Erster Bundestagseinzug der Grünen vor 35 Jahren

Exoten mit Turnschuhen und Sonnenblume

Eher leger, teilweise in Strickpullis - so sind genau vor 35 Jahren die "Grünen" das erste Mal in den deutschen Bundestag eingezogen. Christa Nickels war eine der ersten Abgeordneten - und als bekennende Katholikin nicht allein auf weiter Flur.

Grünen-Bundesparteitag / © Rainer Jensen (dpa)
Grünen-Bundesparteitag / © Rainer Jensen ( dpa )

DOMRADIO.DE: Ihre damals junge Partei hat bei der Wahl am 6. März 1983 den Sprung über die 5-Prozent-Marke geschafft - mit 5,6 Prozent der Stimmen und 27 Mandaten. Hätten Sie es damals für möglich gehalten, dass die Grünen es schaffen, in den Bundestag einzuziehen und dann noch so lange dabei zu bleiben?

Christa Nickels (Politikerin und Gründungsmitglied der Grünen in Nordrhein-Westfalen): Im Jahr 1979 hab ich die Partei mitgegründet und bin schon davon ausgegangen, dass wir eine reale Chance haben. Allerdings war es eine Zitterpartie, das muss man sagen. Es ging dann vor der Bundestagswahl 1983 eine Weile lang rauf und runter. Immer rund um die fünf Prozent.

Aber wir sind dann reingekommen, und wir hatten ja nicht vor, da nur für unseren Spaß hinzugehen. Wir wollten grundlegend etwas verändern, was uns schon ewig auf der Seele brannte und wo wir der Meinung waren, da passiert nichts. Das war dann natürlich ein absolutes Aufbruchsgefühl, dass wir es dann wirklich geschafft hatten. Also das war schon großartig.

DOMRADIO.DE: Sie waren ja damals schon bekennende Christin und hatten auch später eine Funktion beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Wie hat Ihre Partei darauf reagiert? Das passte ja eigentlich gar nicht zusammen.

Nickels: Es passte schon zusammen. Es wird oft ausgeblendet, dass die Partei aus vielen Strömungen und Bewegungen entstanden ist. Dazu gehörten auch viele engagierte Katholiken und Christen. Aber Sie haben schon Recht. Ich hatte damals schon zwei Kinder und ich war schon seit einigen Jahren Krankenschwester. Damit war ich schon sozusagen ein Exot in dieser Gruppe.

Ich bin dann fünf Mal für den Bundestag aufgestellt worden. Das waren jedes Mal Kampf-Kandidaturen, in denen auch immer zur Sprache kam, dass ich zwar gegen den Strafparagraph 218 bin, aber ich auch der Meinung bin, man sollte alles tun, um eine Abtreibung zu verhindern. Das war jedes Mal ein riesen Thema. Und ich bin deshalb auch nicht in die erste Bundestagsfraktion gewählt worden. Es ist vieles ausdiskutiert worden. Dies war eine gute Sache, weil wir dann auch bestimmte Grunddiskussionen im Bereich von Menschenwürde am Anfang und am Ende des Lebens, aufgrund dieser offenen Streit-Kultur im Bundestag auch für die Gesellschaft durchkämpfen konnten.

DOMRADIO.DE: Wie hat sich denn in den letzten 35 Jahren das Verhältnis der Grünen zur Kirche verändert?

Christa Nickels: Das hat sich auch exemplarisch an mir stückweit abgearbeitet und ausgetobt. Aber ich bin auch eine Bauerntochter mit einem breiten Kreuz, die das aushalten konnte. Aber leicht war es nicht immer. Als wir beispielsweise 1986 in Aachen den Katholikentag mit Bischof Hemmerle hatten, der sehr offen ist, da wurde noch das Tischtuch für zerschnitten erklärt und wir durften nicht an dem Katholikentag teilnehmen. Wir waren dann nur von unten dabei. Aber wenn man standhält, dann verändert sich etwas.

Und das hab ich auch in meiner eigenen Biografie erlebt, als ich dann 2001 als erste Grüne zum Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken gewählt wurde und zwar mit den drittmeisten Stimmen. Das war schon phänomenal. Ich finde, dass das eine ehrliche Entwicklung war. Es ist hart erkämpft worden, von beiden Seiten. Es wurde sich im guten Sinne nichts geschenkt und beide Seiten sind klüger geworden. Heute sind die Grünen und die großen christlichen Kirchen in vielen Fragen, wenn es um die Flüchtlinge geht, um Frieden, um Umweltschutz und Gerechtigkeit, in vielen Punkten wirklich auch Akteure, die sich gegenseitig unterstützen.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Die Grünen im Bundestag 1983 / © Martin Athenstädt (dpa)
Die Grünen im Bundestag 1983 / © Martin Athenstädt ( dpa )

Bundesadler im Bundestag / © Ralf Hirschberger (dpa)
Bundesadler im Bundestag / © Ralf Hirschberger ( dpa )
Quelle:
DR