Ein Cap-Anamur-Mitarbeiter berichtet aus Mogadischu

"Manchmal kommen einem die Tränen"

Volker Rath ist für Cap Anamur seit Ende Juli als Logistiker in Mogadischu. Im domradio.de-Interview berichtet er über die katastrophalen Zustände und den täglichen Kampf ums Überleben im größten Kinderkrankenhaus der Stadt.

 (DR)

domradio.de: Warum sind Sie trotz dieser prekären Sicherheitslage im Land?

Volker Rath: Wir wollen direkte Hilfe für die Menschen leisten, wir wollen vor Ort sein, um zu sehen, dass unsere Hilfe auch wirklich bei den Betroffenen ankommt. Wir hören immer wieder Schusswechsel, manchmal auch in der Nähe unseres Krankenhauses. Es ist aber wesentlich besser geworden, seitdem die Milizen das Stadtgebiet verlassen haben. Dennoch wird immer wieder geschossen, wir müssen uns auch mit einer bewaffneten Security bewegen, weil sonst eine Arbeit hier vor Ort gar nicht möglich wäre.



domradio.de: Wie sieht Ihre Arbeit in Mogadishu aus?

Volker Rath: Wir arbeiten in dem größten Krankenhaus in Mogadischu und die Situation ist ganz schrecklich. Diese Stadt ist so kaputt und am Rande des Ruins, hier funktioniert im Prinzip gar nichts mehr. Wir arbeiten durchgehend an sieben Tagen in der Woche und haben eigentlich gar keine Zeit, über die vielen Einzelschicksale nachzudenken. Die Todesrate im Krankenhaus ist immer noch sehr hoch! Aber wir versuchen mit allem, was unsere Mittel hergeben, zu helfen. Insbesondere die Durchfallerkrankungen und die vielen Fälle von Masern, Meningitis und Infektionen beschäftigen unsere Ärzte rund um die Uhr. Der Verbrauch an Infusionen und Antibiotika ist so hoch, dass wir wirklich Schwierigkeiten haben, den Nachschub zu gewährleisten. Gestern Morgen hatten wir 115 Neuaufnahmen mit wässrigen Durchfällen. Die Station für unterernährte Kinder ist für fast 100 schwerste Fälle eingerichtet. Ich mache diese Arbeit jetzt seit acht Jahren für Cap Anamur, und ich war in so vielen Katastrophen tätig, aber so etwas wie hier habe ich ehrlich gesagt noch nie gesehen.



domradio.de: Wie gehen Sie mit diesen schrecklichen Erlebnissen um?

Volker Rath: Ich habe auch gelernt damit umzugehen und möglichst wenige persönliche Beziehungen zu diesen Menschen aufzubauen. Man lenkt sich mit Arbeit ab. Aber manchmal kommen einem einfach die Tränen. Wir müssen dann immer wieder einsehen, dass wir ein Kind verloren haben, dafür aber andere retten können.



domradio.de: Welche Hilfe müsste nun kommen, damit sich die Lage langfristig verbessern kann?

Volker Rath: Zunächst muss ich sagen, dass die Somalis nach 20 Jahren Krieg und Anarchie erstaunlich entspannt mit der Situation umgehen und vieles als von Gott gegebenes Schicksal hinnehmen. Aber was völlig fehlt, sind staatliche Strukturen und methodische Ausbildungen. Das totale Chaos bestimmt den Alltag: im Straßenverkehr, im Krankenhaus, in der Administration oder am Flughafen. Das ganze öffentliche Leben ist ein Chaos, was aber durchaus auch Vorteile haben kann, zum Beispiel konnten wir durch das Chaos unsere Materialien schneller ins Land bringen und sind nicht an den üblichen Strukturen gescheitert. Aber was dieses Land unbedingt braucht, sind normale staatliche Strukturen und Ausbildung der Menschen. Das wird Generationen dauern, bis dieses Land wieder auf die Füße kommt. Durch die große Anzahl der Betroffenen, fehlt es an allem: Essen, Trinken, Medizin, Infusionen.

Das Interview führte Monika Weiß.



Hintergrund: Hilfe im Bürgerkriegsland Somalia

Die schlimmste Dürre seit 60 Jahren hat bereits hunderttausende Somalier zur Flucht in die Nachbarländer Kenia und Äthiopien getrieben; sie hoffen auf Hilfe in den völlig überfüllten Flüchtlingslagern. Am Mittwoch haben die Vereinten Nationen drei weitere Regionen Somalias als Zonen des Hungers eingestuft - darunter auch die Flüchtlingsgemeinde der Hauptstadt Mogadischus. Ihnen zu helfen ist aufgrund der Sicherheitslage besonders schwierig. "Die Stadt ist eingekesselt und viele Bereiche sind für uns nicht zu erreichen", berichtet unser Logistiker Volker Rath aus Mogadischu. "Unter großer Gefahr schlagen sich dennoch Nacht für Nacht Menschen in die Stadt durch. Ich habe mit einer Mutter gesprochen, die über 300 Kilometer Fußmarsch hinter sich hatte."



Trotz der äußerst angespannten Sicherheitslage engagiert sich ein Cap-Anamur-Team aus krisenerfahrenen Mitarbeitern für die Menschen in Mogadischu. Rath organisierte während seiner Evaluierungsreise vor Ort die Unterstützung für das Kinderkrankenhaus in Benadir, einem Bezirk der Hauptstadt. Zurück in Kenia kümmert er sich gemeinsam mit dem examinierten Krankenpfleger Raphael Veicht um einen Hilfstransport: Am kommenden Dienstag startet ein Flugzeug mit rund 15 Tonnen Hilfsgütern. Darunter befinden sich dringend benötigte medizinische Geräte, Medikamente und Krankenhausmaterial sowie Lebensmittel und Spezialnahrung. Denn die meisten der Patienten in dem 200-Betten-Haus leiden an Unter- beziehungsweise Mangelernährung.



Mit an Bord auf dem Weg in die Kinderklinik in Mogadischu ist auch unser Team. Neben Veicht sind das Techniker Andreas Herr und Luitgard Wiest. Die Münchenerin hat weltweit als Ärztin gearbeitet - für Cap Anamur unter anderem in Afghanistan, Kolumbien, Angola und Somalia. Sie hat Erfahrungen mit Krisen- und Katastrophensituationen und wird nun während der ersten Phase die Arbeit in der Kinderklinik unterstützen. Mitte August wird eine weitere Ärztin nach Mogadischu reisen.



Parallel prüfen wir die Möglichkeiten für einen Einsatz in Somaliland. In den unabhängigen, international aber nicht anerkannten Staat im Nordteil Somalias sind ebenfalls etliche Flüchtlinge angekommen. Cap Anamur betreute dort über mehrere Jahre ein Krankenhaus in der Hauptstadt Hargeysa.