eine Blackstory am Sonntagmorgen

Die Welt ist ja so rücksichtslos...

Ein Bahnsteig in einem Provinzbahnhof. Eine ältere Dame mit Hund. Im Zug pinkelt sie neben die Toilette. In den Flur wohlgemerkt. Was ist passiert?

 (DR)

So könnte eine Blackstory, eine Rätselgeschichte anfangen. In geselliger Runde macht es Spaß, so eine  Geschichte vom Ende her aufzudröseln. Aber das hier ist keine Geschichte. Das hier ist das Leben. Was also ist passiert?

Die ältere Dame am Bahnsteig war in Plauderlaune. Ja, der Hund müsse getragen werden. Die Menschen seien ja so rücksichtslos. Ihr Liebling werde so oft getreten.

Sie selber tritt dabei von einem Fuß auf den anderen, eigentlich bräuchte sie eine Toilette. Wir bieten an, auf den Hund aufzupassen. Ach nein, das erledige sie im Zug. Wir warnen, in den Regionalzügen funktionierten die Toiletten meistens nicht. Zuviel Vandalismus der Passagiere.

Nein, auf keinen Fall. Nie. Niemals ließe sie das Hündchen alleine. Die Welt würde immer schlimmer. Erst recht mit den vielen Flüchtlingen und kaum welche kämen aus dem Krieg. Alles Wirtschaftsflüchtlinge.

Freundlich entgegne ich: also unter denen, die im Moment kämen, seien aber wirklich viele, die sich und ihre Kinder vor dem Krieg in Syrien nach hier retten.

Ach was, alles Lügen. Bald, ich solle auf ihre Worte hören und mir den Tag der Prophezeiung merken, bald käme der dritte Weltkrieg.

Immer noch freundlich, aber bestimmter, sage ich: Na, dann seien Sie doch eine aufrechte Demokratin und helfen Sie, das zu verhindern.

Ihre Augen werden kleine Schlitze. Also, das sage ich Ihnen: “Wenn der dritte Weltkrieg kommt, sind Gutmenschen wie Sie schuld.“

Wir schauen uns an, sind uns einig: Gut, dass sie nicht weiß, wo wir gerade herkommen. Vor drei Stunden, zurück aus Zentralafrika, sind wir aus dem Flugzeug gepurzelt. Wir, ein praktischer Arzt, der in seinem Urlaub Kinder behandelt hat und ich auf Recherchereise. Wir haben Dürre, politische Verfolgung und Kinder mit Hungerbäuchen gesehen. Aber die Dame, die sich eh nicht für uns interessiert, hat sich längst abgewandt.

Als der Zug anfährt, stolziert die ältere Dame, uns keines Blickes würdigend, mit ihrem Hund im Korb zu den Toiletten.  

Auf dem Rückweg frage ich: Alles gut? "Daneben gepisst. Ich lasse mir nichts mehr gefallen. Von niemandem mehr" bellt sie.

Jetzt mache ich große Augen. In der Tat, sie hat Recht: Menschen können sehr rücksichtslos sein.