Schon bei der Landung in Bangui wird Entwicklungsminister Gerd Müller mit dem Elend in der Zentralafrikanischen Republik konfrontiert. Die Start- und Landebahn des Flughafens ist gesäumt von hunderten Verschlägen und behelfsmäßig aufgespannten Planen. Die genaue Zahl der Flüchtlinge hier kennt niemand so genau. 50 000 bis 60 000, heißt es. Andere Schätzungen gehen von der doppelten Zahl aus.
Der französische Botschafter Charles Malinas, der Müller empfängt, führt ihn bis auf hundert Meter an das Camp heran. "Nur bis hier zu dem Flugzeug", warnt er dann. Auf dem Gelände würden sich die Anti-Balaka ("gegen die Macheten") verstecken, christliche Milizen, die in Bangui und anderen Landesteilen Jagd auf Muslime machen.
Müller sagt noch auf dem Rollfeld, der Anblick des Elends nehme ihn mit. "Wir können hier aber nicht einfach die Scheinwerfer ausblenden und sagen: Wir machen um die Zentralafrikanische Republik und dieses Elend einen Bogen. Deshalb bin ich hier."
Auf der Straße, die vom Flughafen in die Stadt fährt, kommt der Minister an einer verkohlten Ruine vorbei. In dem Haus hat einst ein muslimischer Politiker gewohnt, bis die Anti-Balaka sein Heim niederbrannten. Jede Nacht werden in dieser Gegend Menschen teils brutal ermordet. Überlebende der Gewaltausbrüche werden schlimm zugerichtet in die Notfallklinik des Internationalen Roten Kreuzes eingeliefert, die Müller am Freitag besucht. 19 Ärzte kümmern sich hier mit veralteten Geräten um 35 neue Patienten am Tag.
Eine Anästhesistin aus dem baden-württembergischen Rottweiler berichtet, dass 80 Prozent Schusswunden hätten. Aber auch Männer, denen die Kehle mit einer Machete durchtrennt worden sei, habe sie schon gesehen, sagt Brigitte Rospert. Judith Léveillée, Repräsentantin der Flüchtlingsorganisation Unicef schlägt mit noch drastischeren Worten Alarm: «Kinder werden geköpft. Kinder werden in schrecklichem Zustand aufgefunden», sagt sie.
Und beim Besuch eines christlichen Flüchtlingscamps mit rund 20 000 Bewohnern bekommt er vom Pfarrer zu hören: «Die Lage ist wirklich an der Grenze des Erträglichen.» Nur die Generäle der französischen Armee, die seit Dezember versucht, die Milizen zu entwaffnen, sprechen von einer deutlichen Stabilisierung der Lage.
Zentralafrika ist ein Land in Chaos und Armut, ohne funktionierende Regierung und Sicherheitsstrukturen. Seit einem Jahr massakrieren sich Christen und Muslime gegenseitig. Von Völkermord wie in Ruanda vor 20 Jahren ist bereits die Rede. Über die Toten gibt es keine Statistik. Die Zahlen der Flüchtlinge (280 000), Vertriebenen (650 000) und der Notleidenden (2,5 Millionen) kennt man da schon etwas genauer - und das bei nur 4,6 Millionen Einwohnern.
Müller ist als erstes Mitglied der Bundesregierung für zwei Tage nach Bangui gekommen, um ein Schlaglicht auf einen Konflikt zu werfen, der in Deutschland vor allem wegen der geplanten Entsendung von Bundeswehrsoldaten wahrgenommen wird. Den Entwicklungsminister ärgert das ungemein. Die Bundeswehr mag inzwischen in sieben afrikanischen Ländern mit 560 Soldaten im Einsatz sein.
Das Entwicklungsministerium und seine Unterorganisationen sind aber mit 2000 Mitarbeitern in 32 afrikanischen Ländern. "Wir sind das operative Afrika-Ministerium", sagt Müller. Deswegen hat der CSU-Politiker auch ein Strategiepapier für den ganzen Kontinent nach Zentralafrika mitgebracht, das er quasi als Steilvorlage für die geplante Überarbeitung der Afrika-Strategie der gesamten Bundesregierung präsentiert.
1,3 Milliarden Euro Entwicklungsgelder pro Jahr sind darin vorgesehen - 100 Millionen Euro mehr als bisher. Für Zentralafrika stellt er aber zunächst nur zehn Millionen zur Verfügung - obwohl für die Bewältigung der Hungerkatastrophe in dem Land allein in diesem Jahr noch ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag fehlt. Man kann davon ausgehen, dass Müller ein paar Millionen Euro mehr für Ernährungshilfe und zur Verbesserung der Hygiene lieber gewesen wären - und dafür ein paar Soldaten im Auslandseinsatz weniger. Er sehe sein Haus als «Friedensministerium», sagt er.
Voraussichtlich in der nächsten Woche will das Kabinett entscheiden, wie der militärische Beitrag Deutschlands zur Krisenbewältigung in Zentralafrika aussehen soll. Geplant sind Sanitätsflugzeuge und Stabsoffiziere für die Hauptquartiere in Bangui und im griechischen Larissa. Damit ist auch Müller noch einverstanden - aber nur gerade so. "Ich habe nicht den Ruf nach deutschen Soldaten gehört, sondern ich habe schreiende Kinder und schreiende Not gesehen", betont er. (dpa)