Ein muslimisches Seelsorgetelefon stößt in Berlin auf große Nachfrage

Hilfe am Headset

Die Kirchen haben es vorgemacht: Seit vielen Jahrzehnten bieten sie flächendeckend eine erfolgreiche Telefonseelsorge an. Natürlich auch für Muslime. Doch bei deren Glaubensfragen oder Themen wie Zwangsheirat sind die christlichen Berater schnell überfordert. Nun gibt es in Berlin die muslimische Variante der Telefonseelsorge.

Autor/in:
Lea Gerschwitz
Berlin: Erste muslimische Telefonseelsorge (epd)
Berlin: Erste muslimische Telefonseelsorge / ( epd )

«Am Anfang hatte ich Zweifel, ob ich das kann», erzählt die junge Frau mit dem türkis-braunen Kopftuch. «Ich hatte Angst vor der Sprachlosigkeit, aber die ist zum Glück nicht eingetroffen.» Medine sitzt in einer Berliner Dachgeschosswohnung, vor ihr auf dem Tisch liegt ein Headset. Die 27 Jahre alte Studentin ist eine von 22 Ehrenamtlichen, die hier dreimal im Monat je vier Stunden anonym für das «Muslimische SeelsorgeTelefon» arbeiten.

«Ein Notruf für die Seele - Ein Gespräch kann Welten öffnen.» Mit diesem Slogan wird für das Angebot auf Flyern und Plakaten in Moscheen, über Rundmails sowie im Internet geworben. Seit Anfang Mai können sich die Anrufer täglich von 16 bis 24 Uhr Seelsorgern anvertrauen, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen. Am Mittwochabend wurde im Berliner Roten Rathaus offiziell die Gründung gefeiert.

«Die Anruferzahlen schwanken», erzählt Geschäftsführer Imran Sagir. Manchmal bliebe das Telefon stumm, während es an anderen Abenden viele Anrufer gleichzeitig gebe. In diesem Fall sei eine Ansage zu hören, da immer nur ein Mitarbeiter zur Verfügung stehen könne. Insgesamt 440 Menschen hätten das kostenfreie muslimische Seelsorgetelefon schon genutzt, so Sagir. Weltweit sei es das erste seiner Art.

«Bei uns gab es schon seit einigen Jahren die Idee, eine türkische Seelsorge aufzubauen», erzählt Uwe Müller, Leiter der Kirchlichen Telefonseelsorge in Berlin. Als sich bei einer Tagung der Kontakt zu der internationalen Hilfsorganisation «Islamic Relief» herstellte, sei allerdings schnell klar geworden, dass eine türkische Hotline allein nicht ausreiche. In Zusammenarbeit mit Diakonie und Caritas habe «Islamic Relief» schließlich die Trägerschaft übernommen.

«Wir sind weder ein religiöses Angebot noch ein Migrantentelefon», erklärt der gebürtige Berliner Sagir, dessen Eltern aus Indien stammen. Es gehe darum, die Sorgen der Menschen anzuhören und zusammen mit ihnen nach Auswegen aus der Krise zu suchen. «Wir bieten einen muslimischen Bezugsrahmen», sagt Sagir. Alle seine Kollegen seien wie er gläubige Muslime. Ein Grundverständnis der Religion und Kultur helfe bei bestimmten Problemen der Anrufer. Natürlich könnten auch Nichtmuslime von der Rufnummer Gebrauch machen, so der Geschäftsführer.

Der Streit zwischen Ehepartnern verschiedener Glaubensrichtungen sei ein häufig auftretendes Problem, berichtet Medine. Meistens gehe es um zwischenmenschliche Beziehungen. «75 Prozent der Anrufer sind Frauen», sagt Sagir. In der ersten Zeit hätten fast keine Männer angerufen, aber das ändere sich langsam. «Es gibt keine allgemeingültigen Rezepte, jedes Gespräch ist anders», erklärt der 35-Jährige. Sein erstes Telefonat ist Sagir besonders in Erinnerung: «Es ging um einen Vergewaltigungsfall, das hat mich sehr bestürzt.»

Ausgebildet wurden die Mitarbeiter des Beratungstelefons von erfahrenen Seelsorgern. Am Anfang habe es noch Bedenken gegeben, ob die muslimischen Berater von Christen ausgebildet werden könnten, erinnert sich Uwe Müller von der Kirchlichen Telefonseelsorge. «Mittlerweile funktioniert die Ausbildung besser, als ich je zu träumen gewagt hätte», fügt er hinzu.

Dort, wo bei der Ausbildung für das kirchliche Angebot das christliche Menschenbild tragend sei, habe man sich die entsprechenden Grundsätze des muslimischen Glaubens angeschaut. «Das war für alle wichtig», betont Müller, der seit 20 Jahren in Berlin ausbildet. Den Bedarf für eine muslimische Variante habe er sehr deutlich gespürt. «Bei Glaubensfragen oder Themen wie Zwangsheirat waren wir überfordert.»

«In Zukunft soll es eine 24-stündige Bereitschaft geben», kündigt Imran Sagir an. «Außerdem wollen wir an zwei Tagen die sonst auf deutsch geführten Gespräche auch auf türkisch, an einem Tag auf arabisch anbieten.»

Das muslimische Seelsorgetelefon ist täglich von 16 bis 24 Uhr unter der Telefonnummer 030-443509821 erreichbar.