Erste Volksprobe für die Passion in Oberammergau

Wenn Jesus bei Minustemperaturen in Jerusalem einzieht

Der Esel war noch nicht dabei. Aber 450 erwachsene Darsteller und 80 Kinder begrüßten am Samstag auf der Passionsbühne in Oberammergau Jesus mit lauten und begeisterten "Hosianna"-Rufen. Und das bei zwei Grad Minus.

Autor/in:
Barbara Just
Der Spielleiter der 42. Passionsspiele Oberammergau, Christian Stückl (l), steht mit einem der beiden Jesus-Darsteller, Rochus Rückel (2.v.l.), bei der ersten großen Probe mit Volk auf der Bühne / © Angelika Warmuth (dpa)
Der Spielleiter der 42. Passionsspiele Oberammergau, Christian Stückl (l), steht mit einem der beiden Jesus-Darsteller, Rochus Rückel (2.v.l.), bei der ersten großen Probe mit Volk auf der Bühne / © Angelika Warmuth ( dpa )

Es ist kurz vor 15 Uhr am Samstagnachmittag. Am Oberammergauer Passionsspielthater hat sich am vorderen Eingang "O" auf der Ostseite eine lange Schlange gebildet. Eingemummt in warme Jacken, Schals und Mützen warten die Leute auf den Einlass.

Ein weißes Papierband am Handgelenk zeigt, dass jeder der langhaarigen und bärtigen Mitwirkenden die Corona-Schnelltests im Foyer erfolgreich absolviert hat. Endlich öffnet sich das Tor. Jetzt kann losgehen, worauf Alt und Jung sehnsüchtig warten: Die erste Volksprobe für die Passion 2022.

Das Passionstheater in Oberammergau / © footageclips (shutterstock)
Das Passionstheater in Oberammergau / © footageclips ( shutterstock )

Doch bevor auf der Bühne die lauten "Hosianna"-Rufe für Jesus beim Einzug in Jerusalem erschallen, ist weiter Geduld angesagt. Während andere bei solchen Menschenmengen den Überblick verlieren, bringt den in eine Strickjacke gewandeten, hochgewachsenen Christian Stückl nichts aus der Ruhe.

Mit seinen langen Armen dirigiert er die gut 450 Erwachsenen. Auch eine Schar von 80 Kindern - ab der ersten Klasse dürfen Mädchen und Jungen als Gruppenformation mitmachen - hat sich eingefunden. "Die Kinder kommen alle zu mir", sagt der Regisseur und lässt sie sich auf der nur mit einem Zeltdach geschützten, aber ansonsten offenen Bühne versammeln.

Geprobt wird noch ohne Kostüme

"Die habe ich ganz vergessen gehabt", gibt Stückl später zu. Zu spüren ist davon aber nichts, wenn er als erstes mit den Kleinen probt.

Erste große Probe für die 42. Passionsspiele Oberammergau / © Angelika Warmuth (dpa)
Erste große Probe für die 42. Passionsspiele Oberammergau / © Angelika Warmuth ( dpa )

Gebannt folgen die Kinder seinen Anweisungen und sind voll bei der Sache, wenn sie gemeinsam "Heil dir" und "Dich preisen wir" laut zum Besten geben dürfen. Danach sind die Erwachsenen dran. Heute noch ohne Kostüme. Das ist auch besser so. Durchgehend zwei Grad Minus herrschen in der bayerischen Bergwelt. Von den 28 Grad plus, die es zur selben Zeit am Originalschauplatz in Jerusalem hat, lässt sich hier nur träumen. 

Die Palmzweige sind im Volk verteilt, damit sie ihrem "Jesus" auch begeistert zuwedeln können. Nach ersten Instruktionen schickt Stückl alle in den hinteren Teil der Bühne. Er kontrolliert, dass wirklich keiner gesehen werden kann. Beim Start der Musik vom Band darf das Volk unter "Hosianna"-Rufen nach vorne kommen. Traditionell wird von der linken und rechten Seite durch die "Pilatus"- und "Annas"-Gasse auf die Mitte der Bühne eingezogen. Doch Vorsicht! Bühnenbildner Stefan Hageneier hat aus optischen Gründen eine Stufe auf den Wegen eingebaut. Daran bitte denken und ja nicht stolpern.

Der Esel ist nicht dabei

Aufnahmen für den Bildband der Oberammergauer Passionsspiele / © Angelika Warmuth (dpa)
Aufnahmen für den Bildband der Oberammergauer Passionsspiele / © Angelika Warmuth ( dpa )

Eigentlich hätte heute auch "Aramis" seinen ersten Auftritt gehabt. Doch der Esel, der in der laufenden Spielzeit den vor zwei Jahren noch aktiven "Sancho" ersetzt, fehlt. Seine Besitzer sind krank. Nun muss es ohne tierische Unterstützung gehen. Stückl ist darüber nicht unglücklich. Tags zuvor sei bei der technischen Probe des Kreuzaufstellens zwar alles gut gegangen, erzählt er, "aber dann kam der Gaul". Das Pferd, auf dem der römische Offizier reitet, sei so nervös gewesen, dass sich das aufs Volk übertragen habe: "Da war der Unfriede da."

Ein eigens montiertes Geländer in der Bühnenmitte sorgt dafür, dass niemand in den Orchestergraben fällt. Bei der Aufführung wird es nicht mehr da sein. Deshalb schärft der Spielleiter den Mitwirkenden ein, dass sie immer gut einen Meter Abstand halten sollen. Das Volk feiert indes nicht nur seinen "König", gleich danach kommt es schon zum ersten verbalen Schlagabtausch von Jesus mit seinen Kritikern vom Hohen Rat.

Eine Darstellerin der 42. Passionsspiele Oberammergau blickt bei der ersten großen Probe mit Volk in das Textbuch / © Angelika Warmuth (dpa)
Eine Darstellerin der 42. Passionsspiele Oberammergau blickt bei der ersten großen Probe mit Volk in das Textbuch / © Angelika Warmuth ( dpa )

Stückl hat dafür komprimiert die Worte Jesu aus den Evangelien zusammengefasst. Bei Sätzen wie "Selig die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt" hört man in diesen Tagen ganz anders hin. "Wir tun so, als ob der Ukraine-Krieg der erste ist", sagt der Spielleiter. Doch auch vor zwei Jahren sei schon Krieg gewesen, in Syrien oder im Jemen.

Wie geht es ihm nach seinem jüngsten Herzinfarkt gesundheitlich? "Die Pumpe läuft wieder", sagt Stückl. Und noch etwas verrät der langjährige starke Raucher auf Nachfrage: Seit vier Wochen hat er damit aufgehört. Nur mit einer Holzzigarette schockt er bisweilen sein Gegenüber, wenn er um Feuer bittet - ein kleiner Scherz, der immer wieder zündet.

Quelle:
KNA