Eine Million Flüchtlinge im Libanon

Extreme Auswirkungen auf alle Lebensbereiche

Ein Viertel der Bevölkerung im Libanon ist mittlerweile syrisch. Mehr als eine Million Menschen sind als Flüchtlinge mittlerweile dort und jeden Tag werden es mehr: Stefan Telöken vom Uno-Flüchtlingswerk UNHCR zur Lage vor Ort.

Syrische Flüchtlinge im Libanon  (dpa)
Syrische Flüchtlinge im Libanon / ( dpa )

domradio.de: Für jedes Land wäre es das eine enorme Belastung: Der Libanon allerdings ist ohnehin ein sehr kleines Land. Wie ist die Situation dort aktuell?

 

Stefan Telöken: Es ist erstaunlich, dass sie nicht noch schlimmer ist. Aber sie ist natürlich gespannt. Wie Sie schon sagten, ¼ der Bevölkerung sind syrische Flüchtlinge, das bedeutet extreme Auswirkungen auf alle Lebensbereiche, auf alle sozialen Bereiche innerhalb des Libanon. Betroffen ist vor allem die Infrastruktur hier, die Wasserversorgung, die Energiewirtschaft, die Abfallwirtschaft, der Arbeitsmarkt – es gibt eigentlich keinen Lebensbereich, der nicht von der Tatsache betroffen ist, dass so viele Menschen im Libanon Zuflucht und Schutz gefunden haben.

domradio.de: Ist denn da überhaupt noch normales Leben möglich? Die Statistik zeigt ja, dass die Hälfte der syrischen Flüchtlinge Kinder sind – können die im Libanon z.B. zur Schule gehen?

Telöken: 100.000 syrische Flüchtlingskinder gehen zur Schule, aber mehrere 100.000 Kinder können das nicht. Das Schulwesen im Libanon ist auch komplett überlastet. Unterrichtet wird in zwei Schichten, also praktisch den ganzen Tag über. Und deshalb ist es eben auch so wichtig, dass zum einen humanitäre Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft geleistet wird, aber eben auch von diesen Staaten investiert wird in die Infrastruktur des Landes, damit diesem Land geholfen wird bei dieser monumentalen Aufgabe, die Belastungen des syrischen Konfliktes wesentlich mitzutragen durch die Aufnahme einer Million registrierter Flüchtlinge – die tatsächliche Zahl der Flüchtlinge ist wahrscheinlich weitaus höher.

domradio.de: Passiert das denn? Gibt es internationale Unterstützung?

Telöken: Der UNHCR und 50 andere Hilfsorganisationen haben Ende letzten Jahres einen regionalen Hilfsplan für dieses Jahr für den Libanon vorgestellt. Da waren knapp 1,9 Milliarden US$ vorgesehen an finanziellen Mitteln, um entsprechende Maßnahmen im Libanon für die syrischen Flüchtlinge, aber auch für die Infrastruktur zu finanzieren. Von denen sind bisher 242 Millionen US$ geflossen, das sind 14%, das ist zu wenig, das ist zu zögerlich, um mit der Not der Menschen Schritt zu halten.

domradio.de: Die libanesische Bevölkerung hat ja erstmal unglaubliche Großzügigkeit bewiesen. Kippt die Stimmung da jetzt?

Telöken: Da gibt es verschiedene Aussagen. Ich würde unter dem Strich sagen: Jedes andere Land in dieser Welt, in dem ein Viertel der Menschen Flüchtlinge wären, würde möglicherweise in einer noch extremeren Weise darauf reagieren. Die Situation ist sicherlich insgesamt angespannt, aber es bleibt weiter so, dass nicht viel Schlimmeres passiert ist, als man hat annehmen können ‑ auch angesichts der fragilen politischen Situation des Libanon und angesichts der Tatsache, dass im Nachbarland dieser furchtbare Konflikt tobt. Stellen Sie sich vor, in Deutschland mit einer Bevölkerungszahl von rund 80 Millionen wären in den letzten zwei Jahren 20 Millionen Flüchtlinge hinzugekommen. Man kann sich vorstellen, was das bedeutet für die Gesellschaft, für das Leben in einem Land. Und angesichts dessen – das muss man wirklich bewundernd sagen – ist die Situation im Libanon noch relativ gelassen.

domradio.de: Die Flüchtlingsströme werden heute noch immer täglich eher mehr als weniger. Woran liegt das?

Telöken: Das liegt einfach daran, dass die Situation in Syrien ja nicht besser wird. Wir haben es hier mit einer weiter eskalierenden Gewaltspirale zu tun. Es gibt vielleicht mal Tage mit Ruhephasen, aber dann brechen die Kämpfe wieder aus. Wir haben es in Syrien mit rund 6 Millionen Menschen zu tun, die innerhalb ihres Heimatlandes vertrieben wurden, zum Teil zwei-, dreimal geflohen sind. Viele von denen können das Land gar nicht verlassen. Dort wird auch humanitäre Hilfe geleistet, freilich nicht in dem Ausmaß, wie es nötig wäre, um den Menschen tatsächlich flächendeckend beistehen zu können.


Quelle:
DR