Berliner Gastronomin über Essen in Pandemie-Zeiten

Ein "hörMahl" mit Renaissance-Papst Pius V.

Es geht um den Pest-Lockdown im Italien der Renaissance, erregende Gewürze für lüsterne Äbtissinnen und Papst Pius V. - in der Corona-Krise tischt die Berliner Gastronomin Birgitt Claus ihren Gästen etwas ganz Besonderes auf.

Autor/in:
Karin Wollschläger
Symbolbild Kochen, Dinner, Besteck / © Twin Design (shutterstock)
Symbolbild Kochen, Dinner, Besteck / © Twin Design ( shutterstock )

KNA: Frau Claus, Neuzugang auf Ihrer Speisekarte ist ein Renaissance-Menü mit Papst Pius V. - wie dürfen wir uns solch ein Festmahl damals im Vatikan vorstellen?

Birgitt Claus (Inhaberin des Gastro- und Kulturbetriebs "eßkultur"): Hochgradig dekadent und opulent - wie für die Renaissance üblich. In dem Menü beziehe ich mich auf das Festmahl anlässlich des ersten Jahrestags der Papstwahl von Pius V. am 17. Januar 1567. Es war ein Essen für 55 Gäste - für jeden gab es 133 verschiedene Speisen, insgesamt 12,5 Kilogramm pro Person. Mit ungeheurem logistischem Aufwand wurden Unmengen von frischen Früchten und Fisch angekarrt und zubereitet, wie wir aus den Aufzeichnungen wissen.

Zugleich war es dem Kalender entsprechend als Fastenessen deklariert! Papst Pius V. freilich, der sehr asketisch veranlagt war und den man fast schon "zwangsernähren" musste, war das grundzuwider. Einen Tag später verbot er derartige Völlereien im Vatikan.

KNA: Sie servieren in dem Menü unter anderem Forellenröllchen in Wein, Maccheroni mit Zucker und Zimt sowie Distel-Kuchen - inspiriert durch Rezepte von Bartolomeo Scappi, der zwischen 1534 und 1576 nicht weniger als fünf Päpste bekochte. Wie kam der Ihnen denn unter?

Claus: Seit 22 Jahren organisiere ich kulinarische Veranstaltungen - auch Kulturreisen nach Italien -, dabei kochen und essen wir historische Speisen und hören passende Literatur dazu. Vor fünf Jahren stolperte ich im Zuge meiner Renaissance-Recherchen über den "Papstkoch" Scappi - ein altitalienisches Rezeptbuch von ihm aus dem Jahr 1560 gibt es als Reprint.

Er war einer der Ersten, der die neuen Gewürze aus dem Orient in seinen Gerichten mit mediterranen Gewürzen wie Rosmarin und Pfefferminz kombinierte. Es war damals eine kulinarisch hoch spannende Zeit, da durch die Forschungsreisen von Magellan, Kolumbus und Co. völlig neue Lebensmittel und Gewürze nach Europa kamen - die Globalisierung des Gaumens begann. Zumindest für die Oberschicht, denn diese Gewürze etwa waren sehr teuer. Alle Speisen mit Zimt und Zucker zu bestreuen oder mit Rosenwasser zu besprengen, war damals geradezu ein luxuriöses Statussymbol.

KNA: Und was tischen Sie Ihren Gästen im dazugehörigen Podcast auf?

Claus: Ein Potpourri, das in die Zeit und Kultur der italienischen Renaissance einführt, mit Literatur, zeitgenössischen Briefen, Musik und damaligen Benimmregeln für einen Besuch bei Hofe. Dazu gibt es ein Interview mit Tobias Roth, der im Herbst einen großen Prachtband zu Literatur, Alltag und Gedankenwelt der italienischen Renaissance veröffentlicht hat. Außerdem erzähle ich, wie damals gekocht wurde und wie auch schon Emanzipationsfragen eine Rolle spielten, nämlich wer mit Kochen Geld verdienen konnte und durfte und wer nicht.

