Erzbischof von Erbil über die Lage der Christen im Nordirak

"Die irakische Regierung tut nichts"

Mehr als vier Monate nach Beginn der Offensive soll der IS nun endgültig aus seiner Hochburg Mossul vertrieben werden. Doch für Versöhnung und Dialog zwischen den Religionen werde kaum etwas getan, beklagt der chaldäische Erzbischof von Erbil Bashar Warda.

Kirche in Mossul unter Schutz / © Ahmed Jalil (dpa)
Kirche in Mossul unter Schutz / © Ahmed Jalil ( dpa )

domradio.de: Ihr Bistum liegt rund 100 Kilometer entfernt von der Stadt Mossul, wo die irakische Armee im Dezember mit der Rückeroberung vom IS begonnen hat. Was wissen Sie über die Lage dort?

Bashar Warda (Erzbischof der chaldäisch-katholischen Erzeparchie Erbil, Autonome Region Kurdistan): Die Armee dringt immer weiter vor, das ist eine gute Nachricht, vor allem für die christlichen und jesidischen Gemeinden in Mossul und in der Ninive-Ebene, nordöstlich der Stadt. Wir hoffen, dass die Rückeroberung bald erfolgreich zu Ende geht, aber es ist nicht leicht, denn noch hat der IS einige Stadtteile unter Kontrolle und diese wird er aggressiv verteidigen. Danach muss der Wiederaufbau der Viertel und Dörfer beginnen, es muss eine politische Aussöhnung geben, damit nach zweieinhalb Jahren Besatzung wieder ein Alltag für die Menschen möglich wird.

domradio.de: In Mossul verfolgt der IS jeden, der sich ihm nicht unterordnet, auch die Muslime. Warum ist seine Schwächung vor allem für die Christen eine gute Nachricht?

Erzbischof Warda: Mossul war immer eine Stadt der muslimischen Hardliner und Extremisten. Der IS hat die politischen Divergenzen zwischen den irakischen Politikern, die Marginalisierung von Bevölkerungsgruppen und den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten ausgenutzt, um die Menschen zu manipulieren und eine Hasskampagne gegen die Christen zu befeuern. Einige Bewohner Mossuls haben sich an den Plünderungen, Morden und Massakern an christlichen Familien beteiligt.

domradio.de: Erbil liegt nur rund 100 Kilometer von Mossul entfernt. Welche Auswirkungen hat das auf Ihre Diözese?

Erzbischof Warda: Wir haben in unserer Diözese rund 13.200 christliche Familien aufgenommen, die aus Mossul und der Ninive-Ebene fliehen mussten. Ich hoffe, dass die Eroberung Mossuls Erfolg haben wird, dass es einen Wiederaufbau und einen Versöhnungsprozess gibt, damit die Menschen zurück können. Das würde auch den Druck auf unsere Diözese verringern. Leider haben bis heute auch über 4000 christliche Familien unser Land verlassen und wenn das so weitergeht, bedeutet das Ende der Christen im Irak.

domradio.de: Was berichten Ihnen die Flüchtlinge aus Mossul, was mussten sie erleben?

Erzbischof Warda: Alle, die aus Mossul kommen, erzählen das gleiche: Dass sie entweder zum Islam konvertieren oder ein Schutzgeld, die so genannte „Dschisija“ zahlen sollten. Die meisten Familien sind dann geflohen und mussten alles zurücklassen, Bargeld, Schmuck, Autos, alles hat der IS ihnen abgenommen.

domradio.de: Über 13.000 Familien kamen in Ihrer Diözese an: Wie schwierig ist es, die alle zu versorgen?

Erzbischof Warda: Am Anfang war es sehr schwer, weil wir überhaupt nicht vorbereitet waren. Wir haben dann schnell ein Netzwerk aus Priestern, Ordensschwestern Gemeindemitgliedern gebildet, um Hilfe zu organisieren und die Unterstützung aus dem Ausland zu koordinieren, denn wir haben viele Spenden von Christen aus aller Welt erhalten.

Damit konnten wir viel organisieren: Unterkünfte, Schulen, medizinische Versorgung, aber natürlich auch spirituelle Begleitung und Seelsorge. Vieles ist besser geworden: während wir zu Beginn 26 Flüchtlingslager hatten, wo die Menschen in Zelten übernachten mussten, leben heute fast alle in Wohnungen und Häusern, die die Diözese angemietet hat. Nach zweieinhalb Jahren können wir sagen: Wir sind gut organisiert und die Unterkünfte sind würdiger geworden. Aber trotzdem hoffen wir natürlich, dass diese Menschen bald zurück in ihre Dörfer kehren können.

domradio.de: Sie haben in der Vergangenheit immer wieder vor einem Exodus der Christen im Irak gewarnt. Ist diese Sorge noch aktuell?

