Enthaltsamkeit vor der Ehe ist kaum noch gefragt

Warten auf den Richtigen

Die kirchliche Aufforderung zur vorehelichen Enthaltsamkeit geht offenbar an der Lebenswirklichkeit vieler junger Katholiken vorbei. Jungfräulich in die Ehe zu gehen - das schaffen nur wenige.

Autor/in:
Esther von Krosigk
Junges Paar / © Hendrik Schmidt (dpa)
Junges Paar / © Hendrik Schmidt ( dpa )

Keusch in die Ehe zu gehen - viele Christen tun sich damit heutzutage schwer. Zwar gibt es auch bei ihnen Initiativen wie "Wahre Liebe wartet". Doch das Gros der Gläubigen hält Enthaltsamkeit vor der Ehe für ein reines Ideal - und ein Lust-loses Dasein vor dem Gang zum Traualtar für wenig erstrebenswert.

Papst Franziskus bekräftigt Wert der Keuschheit

"Etwa 90 Prozent der Paare, die ich getraut habe, leben vorher schon miteinander", berichtet Norbert Fink, katholischer Kreisjugendseelsorger im Bergischen Land bei Köln. Es sei "die Ausnahme, dass junge Menschen aus religiösem Grund auf Sex verzichten". Dabei hat auch Papst Franziskus in seinem nachsynodalen Schreiben "Amoris laetitia" ("Freude der Liebe") gerade erst den Wert der Keuschheit vor der Ehe bekräftigt.

Doch Papst hin - Katechismus her: Sich als Paar vor der Ehe in jeder Hinsicht "auszuprobieren" - auch sexuell - wird auch von vielen Kirchenvertretern weitgehend toleriert. Der Moraltheologe Andreas Laun, Weihbischof der Erzdiözese Salzburg, sieht den Wendepunkt für diese Entwicklung in einer "innerkirchlichen Zerrissenheit" seit "Humanae Vitae". Die als "Pillen-Enzyklika" in die Geschichte eingegangene Schrift Pauls VI. war Ende der 1960er Jahre die nach langem Ringen erarbeitete Antwort des damaligen Papstes auf das Aufkommen hormoneller Empfängnisverhütung.

Pille veränderte Moralvorstellungen

Denn dass die Pille nicht nur die Sexualgewohnheiten der Menschen, sondern auch ihre Moralvorstellungen verändern würde, war bereits absehbar. Proteste gegen die Vorgaben der Enzyklika, die einzig natürliche Methoden der Verhütung für moralisch vertretbar hält, blieben nicht aus, selbst von hohen Kirchenvertretern. Sogar Bischöfe seien mit "gutgemeinten, aber falschen Erklärungen ausgewichen", so Weihbischof Laun. Viele Theologen hätten "den Irrtümern den Weg bereitet und mitgewirkt, viele tun es heute noch". Die Kirche, so Laun, müsse "die Liebe zur Liebe" propagieren und nicht den Freibrief für eine ausgelebte Sexualität.

Doch bei aller Liberalität - einige entscheiden sich doch ganz bewusst, gegen den Strom zu schwimmen: Sie wollen auf den Richtigen oder die Richtige warten, um sich erst nach dem offiziellen Ja-Wort "einander zu schenken", wie sie sagen. Für sie ist das das ganz hohe Lied der Liebe, die ausschließlich ist und meist in tiefem Glauben gründet. So wenigstens erklärt der Schweizer Thomas Schneider* seine Einstellung, die ihn erst mit über 30 Jahren zu seiner Frau Theresa* führte - auf einer Wallfahrt, als beide aufgrund ähnlicher Körpergröße als Träger einer Muttergottes-Statue ausgewählt wurden.

Er ging jungfräulich in die Ehe, sie auch. Während Theresa in der Pubertät durchaus eine Phase hatte mit Bedenken gegenüber den Vorgaben der Kirche, gab es für Thomas nie einen Zweifel: "Ich hatte immer so ein Urvertrauen in Gott, dass sich das Warten lohnt." Übereinstimmung im Glauben und eine ähnliche Geisteshaltung war und ist ihnen weitaus wichtiger, als vorab zu testen, ob es auch im Bett zusammen klappt.

Enthaltsamkeit als Sinnbild für Treue?

Und noch ein weiterer Aspekt ist vielen wichtig: "Mit der Enthaltsamkeit vor der Ehe zeigt man sich, dass man auch danach treu sein kann", ist Joachim Ochs, Maschinenbau-Student aus Darmstadt, überzeugt. Mäßigung vorab könnte daher auch für freigeistige Menschen eine gute Erfahrung und eine Art Liebesbeweis füreinander sein, führt der 20-Jährige an, der aus einer katholischen Familie mit sechs Geschwistern stammt.

Ähnlich sieht es die 37-jährige Anna Löbel (Name geändert, Anm. der Redaktion) aus Köln. Auch sie lebt bewusst enthaltsam, bis sie im September heiraten wird. Ihrer Meinung nach missverstehen viele Frauen und Männer ihre Freiheit, wenn sie eine Affäre nach der anderen eingehen. Die Folge sei, so Löbel, dass der jeweilige Partner den Respekt vor ihnen verliere: "Männer wollen keine Frauen, die sich jedem hingeben, und Frauen keine Männer, die ständig neue Abenteuer suchen."

Weihbischof Schwaderlapp wirbt für voreheliche Abstinenz

Geduld zu haben und abwarten zu können - das scheint zu den schwierigsten Herausforderungen in Sachen Liebe zu gehören, beobachtet auch der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp: "Mit der schnell ausgelebten Sexualität gibt der Mensch sich lediglich mit der Illusion von Liebe zufrieden. Die da heißt: Hol' dir Dein Glück: Jetzt! Sofort! Aber genau das führt nicht zum Glücklichsein." Er vergleicht die voreheliche Abstinenz gerne mit den temporären Entbehrungen der Sportler in einem Trainingslager. Denn das große Spiel soll gelingen - und das nicht nur 90 Minuten lang, sondern für immer.


Quelle:
KNA