Erfahrungen mit dem Kombilohn in NRW

Vom ersten Gehalt haben wir ein Eis gegessen

Durch das Kombilohnmodell können Langzeitarbeitslose in Nordrhein-Westfalen wieder in reguläre Jobs kommen. Doch ist Kombilohn kein Mittel, um insgesamt die Arbeitslosigkeit deutlich zu verringern, meint der Koblenzer Arbeitsmarkt-Experte Stefan Sell. Er kritisiert die Politiker, weil sie keine wirklichen Lösungen anbieten.

 (DR)

"Wir haben zuerst ein riesengroßes Eis mit den Kindern gegessen", sagt Irene Biekötter und lacht, als sie erzählt, was sie mit ihrem ersten Gehalt gemacht hat. Der fünfköpfigen Familie war es egal, dass schon November war. Seit die 39-Jährige ihre Kombilohnstelle im Altenpflegeheim St. Hedwig im westfälischen Ibbenbüren hat, können die Eltern ihren Kindern endlich wieder solche Wünsche erfüllen.
Irene Biekötter und ihr Mann Wolfgang sind glücklich.

Ohne ihren neuen Job im Pflegeheim, wo sie bügelt, die Wäsche der Bewohner sortiert und Waschmaschinen ein- und ausräumt, müsste die Familie immer noch vom Arbeitslosengeld leben. Doch das Kombilohnmodell des Landes Nordrhein-Westfalen änderte ihre Lage. Es sieht vor, dass dem Arbeitgeber 21 Prozent seiner Lohnkosten ersetzt wird. Dafür soll er eine neue Stelle schaffen. Der Arbeitnehmer erhält ebenfalls 21 Prozent zu den Lohnnebenkosten dazu, damit es sich für ihn lohnt, einen gering bezahlten Job anzunehmen und aus dem Arbeitslosengeld-II-Bezug herauszukommen.

NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) will damit die Alg-II-Bezieher, die nach menschlichem Ermessen auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben, in Lohn und Brot bringen. Dafür nutzt das Modell die bestehende Sozialgesetzgebung. Dort ist vorgesehen, dass ein Arbeitsloser einen Lohnzuschuss erhält, "wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist" (SGB II § 29 Abs. 1). Zustimmung erhält Laumann von den Caritas-Verbänden des Landes, die Kombilohnstellen in ihren Einrichtungen schaffen wollen.

"Wir sind der Meinung, dass für eine bestimmte Personengruppe der Kombilohn eine Möglichkeit darstellt, Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu erhalten", sagt Heinz-Josef Kessmann, Direktor des Caritasverbandes im Bistum Münster. Langzeitarbeitslose und ältere Erwerbslose sind für ihn die Zielgruppe.

Doch das Arbeitsministerium habe lediglich Eckpunkte erstellt, die den groben Rahmen der Förderung vorgeben, kritisiert der Arbeitsmarktexperte und Professor für Volkswirtschaft, Stefan Sell.
Kommunen und Kreise setzten das Modell daher jeweils auf ihre Weise um, hat auch die Caritas erfahren müssen. So fördert ein Kreis über das Kombilohnmodell hinaus, der andere setzt das Modell gar nicht um.
"Da gibt es ganz unterschiedliche Modelle, selbst innerhalb des Bistums Münster. "Das macht mit Sicherheit einen Teil der Koordinierungsarbeit etwas schwierig", bemängelt Kessmann.

Die unklaren Vorgaben des Landes führen dazu, dass zum Beispiel der Kreis Steinfurt die Arbeitgeber mit 42 Prozent Zuschuss zu den Lohnkosten fördert, die Arbeitnehmer aber gar nicht. "Es gibt genügend Arbeitslose, die in den Niedriglohn wollen", begründet Christoph Felix von der "Steinfurt Arbeitsförderung Kommunal" das Modell des Kreises.

Michaela Schneck, die im münsterländischen Saerbeck voraussichtlich für ein Jahr Akten für eine haltbare Lagerung präpariert, hat dadurch knapp 1.000 Euro in der Tasche. Sie ist froh, Arbeit zu haben. Die ungelernte 38-Jährige will mit ihrem ersten Lohn das geliehene Geld zurückzahlen, mit dem sie Kohlen für ihre Heizung gekauft hatte.

Arbeitsmarkt-Experte Sell beanstandet, dass der Kombilohn maximal zwei Jahre bezahlt werde, im Grunde aber auf Dauer ausgelegt sei.
Denn niemand, der im Niedriglohnsektor arbeite, werde ohne die Subvention eine Produktivität erreichen, die die Lohnkosten decke oder gar dem Arbeitgeber noch Gewinn bringe. "Schwierig ist auch, dass mit dem Kombilohn nicht zu viele Personen unterstützt werden dürfen, sonst ist das nicht finanzierbar", sagt Sell.

Wer von den Arbeitslosen eine der Kombilohnstellen erhält, entscheiden die Optionskommunen, die Arbeitsgemeinschaften der Kommune und der Arbeitsagentur und die Arbeitgeber. Bleibt der Arbeitnehmer ein Jahr in dem neuen Job, erwirbt er wieder ein Anrecht auf Arbeitslosengeld I. In Großbritannien und den USA funktioniert der Kombilohn seit Jahren, weil es dort ein wesentlich geringeres soziales Sicherungsniveau gibt, sagt Sell. Damit Kombilohn in Deutschland flächendeckend bezahlbar wird, müsste die Grundsicherung deutlich abgesenkt werden. Das hätte aber in Gebieten, in denen trotz Subventionierung keine Arbeitsplätze entstehen können, verheerende Folgen. Deshalb warnt der Volkswirtschaftler davor, Kombilohn für alle Arbeitslosen anzubieten.