Ende ohne Schrecken

Sommer mit Jerzy 6

Es duftet nach Lavendel. In der Früh wecken uns die Vögel, ein Brunnen plätschert. Nachts hängen Lampions im hohen Baum in der Mitte des Gartens. Ab und zu erlischt einer. Umso heller funkeln dann die Sterne darüber. Es könnte eine Ferienidylle in Zimmer Drei sein.

Hoffnung / © Krumpen
Hoffnung / © Krumpen

Ist es aber nicht. Die "Lampions" sind in Wirklichkeit Zimmer im Bettenhaus der Uniklinik, in denen nachts noch Licht brennt. Wir machen keinen Urlaub. In den 15 Zimmern dieses  Rundbaus liegen Schwerkranke oder Sterbende. Wir, eine Freundin und ich, begleiten unseren sterbenden Freund Jerzy auf der Palliativstation der Uniklinik in Köln. 

Jerzy hat als Überlebender des Holocaust ein mehr als schweres Leben gehabt.  Aber eisern ignoriert er seine immer zahlreicher werdenden Krankheiten. Der Parkinson nimmt ihm die Geige, die Dialyse die Freiheit, der Krebs seinen Körper. Stoisch bietet Jerzy dem Krebs die Stirn, von dem er sagt: er will mich vernichten.

Sein Schicksal hat Jerzy misstrauisch werden lassen. Vertrauen kann er jahrzehntelang nur Frau und Sohn und Schwiegertochter. Es ist wie ein Wunder, als er es doch noch mal wagt. Mit Judith, einem Kind noch. Geigerin wie er. Mit ihr fliegt er nach Polen. Wir dokumentieren diese bewegende  Reise für die ARD. In der Folge gibt es ein Jugendbuch, Konzertlesungen in ganz Deutschland. Zeitungsartikel von Focus bis BILD, Filme vom Kinderfernsehen bis zu Frontal 21 – immer mehr Journalisten wollen seine Geschichte, inzwischen die vom letzten Überlebenden von Schindlersliste in Deutschland, erzählen. Jedes Mal ein Kraftakt für Jerzy, das Grauen neu zu erinnern. 

In den langen Stunden an seinem Bett, erzählen wir, was Zuschauer und Leser uns anvertrauten: Jerzy habe ihre Herzen berührt, ihren Lebensmut, ihren Durchhaltewillen gestärkt. Ihr Leben verändert. In einem Fall sogar von einem Selbstmord abgehalten. Aufmerksam nickt Jerzy, manchmal huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Als wir versprechen: wir werden deine Geschichte weiter erzählen – leuchten seine Augen.

Abschiedsschmerz, von Frau und Sohn und dem Leben, flammt auf. Menschen kommen von nah und fern. Lachen, erzählen, singen, beten, weinen. Das Leben fließt einfach weiter, in Zimmer 3. Ängste kommen noch mal hoch, auch heftige.

Ganz am Ende, mitten in der Nacht, ein großes Ausatmen. In nichts als Frieden.

Möge Jerzy in diesem Frieden jetzt ruhen. Und mögen wir von ihm und seiner kostbaren Geschichte lernen, diesen Frieden zu bewahren. Als sein Vermächtnis. Im besten Fall braucht dann  niemals mehr eine Geschichte wie die seine erzählt zu werden.