Seit 100 Tagen zeigt St. Gallen den Klosterplan im Original

Eine Reise in das frühe Mittelalter

1.200 Jahre ist er alt und für Besucher nun erstmals im Original zu sehen, aber nur für jeweils 20 Sekunden. Am Wochenende läuft die Ausstellung des St. Galler Klosterplans seit 100 Tagen, richtig umgesetzt wurde der Plan jedoch nie.

Autor/in:
Maren Breitling
Stiftskirche und ehemalige Klosterkirche St. Gallen / © Ruslan Kalnitsky (shutterstock)
Stiftskirche und ehemalige Klosterkirche St. Gallen / © Ruslan Kalnitsky ( shutterstock )

Ein dämmriger, kaum beleuchteter Raum mit grauem Teppichboden und zwei Stufen am Rand, darauf 20 Menschen. In der Mitte steht ein zwei mal ein Meter großer, türkisfarbener Holzblock, auf dem das Modell eines mittelalterlichen Klosterbezirks thront.

Präsentiert wird im Stiftsbezirk von St. Gallen ein einzigartiges Stück mittelalterlicher Geschichte - der originale St. Galler Klosterplan. Die multimediale Inszenierung beginnt mit einem kurzen Film, den zwei Beamer an eine Wand projizieren. Der Film erzählt die Geschichte eines Jungen, der mit sechs Jahren in das Kloster muss und dort bis zum Tod ein enthaltsames Mönchsleben führt.

Außerdem zeigt das Video eine dreidimensionale Animation des Plans. Dabei wachsen aus dem flachen Pergament mit dem Klosterplan gläserne Strukturen, die Häuser, Ställe und eine Kathedrale darstellen.

Nach zehn Minuten dann der Höhepunkt der Schau: Die Abdeckung des Holzblocks fährt nach oben, an ihrer Unterseite sind Lichter montiert. Sie leuchten jetzt auf den 1.200 Jahre alten Klosterplan.

20 Sekunden für einen 1.200 Jahre alten Plan

Weil sich das Pergament wellt, entstehen auf dem Plan Schatten und verhüllen Teile, ein 3D-Effekt entsteht. Nach 20 Sekunden endet das kleine Spektakel, die Platte senkt sich wieder ab.

Dauerhaft darf das empfindliche Pergament nicht dem Licht ausgesetzt sein, das würde es zerstören. Daher entwickelten Experten die Idee der in die Videoshow eingebetteten 20-Sekunden-Präsentation. "Neue Berechnungen haben deutlich gemacht, dass das Pergament dadurch keinen Schaden nimmt. Selbst wenn wir diesen Ausstellungsmodus für die nächsten 200 Jahre fortführen", so Bibliothekschef Cornel Dora.

Kein Bauplan, sondern ein Koe

Der Klosterplan besteht aus fünf Stücken Schafspergament, die mit Fäden zusammengenäht sind. Er besitzt die Maße 112 mal 77 Zentimeter - und gilt als weltweit ältester erhaltener Plan seiner Art und somit als Quelle, wie das Klosterleben im frühen Mittelalter aussah.

Allerdings besteht nach den Worten Doras oft die falsche Annahme über den Plan als Bauplan. Vielmehr handle es sich um ein Konzept und eine Idee, was alles zu einem Kloster gehört.

Ausstellung zum Klosterplan von St. Gallen / © Gian Ehrenzeller / KEYSTONE (dpa)
Ausstellung zum Klosterplan von St. Gallen / © Gian Ehrenzeller / KEYSTONE ( dpa )

Mit roter Tinte hatte ein Mönch fünf Gärten und 45 Gebäude mit 334 Beischriften gezeichnet. Sein Name war Reginbert, der Bibliothekar des Klosters auf der Bodenseeinsel Reichenau. Er überließ sein Werk Gozbert, der in den Jahren 816 bis 837 Abt des Klosters St. Gallen war. 1.200 Jahre nach Gozbert können jetzt erstmals Besucher den Klosterplan sehen, nachdem zuvor nur historische Experten das Original untersuchen durften.

Denn am Samstag zeigt die Stiftsbibliothek nun seit 100 Tagen alle 15 Minuten für einige Sekunden das Original. Ergänzt wird die Präsentation durch eine neu konzipierten Dauerausstellung. Dora zeigt sich mit dem neuen Konzept zufrieden.

180.000 Besucher im letzten Jahr

Die Besucherzahlen stiegen im Vergleich zum Vorjahr um rund 20 Prozent. 2018 besuchten insgesamt 180.000 Menschen den Bezirk. "Doch die meisten kommen nach wie vor wegen des Barocksaals", sagt Dora. Nur jeden Fünften zieht es zum Klosterplan. Das liege auch an den Tourguides, wie Dora sagt, weil in deren Kurzführungen der Klosterplan meist fehle. Das soll sich ändern.

Einer der Besucher, die sich den Plan angeschaut haben, ist Michel Hendrickx aus dem Wallis. Er reist gerade Richtung Österreich und wollte mit seiner Frau eigentlich nur einen kurzen Abstecher in die Stadt machen. Eher zufällig stieß er auf die Ausstellung und wirkt beeindruckt. Ganz bewusst angereist ist dagegen der Benediktiner Georg Liebich: Er kam mit einer Gruppe Mönche aus dem Kloster Einsiedeln extra nach St. Gallen, weil sie alle das Stück schon immer einmal hatten sehen wollen.

Neben dem Klosterplan besitzt die Stiftsbibliothek auch eine der ältesten Sammlungen an historischen Dokumenten wie Handschriften, Urkunden, Briefe und Bücher - weshalb der Stiftsbezirk samt Bibliothek seit 1983 zum Unesco-Weltkulturerbe gehören.

Bistum St. Gallen

Das Bistum St. Gallen hat eine lange Geschichte, die eng mit der Abtei St. Gallen verbunden ist. Die Abtei wurde am Grab des Heiligen Gallus gegründet und prägte das kirchliche Leben im Gebiet des Bistums über Jahrhunderte. 

Nach der Aufhebung des Klosters 1805 und des Bistums Konstanz 1821 waren die kirchlichen Verhältnisse provisorisch geregelt. Erst 1847 konnte ein eigenständiges Bistum St. Gallen errichtet werden.

Stiftskirche und ehemalige Klosterkirche St. Gallen / © Ruslan Kalnitsky (shutterstock)
Stiftskirche und ehemalige Klosterkirche St. Gallen / © Ruslan Kalnitsky ( shutterstock )
Quelle:
KNA