Erzbischof Zollitsch über seine Lateinamerikareise

Aus Patenschaft wird Partnerschaft

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, absolviert einen mehrtägigen Besuch in Lateinamerika. Erste Stationen der Reise waren São Paulo und Aparecida in Brasilien. Im domradio.de-Interview spricht Zollitsch über die großen Erfolge von Adveniat, die kommenden Herausforderungen und über einen spürbaren Aufbruch im Sinne der Neuevangelisierung in Lateinamerika.

 (DR)

domradio.de: 50 Jahre Adveniat, ein großes Jubiläum. Was sind für Sie die größten Verdienste des Hilfswerks in den fünf Jahrzehnten?

Erzbischof Zollitsch: Es ist fantastisch, was in diesen 50 Jahren gewachsen ist. Wir haben viele Aktionen unterstützen können, über 200.000 Projekte. Wir haben zunächst vieles getan für die Ausbildung der Priester in ganz Lateinamerika, das finanzieren wir bis heute. Und wir haben natürlich vielen Gemeinden geholfen, zu Beispiel kleinen Kirchen zu Gemeindezentren verholfen. Jetzt sind wir insbesondere dabei, die Menschen zu unterstützen, indem wir Laien befähigen, Verantwortung in der Kirche wahrzunehmen. Hier kommt ein neuer Schwerpunkt auf uns zu. Ich merke gerade hier beim Treffen mit Vertretern sämtlicher lateinamerikanischer Bischofskonferenzen, wie dankbar die Menschen sind, für das, was hier in diesen 50 Jahren geworden ist. Es ist etwas Großartiges, eine Erfolgsgeschichte.



domradio.de: Es gibt noch einen Grund zu feiern auf Ihrer Reise, und zwar die Partnerschaft zwischen dem Erzbistum Freiburg und der Kirche in Peru. Die besteht 25 Jahre. Wie haben sich denn Ihr Bistum und die Kirche in Peru gegenseitig beflügelt?

Erzbischof Zollitsch: Wir haben tatsächlich vor 25 Jahren aus der Patenschaft eine Partnerschaft wachsen lassen, und es sind über 250 Gemeinden in Peru und in der Erzdiözese Freiburg, die Partnerschaften geschlossen haben und sich gegenseitig austauschen über das, was in den Gemeinden geschieht. Die den Glauben teilen und sich die Freude am Glauben gegenseitig schenken und in der Begegnung spüren, dass Adveniat nicht nur eine Einbahnstraße von Deutschland Richtung Lateinamerika ist. Sondern, dass wir uns, was die Freude des Glaubens angeht, gegenseitig beschenken können. Indem wir über den Glauben sprechen und das Feuer für die Verkündigung des Evangeliums gegenseitig anstecken.



domradio.de: Sie wollen sich auf Ihrer Reise auch ein Bild von der Situation der Kirche in Lateinamerika machen. Welche Eindrücke haben Sie bislang gesammelt?

Erzbischof Zollitsch: Einerseits erlebe ich hier die große Breite der Volksfrömmigkeit, wir sind hier im Wallfahrtsort Aparecida, zu dem im vergangenen Jahr 11 Millionen Menschen gepilgert sind und jetzt gerade füllt sich der Pilgerplatz. Ich erlebe allerdings auch die ganze Not in den Favelas und die großen Gegensätze zwischen Armut und Reichtum. Ich erlebe aber auch, wie man helfen kann: Ich war gestern in der Facienda, wo unsere Sießener Franziskanerinnen sind und wo Männern und Frauen, die unter Drogeneinfluss geraten sind, geholfen wird und das Tolle ist: 80 Prozent dieser Menschen sind danach drogenfrei und finden eine neue Zukunft für ihr Leben. Wir merken, man kann helfen, da geschieht vieles. Aber ich merke auch, wie groß die Gegensätze in Lateinamerika sind und dass noch viel Hilfe notwendig ist.



domradio.de: Wie kann sich die Kirche denn diesen Herausforderungen in Lateinamerika stellen?

Erzbischof Zollitsch: Einerseits versuchen wir wie hier konkret zu helfen. Aber wir versuchen natürlich auch den Politikern klar ins Gewissen zu reden, und darauf hinzuweisen, was wirklich wichtig ist und was sich strukturell ändern muss. Wenn sich etwa die Kirche in Brasilien ganz  klar an einem Programm gegen die Korruption beteiligt und dann auch schon Erfolge aufzuweisen hat, dann steckt das auch an! Wir haben gerade hier auf diesem Kongress ganz klar noch mal auf die letzten fünf Jahre seit der letzten Vollversammlung zurückgeschaut und die Erfolge gesehen. Jetzt geht es darum, nicht nur das Alte zu bewahren und zu behüten, was da ist, sondern Neues zu tun und im Sinne einer missionarischen Kirche neu aufzubrechen. Da habe ich bei den Bischöfen und den anderen Teilnehmern eine große Offenheit gespürt. Wir stehen an einer Wende, an einem neuen Aufbruch im Sinne der Neuevangelisierung.



