Einige belgische Katholiken wollen sich "ent-taufen" lassen

"Der Wut Ausdruck geben"

Eine Taufe gilt auf ewig. In Belgien wollen tausende Christen das Sakrament nun allerdings "zurückgeben". Normalerweise wird in diesem Fall ein Vermerk im Taufregister gemacht. Das reicht aber nicht aus, sagt das EU-Datenschutzrecht.

Symbolbild Kirchenaustritt / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Kirchenaustritt / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Hintergrund für den Wunsch nach "Ent-Taufung" ist eine Fernsehdokumentation über sexualisierte Gewalt in Belgien. Da man in Belgien nicht wie in Deutschland aus der Institution Kirche austreten kann, beantragen nun einige den Austrag aus dem Taufregister. Warum kann es keine "Ent-Taufung" aus katholischer Sicht geben?

Sam Goyvaerts (privat)

Dr. Sam Goyvaerts (Assistenzprofessor für Liturgiewissenschaft und Sakramentenkunde an der Universität Tilburg): Das hat mit der Theologie der Sakramente zu tun. In den Sakramenten empfangen wir die Gnade Gottes. Das, was man von Gott erhält, kann man nicht einfach zurückgeben, wenn man es nicht mehr will.

Schon Augustinus, der Kirchenvater aus dem 4. Jahrhundert, sprach vom "unauslöschbaren Zeichen der Taufe". Daran hat die Kirche, nicht nur die katholische, über die Jahrhunderte festgehalten. 

DOMRADIO.DE: Aber es gibt auch die seltenen Fälle der Exkommunizierung. Dadurch wird die Taufe doch auch ungültig gemacht, oder?

Goyvaerts: Die Taufe kann man sich nicht wie die Mitgliedschaft in einem Sportverein vorstellen. Nach katholischer Theologie ändert sich durch das Sakrament der Taufe etwas an der Wirklichkeit selbst. Man wird Teil des Leibes Christi. Das ist etwas, das man, theologisch gesehen, nicht einfach umkehren kann. 

Sam Goyvaerts

"Die Taufe kann man sich nicht vorstellen wie die Mitgliedschaft in einem Sportverein."

Die Exkommunikation dagegen ist eigentlich eher ein kanonischer, kirchenrechtlicher Begriff, weniger ein theologischer. Da geht es darum, jemanden aus der Gemeinschaft auszuschließen, was das Wort "Ex-Kommunikation" ja auch besagt: ex communio, aus der Gemeinschaft.

Das macht die Gnade der Taufe allerdings nicht ungeschehen. Der Ausschluss aus der Gemeinde wird in der Regel auch nur zeitlich begrenzt ausgesprochen. Spätestens mit dem Tod wird der beendet. Das hat also nichts mit der Gnade der Taufe zu tun, die auch bei der Exkommunikation bestehen bleibt. Man wird nur auf Zeit vom kirchlichen Leben ausgeschlossen und darf zum Beispiel nicht die Kommunion empfangen.

DOMRADIO.DE: Hier geht es nun aber um die Austragung aus dem Taufregister. Ist das einfacher umzusetzen? Der Streitpunkt ist der Datenschutz, dass auf EU-Ebene das Recht des Einzelnen auf Anonymität über dem Recht der Kirche auf vollständige Registereinträge steht. 

Goyvaerts: Das ist gerade die große Diskussion bei uns in Belgien. Im Grunde geht es nicht um Theologie oder Kirchenrecht, sondern um einen reinen Verwaltungsakt. Wenn man darum bittet, kann man aus dem Register gestrichen werden. Das Problem mit dem Datenschutz besteht darin, dass da nicht der Name wegradiert oder gelöscht wird, sondern nur ein Vermerk neben den Namen gesetzt wird: "Aus der Kirche ausgetreten".

In Belgien gibt es nun einen Rechtsstreit darüber. Die gleiche Diskussion gab es auch bereits in Irland. Dort hat man nach der Datenschutzgrundverordnung allerdings entschieden, dass der Grundsatz der Anonymität nicht absolut ist. In Belgien sieht die Rechtsprechung im Moment anders aus. Aber die Bischöfe haben auch angekündigt, in Berufung zu gehen. Die Frage ist also noch nicht definitiv entschieden.

