenn man der Ditib ein Gelände für eine Moschee zur Vefügung stellen will. Dann muss man natürlich prüfen, wer bekommt das Gelände am Ende, die Ortsgemeinde oder der türkische Staat. Das sind Fragen, die vorrangig auf der politischen Ebene liegen. Die katholische Kirche wird und muss ein Interesse daran haben, dass die Regelungen des Staatskirchenrechts für alle gleich gelten, positiv wie negativ. Im interreligiösen Dialog wird es darauf ankommen, dass wir uns nicht von diesen Themen vereinnahmen lassen, sondern das Gespräch mit den Menschen suchen. Ich bin zuversichtlich, dass es auf der Ortsebene zwischen Menschen unserer und anderer Gemeinden gute Kontakte gibt und diese Kontakte auch solche Spannungen aushalten werden.

domradio.de: Gibt es denn auch Stimmen, die diese Politisierung der Ditib kritisch sehen?

Lemmen: Die Stimmen gibt es, auch in der islamischen und türkischen Gemeinschaft, weil man muss sich ja auch als Muslim fragen: Muss das denn so sein, dass Religion so organisiert wird, wie es im Fall der Ditib ist? Da wird man vielleicht zum Ergebnis kommen, dass es auch andere Konstellationen gibt. Das ist vornehmlich eine Frage, die sich die Muslime selbst stellen müssen, wieweit sie da bereit sind, mitzugehen und wo sie sagen, dass ihnen das nicht mehr gefällt. Ich denke, der interreligiöse Dialog ist auch eine Chance, darüber ins Gespräch zu kommen, dass das religionsverfassungsrechtliche System der Bundesrepublik Deutschland den Religionsgemeinschaften gute Gelegenheiten gibt, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Aber auch die Möglichkeit gibt, ihre Beziehungen untereinander zu pflegen. Da kann man im Dialog voneinander lernen. Es gab mal Projekte der politischen Bildung für Imame. Die sind eingestellt worden, weil man irgendwann im Bundesministerium des Innern gedacht hat, man braucht das nicht mehr. Die gegenwärtigen Ereignisse zeigen, dass man eigentlich mehr an Dialog braucht. Das ist auch meine Aussage: Wir brauchen nicht weniger Dialog. Wir brauchen mehr, aber einen transparenten, offenen und auch kritischen Dialog, in dem wir über die Dinge sprechen, die uns belasten oder auffallen.

domradio.de: Auch verbunden mit der Hoffnung, das Gegenüber zum Überdenken anzuregen oder auch zu ändern?

Lemmen: Der Dialog hat auch immer das Ziel, die eigene Haltung zu reflektieren. Aber es sollte auch den anderen dazu zu bringen, seine Haltung zu reflektieren, das ist ein wechselseitiges Geschehen.

domradio.de: Ist nicht die Gefahr sehr hoch, dann in diese politische Sphäre zu kommen, dass etwa auch die Probleme von Christen in der Türkei eine Rolle spielen? Ist nicht die Gefahr, dass das eine Sprengkraft entwickelt, sehr gewachsen?

Lemmen: Immer dann, wenn Konflikte, die nicht bei uns liegen, sich nach Deutschland verlagern, kommt es zu Spannungen. Fragen etwa der Religionsfreiheit in der Türkei können wir nicht in Deutschland lösen, wir können darüber sprechen. Aber es ist auch entscheidend: Es gibt Menschen, die sagen: Wenn das jetzt mit der Ditib nicht geht, dann führen wir überhaupt keinen Dialog mehr. Davor muss man warnen: Wir haben keine Alternative zum Dialog. Papst Franziskus sagt: "Man verliert nichts, wenn man wirklich den Dialog pflegt und praktiziert." Aber er muss natürlich auch transparent und offen sein und da muss man auch über die Dinge sprechen können, die das Verhältnis zueinander oder in der Gesellschaft thematisieren, also beispielsweise, dass wir von Religionsgemeinschaften eine größere Neutralität oder eine strikte Neutralität in politischen Fragen erwarten. Natürlich hat man als Migrant Beziehungen ins Heimatland und ist emotional berührt. Aber man sollte sich als Religionsgemeinschaft eine größere Neutralität auferlegen und nicht in politische Stimmungsmache verfallen.

domradio.de: Die Ditib ist zwar ein großer Islamverband, aber bei weitem nicht der einzige. Obwohl er der Größte ist, vertritt er nicht die Mehrzahl der Muslime. Wie sieht denn da im Vergleich der Dialog mit anderen islamischen Vertretern aus?

Lemmen: Man muss sagen, dass der Putschversuch in der Türkei und die Gewalt, die dort zu Tage getreten ist, alle türkischen Muslime betroffen haben, unabhängig vom Verband. Aber es gibt schon Differenzen, wie die einzelnen Organisationen sich dazu verhalten. Wir haben im Erzbistum Köln Kontakte zu allen großen islamischen Vereinigungen: Den drei großen türkischen Ditib, Millî Görüş und dem Verband der islamischen Kulturzentren, aber auch zum Zentralrat der Muslime. Ich denke, es ist wichtig, dass man mit allen Akteuren spricht, sofern sie demokratisch sind und nicht gegen verfassungsrechtliche Prinzipien verstoßen. Da ist zwischen den Muslimen selbst ein Kommunikationsprozess notwendig. Da gibt es Differenzen in der Wahrnehmung der Ereignisse: Der Zentralrat als ein Verband, dem nicht nur türkische Muslime angehören, kann sich da anders positionieren.

domradio.de: Gibt es denn in der Praxis schon ein Projekt, wo Sie sagen: Mit dieser Art der Zusammenarbeit können wir eine Blaupause haben, wie ein stabiler Dialog für die Zukunft aussehen kann?

Lemmen: Es gibt vor Ort sehr viele christlich-islamische Gesprächskreise, an denen katholische, evangelische und muslimische Gemeinden beteiligt sind, da sind oft auch Ditib-Gemeinden dabei. Meine Empfehlung ist, diese Kontakte weiterzuführen, denn erst im zwischenmenschlichen miteinander zeigt sich, ob man diesen Dialog führen kann oder nicht. Auf der Ebene des Landes gibt es ein christlich-islamisches Forum, in dem die fünf Bistümer, die beiden großen Landeskirchen und die großen muslimischen Gemeinschaften zusammenarbeiten. Auf der Ebene gibt es eine Kooperation auch mit der Ditib und anderen - so haben wir beispielsweise 2014 den ersten großen Tag des christlich-islamischen Dialogs in Krefeld gemeinsam durchgeführt. Ich denke, das ist schon ein Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit, weil man auf Augenhöhe gleichberechtigt ein Projekt realisiert hat, das eine hohe Resonanz gefunden hat. Eben solche Beispiele können wegweisend für die weitere Zusammenarbeit sein.


Thomas Lemmen / © Harald Oppitz (KNA)
Thomas Lemmen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR