Religionsfreiheits-Beauftragter hofft auf Versöhnung im Nordirak

"Eine sehr fragile Situation"

Vor sieben Jahren begann der Völkermord an den Jesiden im Nordirak. Obwohl der "IS" besiegt wurde, konnte nur ein Bruchteil der Vertriebenen zurückkehren. Dahinter steckt ein ethnischer Konflikt, bei dem die Bundesregierung vermitteln will.

Jesidische Kinder im Nordirak / © Alan Ayoubi/NRC (dpa)
Jesidische Kinder im Nordirak / © Alan Ayoubi/NRC ( dpa )

DOMRADIO.DE: Im Jahr 2014 begannen Mord, Vertreibung und Entführung. Warum gerade bei den Jesiden? Das ist ja nicht die einzige ethnische Gruppe in der Region Syrien/Irak.

Markus Grübel (MdB, CDU, Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit): Die radikalen Islamisten betrachten die Jesiden als Ketzer, als Ungläubige, als nicht schutzwürdige Teufelsanbeter. Man muss wissen, das Jesidentum ist keine Buchreligion wie das Christentum, der Islam oder das Judentum. Und darum wurden die Jesiden seit Jahrhunderten verfolgt, aber ganz besonders jetzt durch den sogenannten Islamischen Staat. Und wenn sie mal ins Kinderzimmer gehen und von Karl May das Buch "Durchs wilde Kurdistan" rausholen: Schon im zweiten Satz werden Jesiden dort als Teufelsanbeter bezeichnet. Das ist leider nichts Neues, sondern eine lange, lange Verfolgungsgeschichte, aber der Höhepunkt der Verfolgung - man muss von Völkermord sprechen - hat im August 2014 begonnen.

DOMRADIO.DE: 200.000 der rund eine Million Jesiden leben im Exil hier bei uns in Deutschland. Wie ist es den Menschen ergangen in den letzten sieben Jahren?

Grübel: Viele Jesiden sind schon vor 2014 zu uns gekommen. Viele, insbesondere Frauen und Kinder, waren und sind traumatisiert von der Gewaltherrschaft des sogenannten IS. Viele Frauen wurden versklavt, verkauft, vergewaltigt. Verschiedene deutsche Bundesländer haben Aufnahmeprogramme für Jesiden aufgelegt. Baden-Württemberg zum Beispiel hat über ein Sonderkontingent rund 1000 jesidische Frauen und Kinder aufgenommen, die in ihrer Heimat Opfer des sogenannten IS geworden waren.

Aber die Situation in der Diaspora ist für die Jesiden schwierig. Zum jesidischen Glauben gehören auch die Heiligtümer im Irak. Da ist die räumliche Entfernung natürlich groß. Und die jesidische Religion hat noch eine Besonderheit: Man darf eigentlich nur untereinander heiraten, also nur eine Jesidin einen Jesiden und umgekehrt. Dinge wie diese machen das Leben in der Diaspora schwer - auch weil die Jesiden über ganz Deutschland verteilt leben.

DOMRADIO.DE: Nun gehört die Verfolgung der Jesiden durch den "Islamischen Staat" eigentlich der Vergangenheit an, weil er zurückgedrängt wurde in der Region. Der irakische Staat will die Heimkehr der Jesiden unterstützen, hat deswegen auch ein Gesetz dazu verabschiedet, das zum Beispiel finanziell unterstützen soll. Wo ist denn da dann das Problem, wenn sie zurückkommen können, wenn es politisch gewollt ist - warum passiert das nicht in der Form, wie sie sich es wünschen?

Grübel: Positiv gesprochen: Der irakische Staat, das Parlament, hat ein Entschädigungsgesetz verabschiedet. Das Gesetz bewertet die Verbrechen des sogenannten IS gegen Jesiden und andere Minderheiten als Völkermord und sieht Entschädigungen für Opfer der Gewaltherrschaft des sogenannten IS vor, ganz besonders für die jesidischen Frauen.

