Kirchenkunst in der Krise?

"Ein zeitliches Gefäß für das Ewige"

Steckt die Kirchenkunst in der Krise? Dr. Alexander Kissler vom Magazin Cicero setzt sich im domradio-Interview kritisch mit dieser Frage auseinander.

Leipziger Propsteikirche (dpa)
Leipziger Propsteikirche / ( dpa )

domradio.de: Als "architektonisches Understatement" bezeichnet ein Artikel in der Zeitung "Die Welt" den Neubau der Leipziger Propsteikirche. Halten Sie die Kirche für gelungen?

Alexander Kissler (Resortleiter beim Magazin Cicero): Es ist natürlich immer eine Frage, was man für gelungen hält. Da spielen auch persönliche Vorlieben hinein. Auch das Hässlichste findet ja seine Liebhaber, das will ich gar nicht abstreiten. Aber ich finde auch, dass sie [die Propsteikirche; Anm. der Red.] in einen allgemeinen Trend des Niedergangs sowohl des Bauens als auch des Glaubens hineinpasst. Wir haben ja praktisch zweierlei Arten von schlechtem Gewissen, die sich zum noch schlechteren verbinden. Einerseits eine Kirche, die ein gebrochenes Verhältnis zur eigenen Geschichte hat und gleichzeitig eine Institution, die ein gebrochenes Verhältnis zur Moderne hat, die also „modern“ übersetzt mit Hässlichkeit, mit Abweisung, mit sperrigen Materialien. Und dann kommen eben solche Kirchen heraus, die der Kollege dann eher als Multiplex-Kino definiert von außen.

domradio.de: Über Schönheit, Kunst und Liebe kann man bekanntlich streiten. Viele Menschen mögen es wohl eher schlicht. Was macht Ihrer Ansicht nach eine schöne Kirche aus?

Kissler: Ich glaube, das Schlichte ist ja schon ein Kriterium für das Gelungene. „Edle Einfalt, stille Größe“ hieß es früher in der klassischen Literatur, was das klassische Schönheitsideal angeht. Schönheit ist auf jeden Fall Proportionalität und Rangordnung der Elemente. Es muss also klar sein: Was ist vorne, was ist hinten, was ist ein Schwerpunkt im Raum? Und damit tun sich natürlich gegenwärtig Kirchen sehr schwer, weil sie Hierarchie unter Ideologieverdacht stellen. Ich kann aber ohne Hierarchien eigentlich nicht bauen. Ich muss Hierarchien der Einrichtungsgegenstände zwischen Tabernakel, Taufbecken, Bänken etc. herstellen. Und wenn ich alles nur so gleichrangig anordne, dann hat es derjenige, der eintritt, sehr schwer, sich zu orientieren oder Halt zu finden. Und das macht die gegenwärtige Architektur oft so zentrumslos.

domradio.de: Auch mit den Neugestaltungen von alten Kirchenräumen in jüngster Zeit tun Sie sich schwer. Sie haben mal geschrieben von einem Kirchenschiff mit dem "Charme eines Krematoriums". Muss nicht die gegenwärtige Kunst in den Formen der heutigen Zeit sprechen?

Kissler: Das war natürlich sehr boshaft formuliert. Da meinte ich so nebenstehende Campanile, die man gar nicht mehr als Kirchtürme erkennt. Diese schlechte Innenraumgestaltung war bezogen auf die Neuraumgestaltung des Eichstätter Doms, wo im Altarraum relativ instinkt- und gefühllos und auch gegen die Ansicht vieler Gläubiger, die dort beten, ein Element, ein Ambo aufgebaut wurde aus glitzerndem Stahl. Und daneben haben wir noch den alten steinernen Altar. Das passt überhaupt nicht zusammen. Ich glaube, was ganz verheerend ist, ist ein Stilmischmasch. Wenn ich also alte Formen habe und ich meine die aufbrechen zu müssen, indem ich zwei, drei neue moderne oder nur modernistische Elemente daneben setze. Also Stilmischmasch ist eigentlich immer hässlich. Und diese ewige Vermengung ist leider Gottes auch ein bisschen ideologisch aufgeladen in der Postmoderne. Man muss also den Mut finden, zur Klarheit der Form zurück zu finden. Und man darf vor allen Dingen Schroffheit, Abweisung, eine wenig einladende Atmosphäre nicht als "modern" bezeichnen. Letzten Endes muss ja eine Kirche ein zeitliches Gefäß für das Ewige finden. Und deshalb darf sie nicht gerade die Verirrungen der Moderne mitmachen.

domradio.de: Eigentlich stehen heute die Zeichen weniger auf Kirchenneubau oder Kirchenneugestaltung, sondern mehr auf Schließung, Umwidmung und Abbruch, weil immer weniger Gläubige zu den Gottesdiensten kommen. Gleichzeitig gibt es aber - vor allem im Osten Deutschlands - immer mehr Initiativen, die sich für den Erhalt oder die Restaurierung alter Dorfkirchen einsetzen - meist unabhängig von den Kirchenverwaltungen. Gibt es hier noch ein verstecktes religiöses Interesse?

Kissler: Das sind zwei sehr parallel zu beobachtende und sehr spannende Phänomene. In der Tat kommt man um den Abriss oder die Umwidmung mancher Kirchen nicht drum herum, das ist klar. Gerade in den siebziger Jahren wurden ja sehr schnell Kirchen hochgezogen, wo auch die Materialermüdung heute solche Formen angenommen hat, dass man die gar nicht ohne horrende Kosten halten kann. Und andererseits führt die Entvölkerung weiter Landstriche dazu, dass man sich nach einem neuen Zentrum sehnt, nach einem Zentrum der kleiner werdenden Gemeinden. Und da hat man eben als gemeinschaftliches Zentrum architektonischer Art oft nur eine Kirche. Und auch wenn sie dann vielleicht nicht mehr als Kirche genutzt wird, lädt sie doch dazu ein, dass über dieses alte Baudenkmal eine kleiner werdende Gemeinschaft sich ihrer Identität neu versichert. Der evangelische Altbischof Huber ist da auch sehr aktiv. Und ich glaube, das ist insofern sehr ermutigend, dass alte Formen nach wie vor von Menschen neu mit Sinn erfüllt werden können. Und letzten Endes stehen damit ja auch dann die Gefäße bereit für eine später vielleicht stattfindende neue religiöse Nutzung.

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.


Zeltinstallation Kunststation St. Peter / © Dr. Andreas Pohlmann714
Zeltinstallation Kunststation St. Peter / © Dr. Andreas Pohlmann714