Ein Werk Alfred Hrdlickas findet Platz im Wiener Stephansdom

Stalinist mit Rückversicherung

Es ist ein so merkwürdiges wie denkwürdiges Ereignis. Die kleine Barbarakapelle des Wiener Stephansdoms erhält an diesem Mittwoch die Skulptur einer seliggesprochenen Ordensfrau: Restituta Kafka. Bei dem kirchenpolitisch spannenden Termin segnet der Dompfarrer das Werk; sehr gespannt wird der Künstler erwartet, der sich selbst gern als "Stalinist" bezeichnet: Alfred Hrdlicka. Und am Schluss musiziert die Hobby-Blaskapelle der Wiener Straßenbahner.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Das alles hat seinen Sinn. Denn die Skulptur des als Künstler international hoch geschätzten Alfred Hrdlicka ehrt die 1998 seliggesprochene Franziskanerin Restituta Kafka. Die Nazis ließen die Ordensfrau 1943 im Alter von 48 Jahren wegen «Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat» hinrichten. So starb Schwester Restituta zwischen kommunistischen Straßenbahnern. Dompfarrer Toni Faber sagt, ihr Martyrium stehe als Zeugnis gegen Verrohung und Unmenschlichkeit des 20. Jahrhunderts. Und außer den Tramkutschern der Gegenwart kommen auch Angehörige ermordeter Widerständler in den Dom.

Dass nun der 81-jährige Hrdlicka die Skulptur, das erste moderne Kunstwerk im «Steffl» seit Jahrzehnten, schuf, hat eine Vorgeschichte. Sie sagt viel über den angespannten Dialog zwischen Kirche und Kunst, der in Österreich weit verminter ist als in Deutschland.

Zu Hrdlickas 80. Geburtstag im Februar vorigen Jahres zeigte das Wiener Dommuseum eine Schau «Das Religiöse im Werk von Alfred Hrdlicka». Ein Bild der Ausstellung «Santa Maria delle Grazie - Lionardos Abendmahl, restauriert von Pier Paolo Pasolini» wurde nach einigen Wochen aus der Schau entfernt - auf Veranlassung von Kardinal Christoph Schönborn, der die Arbeit in einer Stellungnahme als «blasphemisch oder pornografisch» bewertete. Doch Dompfarrer Faber gelang es, den Kardinal ins Atelier zum Gespräch mit dem Künstler zu bewegen. Aus diesem langen Gespräch erwuchs der Auftrag, eine Märtyrerin der Kirche zum Gegenstand einer Arbeit zu machen.

Eine Märtyrerin - das passt zum Werk Hrdlickas. Das Schaffen von Österreichs bedeutendstem lebendem Künstler kreist um den leidenden und geschundenen Menschen. Eine eigene Veröffentlichung, 400 Seiten stark, trug 2007 den Titel «Der gekreuzigte Mensch im Werk von Alfred Hrdlicka». Wien-Touristen kennen sein Holocaust-Denkmal vor der Albertina in Wien, den Straße schrubbenden Juden. In Berlin spricht der Mit-Schmerz aus dem «Plötzenseer Totentanz».

Aber Hrdlicka und Kirche? Der gesundheitlich angeschlagene Bildhauer bezeichnet sich selbst oft als Kommunisten oder Stalinisten, gelegentlich auch als Atheisten. Dompfarrer Faber indes sieht ihn «hundertprozentig als Christen». Wenn der Künstler von sich selbst als Stalinist spreche, erfolge das nicht in Ablehnung der metaphysischen Dimension des Menschen. Hrdlickas Werk sei im Gegenteil immer wieder geprägt von einer tiefreligiösen Empfindung. Der Künstler, der ein tiefes Interesse an der Bibel habe, sei mit seiner ganzen Art und Ausstrahlung am Puls des Lebens und «in diesem Sinne auch fromm, weil er sich den Brüchen und Fragen des Lebens stellt und dabei nicht bigott ist».

Es gibt eine Anekdote aus Hrdlickas Kindheit. Eine Jugendfreundin legte eine Bibel vor seine Tür, läutete und lief davon. Hrdlicka nahm und las, und bis heute scheint er manchmal besessen von der Bibel und findet sie das spannendste Buch aller Zeiten. In einem Interview-Buch zum Geburtstag 2008, erschienen im Verlag des «Neuen Deutschland», geht er auf die Verfehlungen ein, die der Kirche im Laufe der Zeit einfielen. Und lobt doch das spekulative Denken des Christentums «als Selbstschutz gegen die Geistlosigkeit, die so sehr verführerisch ist».

Wegbegleiter berichten, dass sich Hrdlicka in bestimmten Situationen bekreuzige. Und seine Frau nennt ihn einen «Rückversicherer». Der Wiener Stephansdom erhält eine sehr Wienerische Arbeit an diesem Mittwoch. Und die Straßenbahner schicken die Blasmusik.