Heute leben noch 1,2 Millionen Menschen als Binnenvertriebene in Flüchtlingslagern im Irak, darunter rund 200.000 Menschen aus der Region Sindschar. Die meisten von ihnen sind Jesiden. Rund 80.000 Jesiden - etwas mehr - sind seit dem vergangenen Jahr zurückgekehrt in die Region Sindschar. Was die Mehrheit der Jesiden in erster Linie an einer Rückkehr in ihre Heimatregion hindert, ist die prekäre Sicherheitslage. Es gibt verschiedene Milizen in der Region Sindschar, darunter die stark schiitisch geprägten Volksmobilisierungseinheiten (PMF), von denen große Teile Befehlen des Iran folgen. Es existieren jedoch auch christliche oder jesidische Milizen in der Region. Daher gibt es nur eine relative Sicherheit, je nachdem, welcher Ethnie man angehört. Die irakische Regierung versucht, mit Polizei und Militärkräften nach und nach Sicherheit zu gewährleisten. Doch die Sicherheitslage ist immer noch schwierig und daher ein Haupthindernis für die Rückkehr der Vertriebenen.

Darüber hinaus braucht es Basis-Infrastruktur, Wasser, Strom, Versorgung für Kinder, Schulen. Und es braucht eine wirtschaftliche Grundlage für die Menschen. Sie brauchen Arbeit. Sie brauchen landwirtschaftliche Geräte, Saatgut oder Handwerkszeug. Alles wurde gestohlen bzw. sie durften und konnten fast nichts auf der Flucht mitnehmen. All dies muss mühsam wieder aufgebaut werden. Hier unterstützt auch die Bundesregierung durch u.a. den Wiederaufbau von Häusern, Wasser- und Sanitärversorgung, Krankenhäuser und Schulen. Betroffene erhalten auch medizinische und psychosoziale Unterstützung zur Bewältigung von Traumata.

Zum Schluss braucht es Vertrauen und Versöhnung. Vertrauen in die Nachbarn und Vertrauen unter den verschiedenen Religionen. Zur Versöhnung gehört, dass die Haupttäter des sogenannten IS nach rechtsstaatlichen Kriterien bestraft werden. Deutschland unterstützt den Irak dabei - zum Beispiel bei der Dokumentation von Straftaten des sogenannten IS. Ohne eine gerechte Strafe wird es keine Versöhnung zwischen Jesiden, Christen, Muslimen, Sunniten, Schiiten und allen anderen Religionen und Ethnien in der Region geben.

DOMRADIO.DE: Nun hat sich in der vergangenen Woche der Zentralrat der Jesiden zu Wort gemeldet und beklagt, dass die finanzielle Unterstützung der Bundesregierung, die in den Irak geht, zu wenig die Jesiden im Blick hat. Ist die Kritik berechtigt?

Grübel: Ich halte sie nicht für berechtigt. Für die Bundesregierung gilt der Grundsatz, dass sie alle von dem Konflikt betroffenen Menschen unabhängig von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit unterstützt – auch um gesellschaftliche Spannungen nicht zu befeuern. Dies bedeutet aber auch, wenn wir Menschen in der Region Sindschar unterstützen, in der mehrheitlich Jesiden leben, erhalten in erster Linie Jesiden Unterstützung, da sie betroffen sind. Aber in der Ninive-Ebene leben auch sehr viele Christen, Sunniten und auch Schiiten, die vertrieben wurden. Wir schauen, dass wir allen helfen. Wenn wir in einer Gemeinde z.B. Basis-Infrastruktur bereitstellen, profitieren alle in dieser Gemeinde lebenden Menschen davon.

Natürlich gibt es auch Unterstützung für besonders betroffene Bevölkerungsgruppen, wie jesidische Frauen und Mädchen. Wir unterstützen zum Beispiel Frauenhäuser gerade für jene Frauen, die Vergewaltigungen und Versklavungen durch den sogenannten IS erleiden mussten. Sie und ihre Familien erhalten in diesen Frauenhäusern Sicherheit und psychosoziale Unterstützung.

Insbesondere in Dörfern und Städten, wo es eine gemischte Einwohnerschaft gibt, versuchen wir, das friedliche Miteinander auch dadurch zu befördern, dass wir alle gleichermaßen über gemeinsame Projekte unterstützen. Wir bilden zum Beispiel Mediations-Teams, die bei Konflikten künftig helfen können.

Bislang hat die Bundesregierung dem Irak rund zwei Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Aber wie gesagt: Die Unterstützung soll allen Irakerinnen und Irakern zugute kommen, weil es für ein friedliches Miteinander in der Zukunft wichtig ist, dass keiner zurückgesetzt wird oder keiner sich benachteiligt fühlt, weil er den Eindruck hat, andere würden bevorzugt.

DOMRADIO.DE: Es ist ein kompliziertes Miteinander der verschiedenen Ethnien und Religionen in der Region. An Sie als Beauftragter für Religionsfreiheit die Frage: Was muss passieren, dass es langfristig zu einem friedlichen Zusammenleben kommen kann?

Grübel: Das Vertrauen zwischen den verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen muss wiederhergestellt werden. Das ist ein sehr langer Weg. Wir haben zum Beispiel Mediations-Teams in der Ninive-Ebene in Städten und Dörfern initiiert, in denen von den Christen, Jesiden und Sunniten jeweils der religiöse Führer als Ansprechpartner vertreten ist. Diese Teams helfen bei der Versöhnungsarbeit. Dann gibt es Teams, die Konflikte frühzeitig lösen sollen. Diese Teams bestehen aus fünf Menschen, darunter jeweils zwei Frauen und Angehörige verschiedener Religionen. Sie versuchen zu helfen, wenn z.B. Rückkehrer Land für sich beanspruchen, das ihnen weggenommen wurde.

Die Zentralregierung im Irak versucht mit Dingen wie dem Entschädigung-Gesetz die Wiedergutmachung von Unrecht, das Überlebende des sogenannten IS erfahren haben, in die Wege zu leiten. Dies sind kleine aber wichtige Schritte. Es braucht zudem im Irak den Dialog; den interreligiösen Dialog zwischen den Religionen, aber auch den intrareligiösen Dialog innerhalb von Religionsgruppen .Ich habe die Hoffnung, dass wenn die Gemäßigten mit den Radikaleren in ihrer jeweiligen religiösen Gruppe ins Gespräch kommen, insgesamt ein friedlicheres Miteinander entstehen wird.

Aber wir dürfen uns nicht täuschen: Der sogenannte IS ist zwar geschlagen, was die Fläche angeht, er ist aber immer noch aktiv, kann immer noch Attentate verüben und so das Vertrauen zerstören. Wir haben eine sehr fragile Situation im Irak. Dazu kommt der Konflikt aus der Türkei heraus mit der PKK, also den türkischen Kurden, die auch im Nordirak operieren, wo die türkische Armee auch immer wieder aktiv wird. Also ist die Region sehr zerbrechlich und es braucht noch viele Anstrengungen, dass die Menschen dort künftig friedlich miteinander leben können.

Ich denke, dass der Besuch von Papst Franziskus im Irak im Frühling dieses Jahres ein wichtiges Signal für das friedliche Zusammenleben der Religionen war. Auch das Treffen des Papstes mit Groß-Ayatollah Ali Al-Sistani war ein gutes Zeichen, dass Religionen, in diesem Fall Christen und Schiiten, friedlich miteinander leben können. In diesem Zusammenhang ist auch der Besuch des Papstes in Abu Dhabi als Unterstützung einzuordnen für die Stärkung des friedlichen Zusammenlebens der verschiedenen Religionen im Nahen und Mittleren Osten.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Markus Grübel / © Christophe Gateau (dpa)
Markus Grübel / © Christophe Gateau ( dpa )
Quelle:
DR