Wie strenggläubige Juden in Unternehmen integriert werden

"Ein kleiner Friede vor der Haustür"

In Israel geht die Mehrheit der streng orthodoxen Männer keiner Arbeit nach, weil sich das nicht mit ihren religiösen Bräuchen vereinbaren lässt. Die "Jerusalem Foundation" will das ändern und vermittelt Strenggläubige in IT-Unternehmen. 

Jom Kippur in Jerusalem / © Sebi Berens (KNA)
Jom Kippur in Jerusalem / © Sebi Berens ( KNA )

DOMRADIO.DE: Welches Angebot unterstützt Ihre Stiftung?

Gabriele Appel (Deutschland-Direktorin der Stiftung Jerusalem Foundation): Man müsste vorausschicken, warum wir überhaupt IT-Firmen in Jerusalem unterstützen. Israel hat sich von einem Agrarstaat zur Hightech-Hochburg entwickelt, und das hat nicht Halt vor Jerusalem gemacht. Zunächst war über viele Jahre Tel Aviv die Hochburg der Startups. Mittlerweile hat sich aber auch in Jerusalem eine echte Startup-Szene entwickelt. 

Das Problem ist nur: In Jerusalem gibt es eine ganz besondere Bevölkerungszusammensetzung. In der größten Stadt Israels lebt ein Zehntel der israelischen Gesamtbevölkerung. Zwei Drittel der Jerusalemer Bevölkerung sind ultraorthodoxe Juden und Araber. Auch die braucht man für den Arbeitsmarkt. Gerade in der IT-Szene ist es ganz wichtig, genug Programmierer zu haben.

Die Jerusalem Foundation unterstützt Unternehmen, die es so in Israel nicht gibt: Zum Beispiel die Firma Avratec und Ravtech. Avratec ist eine Kombination aus einem Schulungszentrum für ultraorthodoxe Männer und einem Sozialunternehmen, in das die Männer übernommen werden. Vorher arbeiten sie sich zwölf Monate lang in die Programmiersprachen, in Mathematik, Hebräisch und Englisch ein und lernen, sich im Geschäftsalltag zurechtzufinden.

DOMRADIO.DE: Wie werden die strengen religiösen Vorschriften, die die sogenannten ultraorthodoxe Männer befolgen müssen, in das Ausbildungsprogramm integriert?

Appel: So eine Integration schafft das Unternehmen Ravtech. Es hat etwas ziemlich Revolutionäres gemacht: Die Männer können ihre religiösen Gebräuche und Vorschriften im Unternehmen einhalten. Sie lernen zum Beispiel morgens erst einmal drei Stunden lang die Thora. Nach dem Mittag geht es dann los mit dem Unterricht. Es gibt alle Vorrichtungen, die sie für koscheres Essen brauchen. Und am Wochenende wird der Sabbat eingehalten. 

Es ist eine Kombination aus einem geschäftlichen Alltag und der Berücksichtigung der religiösen Vorschriften, damit sie sich im Sozialunternehmen auch weiterhin gut aufgehoben fühlen.

DOMRADIO.DE: Ihnen werden nach der Ausbildung feste Arbeitsplätze garantiert. Dürfen sie denn überhaupt arbeiten? Sind Kontakte zur modernen IT-Welt kein Tabu?

Appel: Gerade im Unternehmen Ravtech ist es so, dass die Leute vor allem im Backoffice arbeiten. Der Kontakt zur Außenwelt findet ja generell in diesen Berufen oft nicht statt. Programmierer arbeiten oft im Backoffice, sie sind vor allen Dingen Software-Entwickler. So ein klassisches Meeting muss nicht unbedingt in ihrem Berufsalltag stattfinden, aber das gibt es natürlich auch.

DOMRADIO.DE: Gibt es im Unternehmen einen Platz für ultraorthodoxe Frauen?

Appel: In diesem Unternehmen nicht, nein. Aber die ultraorthodoxen Frauen sind sowieso viel mehr als die Männer im Geschäftsleben integriert. Fast drei Viertel aller ultraorthodoxen Frauen gehen mittlerweile irgendeiner Tätigkeit nach.

DOMRADIO.DE: Wie wird denn das Angebot von den Männern angenommen ?

Appel: Es wird sehr gut angenommen. Man nimmt nicht jeden, sondern die Männer müssen sich qualifizieren, um überhaupt in das "Traineeprogramm" aufgenommen zu werden. Der Zulauf ist sehr groß und das freut uns, weil es zeigt, dass es auch eine Öffnung gibt. Es wird eine Art Brücke geschlagen in die moderne Welt. Die arabische Bevölkerung soll an dieser Entwicklung teilhaben. 

DOMRADIO.DE: Warum braucht die arabische Bevölkerung ein spezielles Projekt, um eine Ausbildung in der IT-Branche zu machen?

Appel: Es mangelt einfach an der Möglichkeit, sich schon als Schüler weiterzubilden. Die sogenannten MINT-Fächer (Abkürzung für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, Anm. d. Red.) werden in den Lehrplänen nicht berücksichtigt wie bei uns. Und in Ostjerusalem kommt die fehlende Anbindung an die westliche israelische Industrie hinzu. Es gibt kaum Technologiezentren. Deshalb unterstützt die Stiftung Initiativen, die vor allem Frauen Perspektiven geben, sich in der Geschäftswelt und der Szene zu präsentieren und Fuß zu fassen. 

Wir fördern Frauen, die ein Unternehmen gründen wollen und damit auch die Einkommenssituation in Ostjerusalem - die zum Teil katastrophal ist. Die Frauen erhalten ein kleines Technologiezentrum, das Kontakte, Vernetzungsmöglichkeiten und Infrastrukturen, die es braucht, um ein Startup zu gründen.

DOMRADIO.DE: Wie können denn solche Projekte dazu beitragen, dass arabische und jüdische Menschen sich in der Arbeitswelt begegnen?

Appel: So wie wir das auch in anderen Projekten erleben, wenn man sich im Alltag begegnet - sei es in der Bildung, sei es in der Geschäftswelt. Man hat ein gemeinsames Ziel. Manchmal ist es gar nicht so schwierig, sich über ein gemeinsames Ziel zu verständigen. Dass man sagt: Jetzt spielt die Religionszugehörigkeit gar keine Rolle mehr, sondern das gemeinsame Ziel. Wir erleben das immer wieder, dass über solche pragmatische Initiativen so eine Art kleiner Frieden vor der Haustür geschaffen wird.

Das Gespräch führte Dagmar Peters. 


Dr. Pannen, Nadim Sheiban und Gabriele Appel / © Sasson Tiram, Courtesy of the Jerusalem Foundation (privat)
Dr. Pannen, Nadim Sheiban und Gabriele Appel / © Sasson Tiram, Courtesy of the Jerusalem Foundation ( privat )
Quelle:
DR
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