Ein Kommentar von domradio.de-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen

Reinen Tisch machen!

Als vor mehr als einem Jahrzehnt in den USA die ersten Fälle von Missbrauch durch katholische Geistliche bekannt wurden, war Amerika für viele kirchliche Entscheidungsträger hierzulande weit weg. Als dann die katholische Kirche in Irland ihre Missbrauchsaffäre hatte, wollten nicht wenige heimische Kirchenmänner immer noch an Ausnahmefälle glauben, die die schöne Regel bestätigen. Als der Fall der Bischöfin Käßmannn während der Frühjahrsvollversammlung der DBK dann für Schlagzeilen sorgte, waren einige Bischöfe erleichtert und hofften darauf, dass die bösen Medien jetzt endlich Ruhe geben würden. All diese Verantwortungsträger handelten naiv und wenig verantwortlich.

 (DR)

Wenn an diesem Wochenende dann erstmals auch Missbrauchsfälle an einer nichtkatholischen Schule ans Licht der Öffentlichkeit kommen, darf sich kein kirchlich Verantwortlicher zurücklehnen. Der Splitter im Auge des Anderen hat bei der Entfernung des eigenen Balkens noch niemals geholfen. Es  gilt uneingeschränkt, was der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz in Freiburg klarstellte: Wenn Kirchenmänner das Vertrauen missbrauchen, wiegt es besonders schwer. Es gilt aber auch, dass spätestens jetzt nicht nur in der katholischen Kirche alle Akten und Archive geprüft werden und alles schonungslos auf den Tisch kommt. Die Odenwaldschule in Hessen zeigt, dass an dem von der Bundesjustizministerin eingeforderten runden Tisch alle Platz nehmen dürfen - es ist längst kein rein katholisches Problem mehr, welches uns derzeit von Tag zu Tag neu erschüttert und uns völlig unverständlich und ungläubig die Augen reiben lässt.  

Sicher, vieles ist lange her - aber eben für die Opfer damit längst noch nicht vorbei. Damals war sicher auch eine andere Zeit - aber gerade deshalb darf das für uns heute nicht ohne Folgen bleiben. Papst Johannes XXIII. war es, der gesagt hat, heilig könne man mit einem Besen genau so gut wie mit einem Bischofsstab werden. Jetzt ist es höchste Zeit, diese Besen rauszuholen. Ein runder Tisch für alle mag eine gute Sache sein. Jetzt einen reinen Tisch machen ist auf jeden Fall die einzige Möglichkeit, das verloren gegangene Vertrauen in der Gesellschaft, aber auch in den eigenen Reihen zurückzugewinnen. Ohne schonungslose Transparenz, Aufklärung, Klarheit und Wahrheit wird es nicht gehen. Und dabei mit dem Besen vor der eigenen Tür anfangen ist gut biblisch - auch wenn man dabei nicht automatisch heilig wird.