Heiner Koch kommt zu Fuß – wie die meisten anderen auch. Jedenfalls die letzte Etappe. Wie viele Male sei er doch 2005 diesen Weg gegangen, resümiert der ehemalige Generalsekretär des Kölner Weltjugendtages und heutige Erzbischof von Berlin. Immer wieder – den Berg hinauf und auch hinunter. Und so schickt er diesmal seinen Fahrer vor auf die Anhöhe und genießt bewusst diesen Moment des steilen Aufstiegs vom Fuß des Papsthügels ganz für sich.
Die Erinnerung an das Mega-Ereignis von damals will er auch auf diese Weise noch einmal abrufen und sich damit zugleich unter die vielen Frauen und Männer aus allen Teilen des Erzbistums, aber auch aus dem europäischen Ausland mischen, die sich an diesem letzten Freitag im August zu dem Ort aufgemacht haben, an dem Papst Benedikt XVI. vor 20 Jahren die Vigil und Abschlussmesse dieses internationalen Treffens mit über einer Million jungen Leuten gefeiert hat. Schließlich dürfen dieses als Naturschutzgebiet ausgewiesene Areal Autos nur mit Sondergenehmigung passieren, von daher sind die meisten mit Wanderstock und Rucksack oder Fahrrad unterwegs. Und Shuttle-Busse sorgen dafür, dass auch die am Ziel ankommen, die sich mit weiten Wegen altersbedingt schwer tun.
Jubiläum ist Anlass zur Zeitreise in die Vergangenheit
Mit überschwänglicher Freude wird der Ehrengast von der Spree schließlich auf dem Plateau willkommen geheißen, zahlreiche Hände strecken sich ihm entgegen. Überall ist ein fröhliches „Hallo“ zu hören, begleitet von Umarmungen und Schulterklopfen. Allen voran ist es Kreisdechant Achim Brennecke, der seine Einladung an Koch bereits vor einem Jahr ausgesprochen hatte und nun mit großer Dankbarkeit quittiert, dass dieser tatsächlich auch eigens zum 20. Jahrestag des WJT angereist ist.
Aber auch viele ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, lokale Gremienvertreter aus den angrenzenden Kirchengemeinden und Volunteers, die damals zum logistischen Gelingen der kirchlichen Großveranstaltung mit dreijährigem Vorlauf beigetragen haben, nehmen das Jubiläum zum Anlass, zum Teil von weit her zu kommen, um hier – an der Nahtstelle von Kerpen und Frechen – eine Zeitreise in die Vergangenheit zu unternehmen und einzutauchen in Erinnerungen, die ihr Glaubensleben nachhaltig prägen sollten. Politische Prominenz ist ebenfalls vertreten, darunter der Landrat des Rhein-Erft-Kreises sowie der ehemalige NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und der einstige Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma.
Ein bisschen ist es an diesem Abend wie bei einem großen Familientreffen. Die meisten kennen sich untereinander, waren damals Gastgeber für die Jugendlichen aus aller Welt, organisieren sich seit Jahren in kleinen Gruppen, um zum Papsthügel aufzubrechen, und haben den Jahrestag der Papstmesse im Kalender immer schon ein Jahr im Voraus stehen. Bis heute ist diese Stätte, von der aus man einen weiten Blick über die Ebene des Kreisdekanates Rhein-Erft mit Kirchtürmen in allen Himmelsrichtungen hat, Synonym für eine lebendige Erinnerung an diese unvergesslichen Begegnungstage, von denen die Menschen – und nicht nur die aus der unmittelbaren Umgebung – bis heute zehren.
Zum Beispiel Janina Robert aus Litauen, die gemeinsam mit Diana Mayer aus Ungarn und Lilly Causa aus Italien zu den Langzeitfreiwilligen im Kölner WJT-Büro gehörte. Um 7 Uhr früh sei sie von zuhause losgeflogen, um nun bei diesem denkwürdigen Tag mit dabei sein zu können. "Der Weltjugendtag war das eindrucksvollste Ereignis in meinem Leben", schwärmt die heute 47-Jährige, die damals vom Erzbistum Vilnius für anderthalb Jahre nach Deutschland entsendet worden war und heute an einem Jesuitengymnasium in ihrer Heimat Deutsch unterrichtet. "Diese Zeit hat mein Leben total verändert. Ich habe meinen Glauben vertieft und Freunde in der ganzen Welt gefunden." Nun wolle sie die Gemeinschaft und den Geist von damals noch einmal erleben.
