Vor 65 Jahren starb der Rabbiner Leo Baeck

"Einem Volk kann nur Gott vergeben"

Er gilt als prominstester Vertreter des liberalen Judentums. Im Ersten Weltkrieg kämpfte Leo Baeck für Deutschland, im Zweiten Weltkrieg wurde er ins Konzentrationslager deportiert - und blieb freiwillig, um Leidende zu versorgen.

Leo Baeck-Briefmarke / © YANGCHAO (shutterstock)

"Alle Religiosität ist ein Künstlerisches, ein Suchen und Mühen, dass das eigene gegebene Leben geprägt und verwirklicht werde."

Worte von Leo Baeck, dem Mann, der heute als prominentester Vertreter des liberalen Judentums gilt. Baeck wird am 23. Mai 1873 in Lissa, einer Stadt in der Provinz Posen, geboren. Früh beschließt er, nach dem Vorbild seines Vaters Rabbiner zu werden. Später übernimmt er Gemeinden in Oppeln, Düsseldorf und Berlin.

"Das Recht zum Anderssein legitimiert sich in dem Empfinden für das Recht eines jeden anderen."

Im Jahr 1905 veröffentlicht er seine Schrift "Das Wesen des Judentums". Es ist eine Antwort auf das zuvor erschienene Werk "Das Wesen des Christentums" des Kirchenhistorikers Adolf von Harnack. Der behauptet darin, das Judentum habe keinen Anspruch auf das Alte Testament. Es sei von Gott verlassen. Baeck stellt sich in seiner Antwort gegen die antijüdischen Theorien und fordert die Auseinandersetzung zwischen den Religionen.

1914 bricht der Erste Weltkrieg aus.

"Alle Deutschen müssen ihre Pflicht tun, aber die deutschen Juden müssen mehr als ihre Pflicht tun." Diesem Aufruf einer jüdischen Zeitung folgend ziehen rund 100.000 Juden in den Krieg. Leo Baeck ist mittlerweile 41 Jahre alt. Er meldet sich freiwillig und arbeitet als Feldgeistlicher bis zum Kriegsende an der Front. Er kümmert sich um Verletzte, leitet Gottesdienste und Trauerfeiern. Auch in den besetzten Ostgebieten sorgt er für die notleidenden Juden. Nach dem Krieg arbeitet er wieder als Rabbiner in Berlin und steht verschiedenen jüdischen Organisationen vor.

Baeck und das Nazi-Regime

Im Jahr 1933 gelangen Hitler und die Nationalsozialisten an die Macht. Baeck wird zum Präsidenten der Reichsvertretung der deutschen Juden ernannt. Er verhilft Juden zur Emigration und reist selbst in verschiedene Länder, um über die Geschehnisse in Deutschland zu informieren.

"Mit derselben Kraft, mit der wir unsere Sünden bekennen, sprechen wir es mit dem Gefühl des Abscheus aus, dass wir die Lüge, die sich gegen uns wendet, die Verleumdung, die sich gegen unsere Religion und ihre Zeugnisse kehrt, tief unter unseren Füßen sehen." So heißt es in einer seiner bekanntesten Andachten aus dem Jahr 1935. Doch mit seinem so offenen Protest gegen das NS-Regime soll Baeck nicht ungestraft bleiben. Das Verlesen seiner Botschaft wird den Rabbinern in Deutschland verboten. Baeck selbst wird verhaftet, aber nach einigen Tagen wieder freigelassen.

Baeck: "Dieses System muss untergehen, weil es auf Lügen aufgebaut ist." Doch bis das NS-Regime zusammenbricht, soll es noch einige Jahre dauern. Dennoch bleibt Baeck in Nazi-Deutschland. Er will retten, was noch zu retten ist, emigriert nicht, obwohl sich Möglichkeiten für ihn bieten. Er wird im Jahr 1939 zum Oberhaupt der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland ernannt. Es ist eine von der Gestapo kontrollierte Organisation. Zuvor hatte man den jüdischen Einrichtungen ihre Selbstständigkeit entzogen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich Baeck in der ersten Sitzung ernüchtert zeigt: "Die tausendjährige Geschichte des deutschen Judentums ist zu Ende."

Letzter prominenter Jude in Deutschland

Bis 1942 wird er fünfmal verhaftet. Im Januar 1943 folgt die Deportation nach Theresienstadt. Vier seiner Schwestern sterben hier. Er wird einer Arbeitskolonne zur Müllentsorgung zugeteilt. Später darf er Predigten halten, in denen er schon im Arbeitslager für Versöhnung wirbt: "Denen, die mir Böses getan haben, vergebe ich. Aber einem Volk kann nur Gott vergeben."

Als das Arbeitslager im Mai 1945 befreit wird, bleibt Leo Baeck in Theresienstadt und kümmert sich weiter um die Verletzten. Erst Ende Juni reist er zu seiner Tochter nach London und nimmt seine wissenschaftliche Arbeit wieder auf. Er wird Präsident verschiedener progressiv jüdischer Verbände und zum Sinnbild eines liberalen Judentums. Zunächst glaubt er nicht, dass ein jüdisches Leben in Deutschland noch einmal möglich sein kann. Später ermutigt er jedoch die verbliebenen Juden in Deutschland, ihre Gemeinden wieder aufzubauen und setzt sich für den Dialog zwischen Christen und Juden ein - nicht zuletzt mit der Gründung des Instituts, das später seinen Namen tragen wird. Leo Baeck stirbt am 2. November 1956 in London.

Birgitt Schippers

 

Quelle:
DR