Berufungsgericht urteilt Ende Januar im Fall Barbarin

Ende eines dunklen Kapitels?

Seit Dienstag läuft in Lyon der Missbrauchsprozess gegen den Priester, wegen dessen Nichtanzeige sich auch Kardinal Barbarin vor Gericht verantworten muss. Am 30. Januar urteilt ein Berufungsgericht über den Erzbischof.

Autor/in:
Franziska Broich
Kardinal Philippe Barbarin / © Pierre-Antoine Pluquet (KNA)
Kardinal Philippe Barbarin / © Pierre-Antoine Pluquet ( KNA )

Würde man einen Imageexperten zum Erzbistum Lyon befragen, fiele das Urteil wahrscheinlich vernichtend aus. Es hätte kaum schlechter laufen können für die Kirche in den vergangenen Jahren. Seit 2016 beschäftigten sich nationale Medien immer wieder mit dem Missbrauchsskandal. Eine zentrale Rolle nimmt dabei Kardinal Philippe Barbarin (69) ein.

Begonnen hatte alles in den 80er Jahren. Damals soll ein heute 73-jähriger Priester, der für die Pfadfinder im Lyoner Stadtteil Sainte-Foy zuständig war, mehrere minderjährige Pfadfinder missbraucht haben. Dass der Priester pädophile Neigungen hatte, war bereits bekannt. Ende der 60er Jahre wurde ihm bereits eine Psychotherapie verordnet, damals war er Seminarist. 1991 wurde er zum Gespräch mit dem damaligen Lyoner Kardinal Albert Decourtray (1923-1994) einberufen.

Der Priester sprach ihm gegenüber eigenen Angaben zufolge von einer "langen Geschichte" bezüglich der Vergehen an den Kindern, erwähnte jedoch keine Details. Rückblickend sagte er während seines Prozesses, der seit 14. Januar läuft, bereits damals hätte es einen kanonischen Prozess gegen ihn geben müssen.

Was hat Barbarin wann erfahren?

Doch das war nicht der Fall. Der Priester blieb im Amt. 2010 empfing ihn Barbarin. Der Priester sollte eine Pfarrgemeinde im Erzbistum übernehmen. "Ich sagte Kardinal Barbarin, dass es zahlreiche Fakten (im Original "faits", es könnte auch mit Taten übersetzt werden) gibt", so der Priester im Prozess. Doch das ist der Knackpunkt.

Barbarin sagt, er habe erst später davon erfahren, dass der Priester mehrere Jungen missbraucht habe. Der Priester sagt auch: "Ich habe von zahlreichen Kindern gesprochen, aber bin nicht ins Detail gegangen." Dem widersprach Barbarin in seinem Prozess im Januar 2019.

Er habe erst 2014 davon erfahren. Blieb der betroffene Priester so unklar, dass Barbarin die Tragweite nicht verstand? Oder wollte er sie nicht verstehen?

Ein ehemaliger Pfadfinder hatte Barbarin nach eigenen Angaben im Juli 2014 informiert, von dem Priester in den 80er Jahren missbraucht worden zu sein. Der Kardinal schickte den Geistlichen im August 2015 in den Ruhestand. Doch die Richter befanden Barbarin für schuldig, weil er zwischen Juli 2014 und August 2015 über die Missbrauchsbeschuldigungen informiert war, diese aber nicht der Staatsanwaltschaft meldete. Dazu besteht in Frankreich die Pflicht.

Bereits 2016 war gegen Barbarin wegen Nichtanzeige sexueller Übergriffe des Priesters ermittelt worden. Damals stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach einigen Monaten ein; es habe keine Hinweise auf eine Straftat Barbarins gegeben.

Dann der zweite Prozess im Januar 2019. Mehrere Opfer sagten aus. Auch Barbarin sprach lange im Zeugenstand. Er beteuerte mehrmals seine Unschuld. "Ehrlich gesagt sehe ich nicht, wessen ich schuldig bin", sagte er während des Prozesses. Er habe nicht vermutet, dass er sich an die Justiz wenden müsse, "da die Fälle verjährt waren und das Opfer selbst bestätigt hat, dass es nichts mehr ändern könne". Im März sprachen die Richter Barbarin schuldig und verurteilten ihn zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe. Der Kardinal legte Berufung ein.

Von der Bildfläche verschwunden

Seitdem war Barbarin von der Bildfläche verschwunden. Er übertrug die Leitung des Erzbistums Lyon erst Generalvikar Yves Baumgarten, bevor Papst Franziskus übergangsweise den früheren Bischof von Evry-Corbeille-Essonnes, Michel Dubost (77), einsetzte. Barbarins Amtsverzicht hatte Papst Franziskus nicht angenommen. Da das Berufungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei, gelte die Unschuldsvermutung, so der Papst. Anfang Oktober traf Barbarin ein weiteres Mal Franziskus. Details über das Treffen wurden nicht öffentlich.

Nun folgt das Urteil im Berufungsverfahren. Sowohl der Staatsanwalt als auch der Anwalt von Barbarin plädierten am zweiten Tag des Berufungsprozesses für einen Freispruch des Kardinals, wie französische Medien berichteten. Der Staatsanwalt begründete seine Entscheidung mit Zweifeln. Die Verurteilung des Kardinals wegen Nichtanzeige eines Priesters und mutmaßlichen Missbrauchtäters wäre seiner Meinung nach eine "weitreichende Auslegung" des Rechts. Der betroffene Priester wurde im Juli 2019 wegen Missbrauchs von einem Kirchengericht aus dem Klerikerstand entlassen.

Für die Opfer bedeuten die Prozesse gegen den Priester und Barbarin weit mehr als juristische Klarheit. Viele von ihnen leiden noch heute unter den Folgen. Sie fragen sich, wie ausgerechnet ein Priester so handeln und die Kirche ihn jahrelang decken konnte. Sie fordern eine Anerkennung des Leids, das sie oft bis heute durchleben.


Quelle:
KNA
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