​Gemeinnützige Organisation schließt Lücken in Aufarbeitung

Eine Suchmaschine für Missbrauchspriester in den USA

Die US-Kirche hat im Umgang mit Missbrauch Transparenz versprochen. Tatsächlich sind Dokumentationen über "glaubwürdig Verdächtige" unvollständig und fehlerhaft, wie die gemeinnützige Organisation ProPublica feststellt.

Autor/in:
Thomas Spang
Kreuz auf us-amerikanischer Flagge / © Victor Moussa (shutterstock)
Kreuz auf us-amerikanischer Flagge / © Victor Moussa ( shutterstock )

Larry Giacalone trug sein dunkles Geheimnis mehr als vier Jahrzehnte mit sich herum. Erst vor drei Jahren reichte er Klage ein. Der frühere Bostoner Priester Richard Donahue soll sich 1976 sexuell an ihm vergangen haben. Der Missbrauchsfall des damals Zwölfjährigen landete zwar nie vor Gericht; die Erzdiözese entschädigte Giacalone allerdings für seine "körperlichen und emotionalen Verletzungen" mit 73.000 Dollar.

Das Erzbistum Boston führt den Namen Donahue auf seiner Liste von Missbrauchspriestern nicht auf. Auch nicht, seit Giacalones Anwalt 2019 die Kirche dafür öffentlich kritisierte, einem Opfer eine ordentliche Geldsumme zu überweisen. Dennoch zu behaupten, der Priester sei nicht pädophil, sei schon "eine Beleidigung der eigenen Intelligenz", attackierte Mitchell Garabedian die Kirche. Das sei ein klassischer Fall, in dem sich die Erzdiözese "duckt, verzögert und Probleme vermeidet".

Einblicke per interaktiver Suchmaschine

Die Organisation ProPublica hat dieses Phänomen auch anderenorts ausgemacht. Demnach sind nicht alle US-Diözesen so transparent wie behauptet. Kürzlich veröffentlichte sie eine erste Gesamtübersicht fast aller US-Bistümer und Ordensgemeinschaften über sexuellen Missbrauch durch Geistliche. Per interaktiver Suchmaschine gewährt die Dokumentation Einblicke in 178 Listen, die ProPublica seit 2018 landesweit gesammelt und ausgewertet hat. Mehr als 5.800 Missbrauchspriester werden darin namentlich aufgeführt.

Es fehlen noch die Angaben von 41 Diözesen und Dutzenden Ordensgemeinschaften, die bis dato noch keine Listen zu Missbrauch vorgelegt haben; darunter die Bistümer Rockville Center in New York und Fresno, Kalifornien. Die Standards bei der Bewertung von Missbrauch variieren von Diözese zu Diözese. Das liegt an den fehlenden Vorgaben der US-Bischofskonferenz, die den Bistümer die Freiheit einräumte, selbst zu entscheiden, wer als glaubwürdig Verdächtiger in den Listen aufgeführt wird. Die Beurteilungen der Diözesen schwanken zwischen "glaubwürdig", "plausibel", "wahrscheinlich" oder "bewiesen".

Unterschiedlicher Umgang in den Diözesen

So veröffentlichte die Erzdiözese Kansas City selbst Namen von Priestern, gegen die die Ermittlungsbehörden keine Beweise vorlegen konnten. Andererseits führte das Bistum Toledo, Ohio Namen gestorbener Missbrauchspriester nicht auf - weil sie "keine Bedrohung darstellten".

Das dürfte sich nun ändern. Die Missbrauchs-Suchmaschine mache Druck auf die Diözesen, die noch nicht veröffentlicht haben, so Terence McKiernan, Präsident der Organisation Bishop Accountability. Sie listet allein mehr als 450 Priesternamen auf, die von keinem Bistum benannt werden. Dennoch sagt McKiernan: Die Kirche erlebe eine Welle von Transparenz. Kein anderes Land tue, was die US-Bischöfe tun, lobt er die Aufklärungsarbeit.

"Keine vollständige Transparenz"

Der Anwalt der Opferorganisation SNAP, David Clohessy, sieht das anders. Man kenne jetzt mehr Täter - aber vollständig transparent sei die US-Kirche "auf keinen Fall". Einige Bistümer teilten "weiter nur das Nötigste mit". Dafür gibt es auch handwerkliche Gründe. "Mobile" Priester, die über Jahrzehnte an verschiedenen Orten tätig waren, werden von den jeweiligen Diözesen unterschiedlich bewertet.

Etwa der Fall Alfredo Prado. In sechs Diözesen wird der Priester des Missbrauchs beschuldigt. In San Angelo und in Victoria wird er als "Alfred" geführt. Und nur in San Antonio ist festgehalten, dass Prado fünf Kinder missbraucht haben soll. Eine lückenlose Vita bietet nur die Diözese Victoria an. Ob er noch lebt, ist nirgends bekannt. Prados Geschichte stehe stellvertretend für große Widersprüchlichkeiten in der Dokumentation der Bistümer, kritisiert ProPublica.

Für Larry Giacalone ist auch mehr als vier Jahrzehnte nach seinem Albtraum das Leiden nicht zu Ende. Als er durch einen Reporter erfuhr, dass die Erzdiözese Boston seine Beschuldigung des Priesters selbst nach der Entschädigungszahlung noch für "unbegründet" halte, schüttelte er mit dem Kopf. "Ich habe einfach nur Mitleid mit ihnen."


Quelle:
KNA