"Mein Leben hat hier erst begonnen", stellt Lilly fest, die nach dem WJT in Deutschland geblieben ist. "Ich hatte mich in dieses Land verliebt." Es sei ein Mega-Gefühl, unter demselben Kreuz von damals Gottesdienst zu feiern, erklärt die 40-jährige Napoletanerin. "Tief berührend" findet es schließlich Diana aus Budapest, "die Leute von damals wieder zu treffen und mit ihnen ein ganzes Wochenende zu verbringen." Sie verbucht den WJT als "extrem wichtigen Impuls" für ihren Glauben und freut sich bis heute, dass sie damals eine von zwei Freiwilligen war, die sich als WJT-Mitarbeiter bei der ungarischen Bischofskonferenz beworben hatten.
Landwirt Röllgen pflegt den Papsthügel
Hubertus Röllgen, dem als Landwirt einige Parzellen des Marienfeldes gehören und dessen Gut Hohenholz in unmittelbarer Nachbarschaft liegt, hat sich mit seiner Familie die regelmäßige Pflege des Papsthügels zur Aufgabe gemacht. 2004 hat er auf dem Ackerboden Gras eingesät, damit die Pilgermengen, für die eigens befestigte Wege geschaffen wurden, in der Nacht vom 20. auf den 21. August nicht auf dem nackten Erdreich kampieren mussten. Später hat er hier Bäume gepflanzt, diese immer wieder auch bewässert und – als das notwendig wurde – auch einen Bodenaustausch vorgenommen und neue Pflanzen gesetzt.
Dass 20 Jahre später fast alle einen Sitzplatz haben, ist ihm zu verdanken. Und auch, dass der Rasen des weitläufigen Geländes zum Festtag frisch gemäht ist. "Weil ich zu diesem Platz eine besondere Verbindung habe", argumentiert Röllgen, dessen Vater sich schon auf dem Papsthügel nützlich gemacht hat und dessen Erbe er damit angetreten ist. Immer wieder komme er einfach auch mal zwischendurch hierher, um sich zu kümmern. "Weil ich damit für mich die Erinnerung an den WJT wach halte", schildert er seine Motivation.
Jo Klinger, im Kirchenvorstand von St. Simeon in Fliesteden, gehört zu einem Helferteam, das für die Logistik an diesem Tag verantwortlich ist. Schon vor 20 Jahren war er bei den Vorbereitungen mit dabei. "Gigantisch" sei es gewesen, inmitten der einen Million Jugendlichen auf diesem Feld zu stehen, erinnert sich der 68-Jährige. "Wann hat man schon Gelegenheit, mit dem Fahrrad zum Papst zu fahren!"
Aber auch die Stadt Köln habe er damals anders als sonst erlebt. "Eigenartig positiv und alles war friedlich – trotz der vielen Jugendlichen. Eine super Woche war das!" Nun ist er bei den Ersten, die beherzt zur Stelle sind, als eine heftige Windböe das zum Schutz vor Regen errichtete Zelt über dem Altar wegfegt und auch die Kerzenleuchter und die Mikrofonanlage mit sich reißt – noch bevor es losgeht.
Worst case-Szenario: Vor der Messe Regen in Strömen
Alle Stoßgebete haben nichts genützt. In diesem Jahr hängen die Wolken schwer über dem Marienfeld. Der Himmel hat sich zum Abend hin dunkelgrau gefärbt und lässt für diese alljährliche Opern-air-Veranstaltung das Schlimmste vermuten. Und in der Tat: Der worst case tritt ein. Etwa eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn öffnet der Himmel seine Schleusen, und es beginnt, in Strömen zu regnen. Jetzt ist regenfeste Kleidung gefragt. Die vielen aufgespannten Schirme richten fast nichts aus gegen das peitschende Nass von oben, das allem Optimismus zum Trotz – dafür Wetter-App-gerecht – als Unwetter über dem Hügel hereinbricht.
Küsterin Michaela Rommerskirchen aus Bergheim-Ost bringt der gefürchtete Guss zunächst nicht aus der Ruhe. Kelche und Hostien lagern derweil noch trocken in der "Sakristei", einem weiteren aufgespannten Zelt. Nur wie die stoffbezogenen Sedilien, die ungeschützt im Regen stehen, wieder trocken bekommen, bevor die Priester und Diakone dort Platz nehmen? Diese Sorge treibt sie dann doch um.
Grüße von Erzbischof Kardinal Woelki
Erzbischof Koch nimmt das Wetter mit Humor. Irgendetwas hätte ohne diese dicke Wolke doch gefehlt, meint er scherzhaft bei seiner Begrüßung, kaum dass der Schauer pünktlich zum Messbeginn nachlässt und der eine oder andere kräftige Sonnenstrahl die Wolkendecke aufbricht. So aber dürfe man sich der Anwesenheit Gottes gewiss sein, lacht der Hauptzelebrant.