Man kann das vielleicht mit dem Eheregister auf dem Standesamt vergleichen. Im dem Moment, wo die Ehe geschlossen wird, ist das dort vermerkt. Wenn die Ehe annulliert oder geschieden wird, wird auch hier der Eintrag nicht gelöscht, sondern nur ein Zusatz vermerkt. Genauso ist die Austragung aus dem Taufregister ein reiner Verwaltungsakt und hat keine theologischen Konsequenzen.

DOMRADIO.DE: In Deutschland treten die Menschen formell aus der Kirche aus, unter anderem wegen der Kirchensteuer. Der Eintrag im Taufregister hat aber eigentlich gar keine Konsequenzen. Warum wollen sich Menschen ausstreichen lassen?

Goyvaerts: Letzten Herbst gab es im belgischen Fernsehen eine sehr prominente Dokumentation, die sich mit Missbrauch in der Kirche befasst hat. Auch die Betroffenen sind dort sehr eindrücklich zu Wort gekommen. Die Dimension des Übels, der Unrechts und das Grauen des Missbrauchs ist der Gesellschaft da erst so recht bewusst geworden. Die Reaktionen im ganzen Land waren sehr emotional. 

Sam Goyvaerts

"Die Dimension des Übels, der Unrechts und das Grauen des Missbrauchs ist der Gesellschaft da erst so recht bewusst geworden. "

Viele wollten durch die Austragung aus dem Taufregister dann auch die administrative Situation bereinigen. Die Distanzierung von der Kirche hat bei vielen zwar schon längst stattgefunden. Die meisten hatten schon lange nichts mehr mit den Gemeinden und der Kirche als Institution zu tun. Aber gerade im Blick auf diese Dokumentation will man dadurch auch der Wut, dem Unverständnis und auch er Anklage Ausdruck geben.

DOMRADIO.DE: Also es geht weniger um praktische Auswirkungen als darum, ein Zeichen zu setzen?

Goyvaerts: Ja, genau.

DOMRADIO.DE: Wie steht die Kirche allgemein in Belgien im Moment da? Das ist ja nicht das erste Mal, dass so viele Menschen die Kirche verlassen wollen. Wie groß ist der Ärger über die Kirche in Belgien?

Goyvaerts: Das ist in der Tat nicht das erste Mal, dass die Kirche an Vertrauen verliert. Tendenzen der Säkularisierung kennen wir in Belgien schon seit langem. Die Lage der Kirche ist der in Deutschland sehr ähnlich. Es gibt einige wenige Orte des Lebens und der Hoffnung, aber meist erleben wir einen Niedergang älterer, schrumpfender Gemeinden.

Die belgische Kirche verabschiedet sich von ihrer Macht- und Mehrheitsposition und versucht gerade ein neues Verhältnis zur heutigen Kultur und Gesellschaft aufzubauen. Solche Dokumentationen beschleunigen den Prozess. In der Tendenz ist das aber bei uns nichts Neues. 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Kirche in Belgien

Belgien hatte in der jüngeren Kirchengeschichte große Bedeutung als Stätte der wissenschaftlichen Theologie und in der Mission. Nach den Missbrauchsskandalen steht zuletzt wie anderswo eher Krisenbewältigung im Zentrum. Vor allem die Universität Löwen (Leuven/Louvain) ist eine europaweit renommierte Stätte der wissenschaftlichen Theologie und speziell der Missionstheologie. Sie verlor allerdings etwas von ihrem Nimbus im flämisch-wallonischen Sprachenstreit der 1960er Jahre und durch die sprachliche und räumliche Trennung in zwei Hochschulen.

Symbolbild Kreuz im Licht / © Kanjana Kawfang (shutterstock)
Symbolbild Kreuz im Licht / © Kanjana Kawfang ( shutterstock )
Quelle:
DR