Ein Papst-Gericht befreit reuige Katholiken vom Kirchenbann

Gnade für die größten Sünder

Für Katholiken ist sie die letzte Instanz, wenn sie aus der Gnade der Kirche gefallen sind: die Apostolische Pönitentiarie. Wessen Akte auf dem Tisch des Tribunals unter Kardinal James Francis Stafford landet, hat ein handfestes Problem - und zugleich Grund zur Hoffnung. Die auch für Ablässe zuständige Vatikanbehörde mit dem unaussprechlichen Namen holt die ärgsten Sünder wieder ins Boot: jene, die sich durch besonders schwere Vergehen ins kirchliche Abseits gestellt haben.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Von einem «Gnadentribunal» spricht deshalb auch Stafford, dessen etwas einschüchternder Titel Großpönitentiar in einem gewissen Kontrast zu seinem freundlich-bescheidenen Wesen steht. Das Amt, das der 76-Jährige aus Baltimore seit 2003 leitet, zählt zwar zu den drei obersten Gerichten der katholischen Kirche. Aber es verurteilt nicht, es begnadigt. Dabei will der Kardinal den Ernst der Materie keineswegs herunterspielen: In der Welt, so Stafford, liegen das Dämonische und die Wahrheit im Widerstreit. Den Auftrag seiner Behörde sieht er im Kampf gegen die «Dekadenz der Alltäglichkeit».

Nicht jedes grobe Vergehen schafft es vor Staffords Richtstuhl. Das katholische Kirchenrecht kennt eine Handvoll Fälle, in denen normale Beichtväter den Vatikan einschalten müssen: Schändung der Eucharistie, tätliche Gewalt gegen den Papst, unerlaubte Bischofsweihe, der direkte Bruch des Beichtgeheimnisses oder wenn ein Priester jemandem das Bußsakrament spendet, der mit ihm gemeinsam eine sexuelle Übertretung begangen hat; außerdem die Verletzung der Schweigepflicht bei der Papstwahl.

Durch solche Delikte zieht sich der Täter automatisch die Exkommunikation zu, ohne dass ein kirchliches Urteil nötig wäre. Und: Die Kirche stuft sie als so gravierend ein, dass nur der Apostolische Stuhl selbst den Bann lösen kann.

Abgesehen von Fällen, in denen die Umstände einer Tat von sich aus öffentlich geworden sind, kommen auf Staffords Tisch nur Akten ohne Namen. Erfährt beispielsweise ein Priester in der Beichte von einer Hostienschändung, so erteilt er die Lossprechung unter Vorbehalt und meldet den Vorgang an die Pönitentiarie, ohne jedoch die Identität des Betreffenden preiszugeben. Von Staffords Büro bekommt der Beichtvater wenig später ein Antwortschreiben, das die Aufhebung der Exkommunikation und eine Bußauflage enthält - üblicherweise ein bestimmtes Pensum von Gebeten. Beides hat der Priester dem Beichtenden mitzuteilen; der Brief wird vernichtet.

Solche Vorgänge bilden indessen nur die Spitze des Eisbergs.
Gesündigt wird auf breiter Front. Die Kirche müsse daher «den Männern und Frauen der Postmoderne die Gelegenheit geben, tiefer über ihr inneres Leben zu reflektieren und von Gott Vergebung für den Missbrauch der Macht zu bitten, die in ihren Händen liegt», sagte Stafford bei einer zweitägigen Konferenz über die Geschichte der Pönitentiarie, die am Mittwoch zu Ende ging.

Dabei erlebt die Beichte seit Jahren eine «besorgniserregende Krise», wie Bischof Gianfranco Girotti, Regent und zweiter Mann in der Pönitentiarie, feststellt. 30 Prozent der Katholiken halte die Beichte für überflüssig, 20 Prozent hätten Hemmungen, vor einem Priester über ihre Sünden zu sprechen, und 10 Prozent sähen darin ein Hindernis für den direkten Kontakt mit Gott, sagte Girotti unter Verweis auf die jüngsten im Vatikan verfügbaren Daten - und die sind über zehn Jahre alt.

Keine Renaissance der Buße, wohl aber eine Verschiebung im Sündenspektrum. Immer häufiger spielt das Internet eine Rolle:
Beichtende klagen sich an, pornografisches und pädophiles Material teils zwanghaft zu konsumieren, wie Praktiker der Beichtseelsorge am Rand der Tagung berichteten. Auch kulturelle Unterschiede zeichnen sich ab: Auf den Philippinen belasten entsprechend der Mentalität besonders Verstöße gegen die sozialen Umgangsformen die Gewissen. In Italien hingegen, so Girotti, kommt beim Priester mehr als früher das Thema Steuerhinterziehung zur Sprache.