Das Interview führte Dagmar Peters.



Hintergrund

Während seiner Brasilien-Reise hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, heute an die Solidarität zwischen der Kirche in Deutschland und der Kirche in Lateinamerika erinnert. Die bischöfliche Aktion Adveniat, die an diesem ersten Adventswochenende ihre Auftaktveranstaltung begeht, sei Ausdruck dieser Solidarität: "Die Kirche und die Menschen in Lateinamerika gehen uns sehr viel an, im Kontext der Globalisierung mehr denn je. Die weltkirchliche Verbundenheit ist keine Einbahnstraße. So ist Adveniat als unser Lateinamerika-Hilfswerk eine Brücke zwischen den Kontinenten, über die ein lebendiger Austausch geschieht." Erzbischof Zollitsch sprach zum Abschluss des Kongresses des Lateinamerikanischen Bischofsrates CELAM. Dieser hatte anlässlich des 50 jährigen Bestehens von Adveniat zu einer Debatte über das Abschlussdokument der CELAM-Generalversammlung aus dem Jahre 2007 eingeladen. In Lateinamerika und Deutschland gäbe es kirchliche und gesellschaftliche Transformationsprozesse, die zu neuen Herausforderungen in der Pastoral führten: "In Lateinamerika stellen wir allgemein einen Aufbruch der Kirche fest, sich stärker vor Ort zu verankern. Dabei helfen kleinere Organisationsformen der Kirche, näher bei den Menschen zu sein. In Deutschland versuchen wir, über die Ortsgemeinde hinaus in größeren Räumen zu denken und dabei die Gemeinde vor Ort durch weitere Entwicklung des Ehrenamtes zu stärken", so Zollitsch.



In Deutschland könne die Kirche viel vom Glaubenszeugnis der Kirche Lateinamerikas lernen, erklärte Zollitsch weiter. Dazu zählten auch jene Persönlichkeiten, die für ihren Glauben gestorben seien. "Wir können auch von der Vitalität im Glaubensleben lernen, die die Kirche in Lateinamerika so dynamisch macht; wir können lernen von der frohen Glaubensfeier und dem Reichtum in der Volksreligiosität." Erzbischof Zollitsch forderte eine lebendige Umsetzung der Vater-unser-Bitte, die dem Namen Adveniat zugrunde liegt: "Dein Reich komme". Für die Menschen auf der ganzen Welt bedeute das Kommen des Reiches "Gottes Freiheit und Liebe statt Unfreiheit und Hass, Wahrheit und Freude statt Lüge und Trauer, Frieden und Gerechtigkeit statt Gewalt und Ungerechtigkeit. Viele Menschen in Lateinamerika erleben diesen Unfrieden Tag für Tag am eigenen Leib. Uns allen geht es um ein Leben in Würde und Gerechtigkeit, um eine andere, zutiefst menschliche Welt."



Gestern hatte Erzbischof Zollitsch eine Facienda für Frauen und Männer besucht, die von den Sießener Franziskanerinnen geleitet wird. Ehemals Drogenabhängige, Prostituierte und HIV Infizierte werden hier durch den Einsatz der Ordensschwestern in die Gesellschaft reintegriert. "An solchen Orten ist etwas vom Wirken Gottes zu spüren und von einer konkreten Umsetzung der Option für die Armen. Solidarität ist hier keine Theorie, sondern lebendige Praxis. Durch ein Glaubenszeugnis wird Menschen in ihrer schwersten Not selbstlos geholfen. Das erlebe ich als vollendete Nächstenliebe", so Zollitsch.



Am morgigen Sonntag wird Erzbischof Zollitsch zusammen mit Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck (Essen) und Weihbischof Manfred Melzer (Köln) sowie dem Erzbischof von São Paulo, Kardinal Odilo Scherer, den Eröffnungsgottesdienst für die diesjährige Adveniat Aktion in einer Favela von São Paulo feiern. Der Gottesdienst wird vom ZDF live ab 10.00 Uhr übertragen. Am Nachmittag steht der Besuch eines Obdachlosenprojektes in São Paulo auf dem Programm. Am Montag wird Erzbischof Zollitsch von Brasilien nach Peru reisen. Die ersten Stationen sind dort Lima und Trujillo.