Eine theologische Betrachtung zum 1. Advent

Zeitlos gültige Erfahrung

Das Gefühl, in einer krisengeschüttelten, gottverlassenen Zeit zu leben, ist nicht neu. Menschen kannten es schon lange vor Jesu Geburt. In größter Aussichtslosigkeit wurde Gott als Vater angerufen.

Autor/in:
Fabian Brand
Eine rote Kerzen brennt zwischen Tannenzweigen. / © Harald Oppitz (KNA)
Eine rote Kerzen brennt zwischen Tannenzweigen. / © Harald Oppitz ( KNA )

"In Gottes Namen!": Diesen Ausruf verwenden noch immer viele Menschen, wenn sie etwas beginnen und hoffen, dass es auch gelingen möge. "In Gottes Namen fahren wir", heißt es in einem Kirchenlied, das manchmal zum Beginn einer längeren Reise gesungen wird. Wenn die Saat für das kommende Jahr ausgebracht wird: in Gottes Namen! Und wenn man nicht weiß, wie eine Angelegenheit ausgeht und man trotzdem Vertrauen hat, dass es gut wird: in Gottes Namen! Aber wie lautet der Name Gottes? Wie können wir ihn ansprechen? 

Die Lesung zum ersten Adventssonntag stammt aus dem Buch Jesaja. Der Text ist ein Klagelied, das zu einer Zeit entstanden ist, in der das Volk Israel bereits das Babylonische Exil erlebt hatte. Das Gottesvolk hatte bittere Erfahrungen machen müssen, weil es dem eigenen Geschick mehr vertraut hatte als den Verheißungen jenes Gottes, der Israel sein Mitgehen zugesagt hatte. Und selbst als das Volk wieder zurück in Jerusalem ist und die Menschen wieder heimatlichen Boden unter den Füßen haben, geht nicht alles gut. Der Neuaufbau des Tempels gerät massiv ins Stocken.

Ist er wirklich da?

Und die Fragen, die unter den Menschen aufbrechen, stellen die Präsenz dieses Gottes infrage: Ist er wirklich da? Begleitet er die Wege seines Volkes wirklich? Jesaja fasst diese Fragen in folgende Worte: "Warum lässt du uns, Herr, von deinen Wegen abirren und machst unser Herz hart, sodass wir dich fürchten?" (Jes 63,17) Diese Anklagean Gott rechnet noch mit seiner Gegenwart - aber der Glaube an diesen Gott hängt am seidenen Faden. Es braucht nicht mehr viel, und der Schritt zum Unglauben ist getan.

In Israel steht es heute wieder Spitz auf Knopf. Die Erfahrungen des Volkes Israel und die Anklage des Propheten Jesaja sind einerseits uralt - andererseits geschehen sie bis heute immer wieder aufs Neue. Da sind immer wieder Menschen, die am Dasein Gottes regelrecht verzweifeln, weil er seine Präsenz nicht so zeigt, wie wir es manchmal gerne hätten - und wie wir es manchmal auch bräuchten. 

Hoffnung auf ein bisschen Licht verloren

Da sind Erfahrungen von Menschen, denen es ebenso geht wie dem Volk Israel: die keinen Ausweg mehr sehen, die in der bedrängenden Dunkelheit ihres Lebens selbst die kleinste Hoffnung auf ein bisschen Licht verloren haben. So viele Menschen können auch heute ein Lied singen von diesem Zweifel an Gottes Gegenwart und von einer unbändigen Hoffnungslosigkeit, die mehr und mehr Raum greift.

Gerade in dieser Situation erinnert sich das Volk Israel an den alten Gottesnamen: "Du, Herr, bist unser Vater, 'Unser Erlöser von jeher' ist dein Name" (Jes 63,17b). In der Zeit der größten Aussichtslosigkeit wird Gott als Vater angerufen. Der Gottesname "Abba" ist ein Krisenname. Es ist ein Name, der sich dort Bahn bricht, wo Gottes Präsenz am meisten angezweifelt wird. In der Zeit größter Not wird Gott an sein Vatersein für das Volk Israel erinnert. Kein Wunder also, dass auch Jesus am Kreuz hängend nach dem Vater im Himmel ruft.

Das Vaterunser, ein Krisengebet

Das, was bei Jesaja zu hören ist, ist eine Einladung, auch das Vaterunser neu zu beten: Denn es ist ein Krisengebet. Es ist ein Gebet, das vor allem in der Zeit der größten Infragestellung seinen Raum hat. Laut dem biblischen Text hat uns Jesus dieses Gebet nicht für die glücklichen und sorgenlosen Tage mit auf den Weg gegeben. Es hat es uns gelehrt, damit wir in den Stunden größter Anfechtung und in allen Lebenskrisen um den Namen Gottes wissen und ihn anrufen können: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name ...

Das Vaterunser ist darum auch ein adventliches Gebet. Denn Advent bedeutet nichts anderes, als sich selbst neu an Gott auszurichten. Das hören wir im Evangelium: Größte Drangsal wird herrschen, wenn der Menschensohn auf den Wolken des Himmels wiederkommt. Und das Leben jedes Einzelnen wird kritisch angefragt werden. Advent ist eine Krise, weil er uns lernen will zu unterscheiden zwischen dem, was nur scheinbar trägt und dem, worauf wir unser Leben wirklich aufbauen können. Advent ist kein Zuckerschlecken, sondern jedes eine neuerliche Erschütterung, in der wir an einem Namen Halt finden: im Namen Gottes, der unser Vater in Ewigkeit ist.

Advent

Advent ist für Christen die Zeit der Vorbereitung auf Weihnachten. Die Adventszeit beginnt am vierten Sonntag vor dem Christfest. Das Wort kommt vom lateinischen "adventus" und bedeutet "Ankunft". Gemeint ist die Ankunft Jesu auf Erden.

In den Gottesdiensten an den Advents-Sonntagen werden häufig Texte aus dem Alten Testament verwendet, die die Ankunft des Erlösers prophezeien. Die vier Kerzen des zum jüngeren Brauchtum zählenden Adventskranzes symbolisieren das Kommen des "Lichts der Welt". Die Zweige immergrüner Tannen stehen für das ewige Leben.

Traditioneller Adventskranz / © Jozef Kubica (KNA)
Traditioneller Adventskranz / © Jozef Kubica ( KNA )
Quelle:
KNA