Und dann begrüßt erst einmal Kreisdechant Brennecke, der diese Feier zum letzten Mal ausrichtet, die vielen Anwesenden und freut sich sichtlich über die große Zahl, die den alljährlichen WJT-Gedenkgottesdienst mitfeiern. Er überbringt die Grüße von Erzbischof Woelki, der zeitgleich im Kölner Dom eine Dankmesse anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Domradios feiere, wie er erklärt und betont schmunzelnd einmal mehr, dass man auf dem Papsthügel dem Himmel stets gute zehn Meter näher sei.
Außerdem formuliert er sein persönliches Herzensanliegen, dass auch in Zukunft die Tradition dieses Gottesdienstes fortgesetzt werde, und dankt allen, die das mit ihrem Einsatz Jahr für Jahr möglich machten. Angefangen bei der Feuerwehr, über die Schützen bis hin zu den Jugendgruppierungen, Messdienern und Chorsängern.
In seiner Predigt rückt Erzbischof Heiner Koch dann die große Hoffnung des christlichen Glaubens mit der Zusage "Alles wird gut" in den Mittelpunkt, "weil Gott hinter allem steht". Er betont: "Als Christen sind wir auf einem hoffnungsvollen Weg." Hoffnung sei keine Illusion.
Zunächst erinnert er an die Hoffnungszeichen, die vom Kölner Weltjugendtag vor 20 Jahren ausgegangen sind: an die Zigtausenden, die damals im Rhein gestanden oder das Ufer gesäumt hätten, als Papst Benedikt auf einem Schiff nach Köln gekommen sei; an den Besuch des Heiligen Vaters in der Synagoge; an die Teilnahme von Jugendlichen aus kommunistischen und muslimischen Herkunftsländern; an die Feier zur Aufrichtung des WJT-Kreuzes in einer Nacht des Schweigens.
Angesichts der vielen Hoffnungslosigkeit in der Welt – namentlich nennt er die Kriege in der Ukraine, in Gaza und dem Sudan – aber auch der Unsicherheiten in der Kirche, sei es gut, dass es solche großen Momente der Hoffnung gebe, ruft er der versammelten Gemeinde zu.
Exemplarisch macht er diese Hoffnung an den Heiligen Drei Königen fest, die zu wahren Hoffnungsträgern geworden seien. Vor allem aber seien sie entschiedene Menschen gewesen, die Gott mehr als den Menschen zugetraut hätten, erklärt Koch. Sie waren damals der spirituelle Dreh- und Angelpunkt dieser großen Wallfahrt, und sind es auch an diesem Abend. Denn wieder lautet das Motto "Venimus adorare eum".
Kirche als Lern- und Hoffnungsgemeinschaft
"Hoffnung ist eine Entscheidung, kein Gefühl", unterstreicht der Erzbischof. Als eine kleine Gemeinschaft hätten die Heiligen Drei Könige zusammengehalten und einander gestützt. "Auch wir stützen einander. Als Kirche sind wir eine Lern-, aber auch eine Hoffnungsgemeinschaft", stellt er fest. Es gäbe 1000 Gründe für Pessimismus und mitunter nur wenige, hoffnungsvoll zu sein. Gerade aber deshalb müsse die Hoffnung gestärkt werden.
"Als Christen sind wir dafür da, Zeichen der Hoffnung zu setzen." Und da sei jede und jeder wichtig. Jeder könne Zeichen der Hoffnung setzen – und wenn nur in kleinen Schritten, wie zum Beispiel mit Geduld und Treue. Am Ende dankt Koch allen, die mit ihrer Anwesenheit zur Hoffnung ermutigten. "Setzen wir Zeichen der Hoffnung!", so sein eindringlicher Appell.
Spätestens dann, wenn der typische Weltjugendtag-Song "Jesus Christ, you are my life…" erklingt, sich alle beschwingt dazu bewegen und in die Hände klatschen, ist wieder ganz präsent, was sich am 21. August 2005 auf dem Papsthügel des Marienfeldes in Frechen ereignet hat und als nachhaltiger Impuls in die Welt ausstrahlte. Denn an keinem anderen Ort ist diese einmalige Atmosphäre von damals so authentisch erlebbar wie an diesem.
"Diese WJT-Lieder singen wir bis heute in unserer Gemeinde“, freut sich eine Mittfünfzigerin aus Oberaußem, als sie beim Aufräumen noch immer die Melodie vor sich her summt. "Von ihrer Inspiration haben sie nichts eingebüßt. Da kann es einem immer noch kalt über den Rücken laufen. Schließlich geht von ihnen eine geistliche Intensität aus, die mich bis heute im Alltag begleitet."