Erzbischof Warda: Seit 2.000 Jahren sind die Christen und ihre Vorfahren in der Region zu Hause. Noch im Jahr 2003 lebten im Irak unter Saddam Hussein rund 1,2 Millionen Christen. Heute sind es nur noch etwa 300.000. Wenn wir nichts unternehmen, wird es bald keine Christen mehr im Irak gehen. Das Problem ist, dass die irakische Regierung nichts tut. Sie bemüht sich noch nicht einmal. Christen und Jesiden sind benachteiligt. Aber die Regierung konzentriert sich nur auf die Bekämpfung des IS und vergisst darüber alle anderen Probleme.

domradio.de: Was bedeutet die Abwanderung der Christen für den Irak?

Erzbischof Warda: Christen sind eine Bereicherung für die irakische Gesellschaft. Sie tragen zur Vielfalt bei und genießen ein hohes Vertrauen, auch unter Muslimen. Es gibt viele muslimische Familien, die ihre Kinder auf christliche Schulen schicken, das zeigt, wie groß die Wertschätzung ist. Ich glaube, das Vertrauen, das uns Christen entgegen gebracht wird und das uns Gott geschenkt hat, müssen wir zum Wohle der ganzen Gesellschaft nutzen.

domradio.de: Es sind die Länder des Nahen Ostens, die Millionen von Flüchtlingen aufnehmen, während in Deutschland schon bei einigen hunderttausend der Ruf nach Obergrenzen laut wird. Wie blicken Sie auf diese Diskussionen?

Erzbischof Warda: Ich kann verstehen, dass das Ängste erweckt und dass die Europäer auf eine Integration beharren, auch wenn sie bislang wenig dafür getan haben. Aber generell bin ich dagegen, dass Menschen flüchten, denn sie gehen uns im Irak verloren. Natürlich kann ich verstehen, dass manche Familien hier keine Zukunft mehr sehen, dass sie Angst vor dem IS haben, Hunger leiden oder dringend eine medizinische Versorgung brauchen, die in Europa so viel besser ist. Aber ich sage immer: Helft uns, den Menschen zu helfen, dass sie hier im Irak bleiben und ein Leben in Würde zu führen können.

domradio.de: Welche Hilfe brauchen Sie denn am dringendsten? Geld?

Erzbischof Warda: Nein. Was wir wirklich brauchen, ist politischer Druck auf alle politisch Verantwortlichen, um eine Versöhnung voranzutreiben. Die Europäer sollten einfach so lange nicht mit den Politikern verhandeln oder Geschäfte machen, bis sich hier alle den Menschenrechten verpflichtet fühlen. Geld ist nicht das wichtigste, viele Länder des Nahen Osten sind reich, aber sie geben das Geld nicht für die Menschen aus, weil die politischen Klassen korrupt sind.

domradio.de: Internationale Politik ist nicht einfacher geworden, seit die USA einen neuen Präsidenten haben. Was erwarten Sie von Donald Trump?

Erzbischof Warda: Ich war immer der Meinung, dass der Einmarsch im Irak ein Fehler war. Die USA haben eine moralische Verpflichtung für das, was hier passiert und sie müssen ihren Job zu Ende bringen. Damit will ich nicht das Vorgängerregime unter Saddam Hussein verteidigen, aber in ein Land einzumarschieren, so tiefgreifende Veränderungen vorzunehmen und dann die Truppen abzuziehen, das geht nicht. Die USA haben ein gespaltenes Land hinterlassen, die Korruption wuchert: Dafür tragen die USA eine Mitverantwortung und deswegen wünsche ich mir ein entschiedenes Engagement: Keine militärische Intervention aber Hilfe, die den Menschen eine Rückkehr zu ihrem Alltag ermöglicht.

domradio.de: Wie wichtig ist die Solidarität der Christen aus aller Welt?

Erzbischof Warda: Sie bestärkt die Menschen in meiner Diözese und macht ihnen Mut. Es tut gut zu wissen, dass wir Teil der großen, weltweiten Familie der Christen sind. Auch die vielen Besucher und Delegationen sind wichtig. Nicht nur wegen der Spenden. Wir sprechen miteinander, besten und feiern die Heilige Messe gemeinsam. Und das gibt uns das Gefühl, dass wir nicht vergessen sind.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.


Erzbischof Bashar Warda / © Harald Oppitz (KNA)
Erzbischof Bashar Warda / © Harald Oppitz ( KNA )