KNA: Beim Renaissance-"hörMahl" geht es auch ums Leben im Lockdown - damals wegen der Pest. Sehen Sie Parallelen?

Claus: Es ist unglaublich, wie viele Parallelen es da gibt! Im Podcast kommen Briefe eines jungen Adeligen vor, der die gähnende Langeweile seines Alltags im Pest-Lockdown schildert, wie die Kinder in der Quarantäne beschäftigt werden müssen. Und natürlich Giovanni Boccaccios "Decamerone", was zwar schon um 1350 entstand, aber eben genau die Lockdown-Szenerie schildert: Eine Gruppe junger Leute, sieben Frauen und drei Männer, flüchtet vor der Pest auf ein Landgut nahe Florenz. Zehn Tage bleiben sie dort in Quarantäne und erzählen sich zur Unterhaltung Geschichten, jeden Tag zu einem neuen Thema.

Die Menschen im Pest-Lockdown trieben im Grunde ganz ähnliche Dinge um wie uns jetzt: Man vermisst das gesellige Leben, die Kultur, Ausflüge in die Stadt, man langweilt sich und hat Angst vor der Krankheit.

KNA: Bei Ihnen gibt es auch noch eine Humboldt- sowie eine Fürst-Pückler-Box, darin befinden sich entsprechend vorgekochte Gerichte, Tischdekoration und eine Anleitung - plus dem Link zur dazugehörigen "Podcast-Beilage". Wie entstand die Idee?

Claus: Im Grunde habe ich die Idee meines Restaurants in eine corona-kompatible «to go»-Variante umgemünzt. Es macht mir einfach Spaß, für Leute zu kochen, den Tisch schön für sie zu decken und ihnen Geschichten zu den Gerichten und der Zeit, aus der sie stammen, zu erzählen.

KNA: Es gibt den Spruch "Essen hält Leib und Seele zusammen". Hilft das auch gegen Corona-Blues?

Claus: Ich glaube nicht, dass jedes Essen dazu geeignet ist, Leib und Seele zusammenzuhalten. Häufig ist es ein Trostspender, bei dem eher die Hüfte auseinander geht, als dass irgendwas zusammengehalten wird.

Ich glaube zum Beispiel nicht, dass Fertigprodukte wirklich gut für die Seele sind. Es kommt auch sehr auf den Rahmen an: Der Joghurt, den man eilig vorm Kühlschrank isst, befördert wohl weniger das seelische Wohlbefinden. Wohl aber ein schön angerichtetes, ganz bewusst zubereitetes Essen, bei dem man die einzelnen Speisen wirklich als Lebensmittel wahrnimmt.

KNA: Seit zehn Monaten leben wir mit teils weitreichenden Corona-Einschränkungen, derzeit der zweite Lockdown. Verändert die Pandemie auch unsere Esskultur?

Claus: Auf jeden Fall! Gemeinsames Essen mit vielen Menschen, mit Freunden oder Kollegen ist nicht mehr möglich. Kantinen - für viele Menschen der einzige Ort einer warmen Mahlzeit am Tag - sind geschlossen. Es ist natürlich schön, wenn die Leute jetzt zu Hause im Lockdown das Kochen für sich neu entdecken - man denke nur daran, wie im ersten Lockdown Hefe knapp wurde, weil alle plötzlich selbst Brot gebacken haben. Es gab eine neue Aufmerksamkeit für Lebensmittel.

Umgekehrt gibt es, denke ich, auch sehr, sehr viele Menschen, die sich jetzt nur noch extrem einseitig und von Fertigprodukten ernähren.

KNA: Ihr kulinarischer Tipp fürs weitere Durchhalten in der Pandemie?

Claus: Setzt euch bewusst hin, zelebriert das Essen auch mal und nehmt euch die Zeit, über das, was ihr esst, nachzudenken und dankbar dafür zu sein. Und warum nicht mal für den Nachbarn mitkochen oder sich gegenseitig bekochen - sorgt für Abwechslung, macht mehr Spaß und stärkt den Zusammenhalt.


Quelle:
KNA