Ein Jahr nach der Unabhängigkeit wartet der Südsudan vergeblich auf Erfolge

Luxusautos und leere Staatskassen

Vor einem Jahr waren Euphorie und Erwartungen groß, als der Südsudan unabhängig wurde. Nun steht Afrikas jüngster Staat vor dem Bankrott. Und der ersehnte Frieden lässt auf sich warten.

Autor/in:
Bettina Rühl
 (DR)

Stoßstange reiht sich an Stoßstange, die Autofahrer hupen entnervt. Wieder einmal staut sich in der südsudanesischen Hauptstadt Juba der Verkehr. Während viele fluchen, spricht Barnaba Marial Benjamin Bil von einem Erfolg. "Als wir 2005 den Friedensvertrag unterzeichnet haben, gab es hier in Juba 15 Autos, und nicht eine Straße war asphaltiert", sagt der Sprecher der südsudanesischen Regierung. "Jetzt sind die wichtigsten Straßen gemacht, und wir haben täglich Staus."



Seit dem 9. Juli 2011 ist der Südsudan ein unabhängiger Staat mit rund acht Millionen Einwohnern. Marial bilanziert die Erfolge seiner Regierung: Aufbau von Polizei, Armee, weiteren staatlichen Institutionen, die Präsenz von 22 diplomatischen Vertretungen in Juba und die Neueinschulung von 1,8 Millionen Grundschülern.



Die neuen Autos verweisen auf die Achillesferse der jungen Regierung. Es zeugt von fehlendem Instinkt für die Stimmung in der Bevölkerung, dass Marial die vielen neuen Fahrzeuge nicht lieber verschweigt. Denn bei fast allen handelt es sich um exklusive Modelle teurer Marken. Alle in Juba fragen sich, wo das Geld für die Luxusautos herkommt. Die Antwort gibt es auch: Die Quelle des Reichtums ist die allseits verbreitete Korruption. Marial streitet das nicht ab. Er verweist darauf, dass das Parlament die Anti-Korruptionsbehörde inzwischen mit den wesentlichen Befugnissen ausgestattet hat. Was heißt, dass sie bis dahin machtlos war.



Zu 98 Prozent vom Ölexport abhängig

Faktisch ist der Südsudan ein Jahr nach seiner Gründung bankrott. Die Weltbank warnte schon im Mai vor dem Kollaps des Staates. Die politische Elite füllt sich die Taschen und treibt das Land dadurch in den Ruin. In einem spektakulären Schritt machte das sogar Präsident Salva Kiir Anfang Juni öffentlich.



In einem Schreiben forderte der Staatschef 75 Minister, Staatssekretäre und Beamte auf, Geld an den Staat zurückzuzahlen. "Rund vier Milliarden Dollar sind verschwunden", schrieb Kiir. "Oder, um es einfacher zu sagen, von ehemaligen oder derzeitigen Beamten und von korrupten Individuen mit engen Drähten zu Mitarbeitern der Regierung gestohlen worden."



Zudem hat der Südsudan seit Januar fast keine Einnahmen mehr. Im Streit mit der Regierung des einstigen Mutterlandes im Norden stellte er die Ölförderung ein, obwohl er wirtschaftlich zu 98 Prozent vom Ölexport abhängig ist. "Man mag sich gar nicht ausmalen, was passiert, wenn diese Einnahmen über einen längeren Zeitraum wegfallen", sagt Wolf-Christian Paese vom Internationalen Konversionszentrum in Bonn, der die Regierung in Jura berät. Wenn Staatsbedienstete, Polizisten und Militärs einmal nicht mehr bezahlt werden könnten, könnte es gefährlich werden.



Wichtige Rolle für Hilfswerke

Marial verteidigt trotzdem den radikalen Schritt seiner Regierung. Der Norden habe für die Durchleitung des Erdöls zum Meer 36 US-Dollar pro Barrel (je 159 Liter) verlangt. "Aber internationaler Standard und gute Praxis sind etwas anderes." So zahle Aserbaidschan für Öl, das durch Georgien und die Türkei fließt, nur 15 bis 25 Cent pro Barrel, der Tschad an Kamerun 40 Cent. Außerdem habe der Norden Erdöl im Wert von 815 Millionen Dollar unterschlagen. "Da ist es doch besser, wir lassen unser Öl in der Erde und heben es auf, bis wir eigene Pipelines haben." Doch das würde Jahre dauern, der Südsudan hat keinen Zugang zum Meer.



Obwohl beide sudanesische Staaten wirtschaftlich kurz vor dem Kollaps stehen, setzen sie weiter auf Konfrontation. Nur stärkster internationaler Druck konnte den nächsten Krieg bisher verhindern. Der Status Quo lässt sich trotzdem nicht als "Frieden" bezeichnen. Die Vereinten Nationen beschuldigen beide Staaten, die gemeinsame Grenze regelmäßig zu verletzen. In den umstrittenen Regionen Abyei, Blauer Nil und Süd-Kordofan wird regelmäßig gekämpft.



Dabei hat der Aufbau staatlicher Dienstleistungen noch nicht einmal angefangen. "Außerhalb der größeren Städte gibt es weder ein funktionierendes Gesundheitswesen, noch ein funktionierendes Bildungswesen, noch eine funktionierende Polizei", bilanziert Paes. Alles hängt von Hilfswerken und ihren Spenden ab. So ist der Mangel allgegenwärtig, und die Bevölkerung von ihrer jungen Regierung enttäuscht.