Eine Chronologie des Nordirland-Konflikts

Seit 1998 ein zerbrechlicher Frieden

Nordirland ist ein latent schwelender Konfliktherd im Westen Europas. Der Brexit, der Austritt Großbritanniens aus der EU, schafft dafür neue Unsicherheiten. Die wichtige Marksteine des Konflikts auf einen Blick.

	Ein Soldat steht hinter aufgestapelten Sandsäcken, ein anderer Soldat sitzt hinter ihm in einer Holzbaracke in einem menschenleeren Wohngebiet im November 1969 in Belfast (Archiv) / © Ernst Herb (KNA)
Ein Soldat steht hinter aufgestapelten Sandsäcken, ein anderer Soldat sitzt hinter ihm in einer Holzbaracke in einem menschenleeren Wohngebiet im November 1969 in Belfast (Archiv) / © Ernst Herb ( KNA )

1169: Eindringen englischer Normannen in Irland

1606: Die englische Krone versucht, in Irland die Reformation einzuführen. Sie besiedelt die Provinz Ulster (Nordirland) mit protestantischen Engländern und Schotten, die damit zum englischen Brückenkopf ausgebaut wird; katholische Grundbesitzer werden in den unwirtlichen Westen verdrängt. Katholiken werden zu Staatsbürgern zweiter Klasse; sogenannte Strafgesetze nehmen ihnen etwa das Wahlrecht.

1801: Eingliederung Irlands ins Königreich England und Irland. Das irische Parlament löst sich auf.

1916: Im Osteraufstand rebellieren in Dublin rund 1.500 Republikaner gegen die Briten, die ein Exempel statuieren und die Rädelsführer hinrichten. Diese Härte lässt die Stimmung der Bevölkerung gegen die Briten kippen, die eigentlich bereits eine weitreichende politische Autonomie in Aussicht gestellt hatten. Die Rebellen werden zu Märtyrern, die Unabhängigkeit zum Ziel der Iren erklärt.

1919 bis 1923: Irischer Unabhängigkeitskrieg. Der "Government of Ireland Act", das Gesetz zur Teilung Irlands in Nord- und Südirland vom Dezember 1920, wird nur in Nordirland umgesetzt. Der Krieg endet 1922 mit einer Teilung in den "Irischen Freistaat" und Nordirland. Die Irisch-Republikanische Armee (IRA) beansprucht, provisorische Regierung für ganz Irland zu sein.

Das Karfreitagsabkommen

Nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs zwischen pro-irischen Katholiken und pro-britischen Protestanten in Nordirland wurde am 10. April 1998 mit dem sogenannten Karfreitagsabkommen offiziell Frieden geschaffen.

In dem Vertrag regeln Großbritannien, die Republik Irland und Führer nordirischer Parteien in Belfast, dass Protestanten und Katholiken gemeinsam eine Regionalregierung stellen. Die Bevölkerungen Nordirlands und Irlands stimmten später in Referenden dem Abkommen zu.

Beschmiertes Straßenschild an der Grenze zwischen Irland und Nordirland / © Niall Carson (dpa)
Beschmiertes Straßenschild an der Grenze zwischen Irland und Nordirland / © Niall Carson ( dpa )

1937: In einem Referendum stimmen die Iren für eine neue Verfassung. Allerdings bleibt unklar, ob der irische Staat nun eine Republik oder weiter eine konstitutionelle Monarchie unter dem englischen König ist.

1949: Per Gesetz wird Irland - ohne Verfassungsänderung - zur Republik und scheidet aus dem britischen Commonwealth aus. Der Titel eines "Königs von Irland" wird 1952 abgeschafft.

1966: Gründung der protestantischen Terrororganisation Ulster Volunteer Force (UVF), die mit politischen Morden und Anschlägen die Spannungen in Nordirland anheizt. Eine Bürgerrechtsbewegung gegen die Diskriminierung von Katholiken entsteht.

1968: Katholiken gehen erstmals gegen die Politik der Unionisten auf die Straße. Ihre Kundgebungen werden verboten, Demonstranten von Polizisten niedergeknüppelt. Die Wut weitet sich aus, Wiedererstarken der radikalen IRA.

1969: Erneute Gewalt ("Troubles"), als Protestanten die katholischen Viertel Bogside in Derry stürmen. Der Polizei Nordirlands (RUC) gelingt es drei Tage lang nicht, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Die britische Armee schlägt den Aufstand gewaltsam nieder. In der Folge kommt es in ganz Nordirland zu Aufständen und Straßenschlachten. Bei Gewalt und Gegengewalt werden 8 Menschen erschossen und mehr als 130 verletzt. Spaltung der IRA über den Grad an Radikalisierung.

1972: Neue Eskalation durch den "Blutsonntag" (Bloody Sunday); 13 Demonstranten werden von britischen Fallschirmjägern erschossen. Die britische Regierung entmachtet das nordirische Parlament und schafft das Nordirland-Ministerium, das von London aus Strafgerichtsbarkeit, Justizvollzug und Polizei besorgt.

1975: Geheimverhandlungen zwischen IRA-Führung und britischer Regierung führen zu einem zwölfmonatigen Waffenstillstand bis Januar 1976. Dieser wird durch eine Mordserie protestantischer Ultras gegen katholische Zivilisten hintertrieben. Die IRA antwortet mit Vergeltungsmaßnahmen.

1998: Acht Konfliktparteien einigen sich am 10. April im sogenannten Karfreitagsabkommen von Belfast auf einen historischen Kompromiss. Irland verzichtet auf den Anspruch einer Wiedervereinigung; im Gegenzug soll diese per Referendum aller Nordiren möglich bleiben. Die (festgeschriebene) Bildung einer gemeinsamen Regierung von Unionisten und Republikanern soll den Friedensprozess schützen. Entwaffnung, Haftentlassungen und Reduzierung der britischen Truppen.

2001: gewaltsame Ausschreitungen an der Holy-Cross-Grundschule in Belfast.

2005: Die IRA erklärt den bewaffneten Konflikt für beendet.

2010: Die Zuständigkeit für Nordirlands Polizei und Justiz wird wieder unter die Leitung eines nordirischen Justizministers gestellt.

2016: Beim britischen Referendum über den EU-Austritt stimmen 56 Prozent der Nordiren für einen Verbleib - doch die landesweite Mehrheit von 51,9 Prozent gibt den Ausschlag für den "Brexit".

2020: EU-Austritt Großbritanniens. Die EU-Außengrenze verläuft nun faktisch zwischen Nordirland und Irland.

April 2021: Ausschreitungen und Straßenschlachten in Belfast

Sept. 2022: In Nordirland leben laut aktuellem Zensus (2021) erstmals seit 100 Jahren wieder mehr Katholiken (45,7 Prozent) als Protestanten (43,5 Prozent). Damit hat eine seit Jahren andauernde Entwicklung den Kipppunkt erreicht.

Quelle:
KNA