Entwicklungsminister Niebel besucht auf Afrikareise Flüchtlingslager im Ost-Kongo

"In einem Tag wird man nicht zum Experten"

Auf seiner einwöchigen Afrikareise nach Ruanda, die Demokratische Republik Kongo und Mosambik nimmt Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel nicht nur offizielle Termine mit Politikern wahr, er trifft auch die Menschen vor Ort. Ellen Großhans war bei seinem Besuch im UN-Flüchtlingslager Muganga III in Goma im Ost-Kongo dabei.

Autor/in:
Ellen Großhans
Neues Terrain: Niebel im Flüchtlingscamp (epd)
Neues Terrain: Niebel im Flüchtlingscamp / ( epd )

Teresa macht jetzt Körbe. Wenn sie vor der Hütte sitzt und das biegsame Material in ihren Händen spürt, kommt sie zur Ruhe.
Sie vergisst, wie viele Mitglieder ihrer Familie getötet wurden. Beim Flechten der Körbe denkt sie nicht daran, wie ihre Nichten brutal vergewaltigt wurden oder ihr Schwager verblutete. Teresa ist dem Krieg entkommen und hat Zuflucht gefunden im UN-Flüchtlingslager Muganga III in Goma im Ost-Kongo.

Heute will die 45-Jährige dem wichtigen Mann aus dem fernen Deutschland erzählen, wie sie ins Lager gekommen ist und warum sie dort noch immer nicht weg kann. Sie hat sich genau überlegt, was sie sagen will. Die neunfache Mutter hofft sehr, dass der fremde Mann sie versteht. Als aber die vielen Menschen mit Kameras und Fotoapparaten plötzlich in die Hütte platzen, fängt Teresas Baby an zu schreien.

Der große Blonde
Der große blonde Minister aus Deutschland schaut sie erwartungsvoll an. Doch ihr Kind brüllt so laut, dass sie niemand versteht. Teresa schluckt und drückt ihr Baby kurzerhand einer anderen Frau in den Arm. «Danke, dass wir hier in Sicherheit sind», sagt sie zu dem deutschen Entwicklungsminister. Noch sei sie traumatisiert, aber langsam komme der Alltag zurück. «Wir haben gelernt, hier etwas herzustellen. Wir machen Körbe. Bitte helfen Sie uns, dass wir weiter Körbe machen können», sagt Teresa.

Der Mann aus Deutschland scheint Teresa verstanden zu haben. Er kramt nach seiner Brieftasche. «Wir nehmen vier Körbe», sagt Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP). «Die kriegen die Damen im Vorzimmer.»

Schreckliche Schicksale
Schicksale wie die von Teresa bekommt Niebel bei seinem Besuch im Flüchtlingslager Muganga III am Sonntag unentwegt zu hören. Er sieht zu, wie die Frauen auf dem offenen Feuer ihre kärgliche Essensration kochen und er inspiziert die primitiven Zelte, in denen die Familien auf engstem Raum hausen. Niebel schwitzt unter seiner Gebirgsjägermütze, ein Relikt aus seiner Zeit als Fallschirmjäger.

Doch er hört zu und er nickt, wenn ihm Flüchtlinge erzählen, dass sie ohne die Nothilfe des Ministeriums und des UN-Flüchtlingshilfswerks keinen Ort hätten, an den sie gehen könnten.

In der Demokratischen Republik Kongo gibt es derzeit mehr als zwei Millionen Vertriebene. Mehr als 300.000 kongolesische Flüchtlinge befinden sich noch in den umliegenden Ländern Ruanda, Uganda oder Tansania. Die unzähligen ethnischen Konflikte und die jahrzehntelange schlechte Regierungsführung haben die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur im Land völlig zerstört. Im Osten Kongos kommt es immer wieder zu Kämpfen. Nach UN-Angaben ist humanitäre Situation für die zusammen rund neun Millionen Einwohner der an Ruanda grenzenden Provinzen Nord- und Süd-Kivu eine der schlimmsten weltweit.

Konflikte dauern an
Noch im Flüchtlingslager sagt Niebel dem kongolesischen Fernsehen, die Regierung unter Präsident Joseph Kabila sei in der Pflicht, das Land befrieden, damit die Vertriebenen schnell in ihre Heimat zurückkehren könnten. Doch in dem zentralafrikanischen Land, das sechsmal so groß ist wie Deutschland, dauern Stammes- und Landkonflikte auch nach dem Friedensschluss zwischen Rebellen und Regierung an.

«Die Entwicklung im Kongo ist schlicht nicht linear. Hier gibt es keinen Krieg oder Frieden. Hier ist alles gleichzeitig», sagt Karl Steinacker, Koordinator des UN-Flüchtlingshilfswerks für den Kongo. Die Stammesfürsten entschieden täglich neu, ob ein militärisches Vorgehen für sie doch nicht die bessere Option sei.

Niebel bilanziert am Abend, dass die Entwicklungen im Land doch sehr unterschiedlich seien. «In einem Tag wird man nicht zum Kongo-Experten.» Teresa dagegen, die vor ihrer Hütte im Flüchtlingslager Muganga III sitzt, ist mit dem Tag vollauf zufrieden. Sie hat dem Mann aus Deutschland gesagt, was für sie zählt. Und die Hoffnung auf ein besseres Leben gibt sie wie so viele Flüchtlinge im Ost-Kongo nicht auf. Irgendwann, glaubt sie fest, wird sie wieder in ihrem eigenen Haus sitzen und Körbe flechten.