Ein Seelsorger auf der Gorch Fock berichtet

"Es ist ein sehr schönes Schiff"

Zwei Jahre nach dem Tod einer Kadettin gibt es einen Neustart auf der Gorch Fock, dem Segelschulschiff der Deutschen Marine. Mit an Bord ist Militärdekan Dr. Michael Gmelch. Ein Interview.

 (DR)

domradio.de: Guten Tag, Herr Gmelch! Insgesamt gab es in der Vergangenheit zwei tödliche Unfälle auf der Gorch Fock, konnten Sie denn das Schiff unvoreingenommen betreten?
Dr. Michael Gmelch: Ich persönlich habe das Schiff mit großem Optimismus betreten, weil ich auch festgestellt habe – auch hier bei uns in der Marineschule Mürwig ‑, dass man alles getan hat, um die Sicherheit der Auszubildenden so weitgehend wie möglich zu gewährleisten.

domradio.de: Vor zwei Jahren war ja eine 25-jährige Kadettin aus der Takelage gefallen. Würden Sie denn heute dort hochklettern? Würden Sie sich das trauen?
Dr. Gmelch: Was ich gesehen habe, als ich an Bord war, da kann ich nur sagen, das zuständige Personal, also die Ausbilder, haben eine sehr hohe professionelle Kompetenz und sie wissen natürlich auch, worauf es jetzt ankommt, dass die Zukunft des Schiffes natürlich auch mit auf dem Spiel steht, wenn jetzt wieder etwas passieren würde; und so sind sie wirklich dabei, ihr Bestmögliches zu geben. Ich persönlich würde es tun, selbst wenn ich mit meinen 54 Jahren jetzt der Senior an Bord des Schiffs gewesen bin.

domradio.de: Es heißt ja, die Gorch Fock sei die schönste Botschafterin Deutschlands, zumindest war das einmal so. Würden Sie das auch unterschreiben?

Gmelch: Es ist ein sehr schönes Schiff, wie man sich alte Segelschiffe tatsächlich vorstellt.

domradio.de: Aber die Schlafsäle sind jetzt nicht unbedingt so, dass Sie sagen, dort hätte ich gern mit den Kadetten übernachtet, oder?

Gmelch: Man muss sich natürlich vergegenwärtigen, dass das Schiff aufgrund seines Alters auch einen entsprechenden Zuschnitt hat, das heißt auf gut Deutsch, die Offiziersanwärter/-innen müssen auf sehr engstem Raum miteinander schlafen und leben. Da ist eine Hängematte über und eine unter Dir, wenn man in der Mitte liegt, und Kameraden rechts und links. Das ist schon eine Herausforderung an das Sozialverhalten, das die allermeisten so bisher nicht gewohnt sind.

domradio.de: Sie haben außerhalb übernachtet und Sie waren nicht nur als Seelsorger an Bord, Sie hatten vor allen Dingen einen Lehrauftrag. Was haben Sie den Kadetten/innen denn vermittelt?

Gmelch: Der Lehrauftrag entspricht der zentralen Dienstvorschrift, die das Verteidigungsministerium vor einigen Jahren herausgegeben hat, das heißt, jeder Soldat ist verpflichtet, zwei Stunden lebenskundlichen Unterricht zu erhalten. Ich habe die Offiziersanwärter vor dem Auslaufen, kurz vor Weihnachten, noch einmal getroffen und sie gefragt, was sie sich denn vom Unterricht wünschen. Und da war die Antwort sehr deutlich: Wir wünschen uns Hilfestellungen auch seitens der Psychologie, wenn es darum geht, Sozialverhalten einzuüben, Stresssituationen zu meistern, sich selbst zu überwinden, Gruppenprozesse, die natürlich aufgrund des längeren Zusammenlebens auf engstem Raum irgendwann einmal passieren werden, zu interpretieren und auch zu steuern.

domradio.de: Und das ist auch der Grund, weshalb solche Übungen noch auf dem alten Segelschulschiff nun doch wieder nach langen Überlegungen stattfinden, um solche Prozesse kennenzulernen. Sind Sie denn auch mit der Besatzung ins Gespräch gekommen, insbesondere wegen der Vorkommnisse an Bord? Alte Besatzungsmitglieder hatten sich ja auch über den Drill beschwert. War das ein Thema auf dem Schiff?

Gmelch: Es ist natürlich so, dass die Offiziersanwärter diese Dinge vor einigen Jahren aus der Presse erfahren haben. Jetzt konnte ich nicht feststellen, dass dieses Thema die jungen Menschen in irgendeiner Form beeindruckt hätte. Von der Stammbesatzung, die damals noch an Bord gewesen ist, haben ja einige diese Unfälle miterlebt und haben natürlich auch bestimmte Verletzungen seitens der Presse, bestimmte Traumatisierungen und Trauerprozesse durchleben müssen und alles verarbeiten müssen, aber jetzt war das kein Thema mehr.

domradio.de: Haben Sie denn an Bord auch Gottesdienste angeboten?

Gmelch: Ich habe an den beiden Sonntagen Gottesdienste gehalten, eine katholische Eucharistiefeier, zur der ich alle eingeladen hatte. Und da war wider Erwarten der Zuspruch sehr, sehr groß.