Ein Jahr Patriarch Kyrill I.

Neues Selbstbewusstsein

Er boykottiert die neue Spitzenrepräsentantin der deutschen Protestanten und schmiedet zur Verteidigung konservativer Werte ein Bündnis mit dem Vatikan. Seit Amtsantritt des charismatischen Kyrill I. am 1. Februar 2009 strotzt Russlands orthodoxe Kirche vor neuem Selbstbewusstsein - manchmal sogar gegenüber dem Kreml.

Autor/in:
Oliver Hinz
Kyrill I.: Seit 2009 der Moskauer Patriarch (epd)
Kyrill I.: Seit 2009 der Moskauer Patriarch / ( epd )

Kalte Schulter für die neue Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, aber Schmeicheleien für Papst Benedikt XVI. - Der Moskauer Patriarch Kyrill I. hat in seinem ersten Jahr an der Spitze der russisch-orthodoxen Kirche klare Akzente gesetzt.

Das Oberhaupt von weltweit 150 Millionen russisch-orthodoxen Christen kann bereits eine Reihe von Erfolgen vorweisen. Staatspräsident Dmitri Medwedew erfüllte nach Gesprächen unter vier Augen gleich drei zentrale Patriarchenwünsche. Mit einem Pilotprojekt ebnete er der Wiedereinführung des Religionsunterrichts an Schulen den Weg. Auch den Ausbau der bislang bescheidenen Militärseelsorge ordnete der Kremlchef an. Und erst vor wenigen Wochen erreichte Kyrill das Versprechen, dass die Kirche fast ihr gesamtes zu Sowjetzeiten enteignetes Eigentum zurückbekommt.

Großen Respekt genießt der Patriarch bei vielen Russen besonders wegen seines souveränen und bisweilen humorvollen Auftretens. Vor Fernsehpublikum scherzte er etwa über seine Aversion gegen das Klavierspielen und lobte seine selbstgemachten Frikadellen. In der "Elite-Rangliste" des staatlichen Meinungsforschungsinstituts VCIOM landete Kyrill I. im Dezember auf Platz vier - höher stufte die Bevölkerung nur Ministerpräsident Wladimir Putin, Präsident Medwedew und eine Musikerin ein.

"Er ist ein sehr guter Organisator"
Auch der langjährige katholische Moskauer Erzbischof Tadeusz Kondrusiewicz bewundert den "enormen Enthusiasmus", mit dem Kyrill I. die größte orthodoxe Nationalkirche leitet. "Er ist ein sehr guter Organisator, sehr aktiv, gut vorbereitet, sehr beredt und beliebt, nicht nur in Russland, sondern weltweit bekannt, eine echte Führungspersönlichkeit", sagte der heutige Minsker Erzbischof der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der Patriarch habe seiner Kirche einen neuen Schub geben. Auch die Beziehungen zur katholischen Kirche hätten sich stark entwickelt - die Standpunkte des Patriarchen deckten sich in theologischen Fragen fast vollständig mit denen von Benedikt XVI. Einen Zeitplan für eine historische Begegnung der Oberhäupter beider seit rund tausend Jahren getrennten Kirchen gebe es allerdings noch nicht.

Stark abgekühlt haben sich dagegen die Beziehungen zu den deutschen Protestanten. Wegen der Wahl Käßmanns zur EKD-Ratsvorsitzenden kam es im November zum Eklat: Die in Berlin und Moskau geplanten Feiern zum 50-jährigen Jubiläum des Dialogs zwischen beiden Kirchen platzten. Kyrill I. lehnt Käßmann als Gesprächspartnerin ab. Nun herrscht auf Spitzenebene erst einmal Funkstille. Eine Frau als Kirchenführerin - das widerspricht den Grundsätzen der orthodoxen Kirche. Zwar kappte das Patriarchat den Kontakt zur EKD nicht, aber sie stoppte den einst fruchtbaren Dialog beider Kirchen in der bisherigen Form. Kyrill I. antwortete bislang nicht einmal auf einen Brief Käßmanns, in dem diese ihn vor mehr als zwei Monaten um die Weiterführung des Dialogs bat. Die Nummer zwei des Moskauer Patriarchats, Außenamtschef Erzbischof Hilarion, will jedoch im Frühjahr nach Deutschland kommen.

Dass Kyrill. I. nicht immer auf Kremlkurs ist, zeigte er im Fall des von Georgien abtrünnigen Abchasien. Während das russische Parlament die Unabhängigkeit der Kaukasusregion anerkannte, entriss der Patriarch die Kirchenprovinz nicht der georgisch-orthodoxen Kirche. Eine herbe Enttäuschung für die selbst-ernannte abchasische Nationalkirche, die gerne unter die Fittiche Moskaus möchte. Wie eng die Bindung von Kyrill I. zu Medwedew sonst ist, sah man während des Weihnachtsgottesdienstes. Vor dem Altar tauschten beide Geschenke aus. Der Staatschef übergab ein handgeschriebenes Neues Testament, der Patriarch eine Sammlung russischer Gedichte.