Ehepaar Kreyssig wird mit "Yad-Vashem-Medaille" geehrt

Retter und Gerettete

Lothar und Johanna Kreyssig versteckten zur NS-Zeit die Jüdin Gertrud Prochownik und retteten ihr damit das Leben. Am Dienstag werden sie posthum als "Gerechte unter den Völkern" geehrt. Eine Begegnung mit den Angehörigen.

 (DR)

Aus Großbritannien und Frankreich sind sie angereist, die beiden Enkeltöchter von Gertrud Prochownik. Sie sind Zwillinge,60 Jahre alt, die eine grau, die andere braun gelockt. Zwei zierliche ältere Damen, die ein wenig Deutsch sprechen. Ein Erbe ihrer Großmutter, erzählen sie mit einem Lächeln: "Omi hat immer mit uns Deutsch geredet", erinnert sich Julie Krausz. "Allerdings haben wir immer Englisch geantwortet. 'Wir sind in England, Omi', haben wir gesagt."

Die eine ist Yoga-Lehrerin in London, die andere unterrichtet Englisch in Frankreich - und beide hätten ihre Großmutter vielleicht nie kennengelernt, wenn diese es nicht geschafft hätte, der Judenverfolgung zu entgehen. Damals, vor 75 Jahren, verließ sie ihre Berliner Wohnung und ging in den Untergrund, um nicht deportiert zu werden. Der Richter Lothar Kreyssig organisierte ein Versteck für sie, bis sie im November 1944 von der Familie Kreyssig selbst aufgenommen wurde. Unter dem Decknamen "Hilde Jacobi" verblieb sie dort bis zum Ende des Krieges im Mai 1945.

Viele Juden fanden Schutz auf dem Kreyssig-Hof

Martin Kreyssig kennt diese Geschichte seit langem, sie sei "immer schon" in seiner Familie erzählt worden, sagt er. Eine posthume Ehrung bekommen seine Großeltern Lothar (1898-1986) und Johanna Kreyssig (1897-1981) indes erst jetzt. Am Dienstagabend nimmt der 58-jährige stellvertretend für sie die Auszeichnung als "Gerechte unter den Völkern" von Israels Botschafter Jeremy Issacharoff entgegen. Damit ehrt die Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem Nicht-Juden, die in der Zeit des Nationalsozialismus ihr Leben aufs Spiel setzten, um Juden zu retten. Bis heute haben 26.973 Männer und Frauen diesen Titel erhalten.

Kreyssig, der 1958 auf einer Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) mitgründete, war ein Mann, der "aus seiner christlichen und juristischen Überzeugung heraus" aktiv wurde und den Menschen half, erzählt sein Enkel Martin. Vielen Menschen. Auf seinem Hof im Havelland seien zeitweise sehr viele Personen untergebracht gewesen, die nicht mehr wussten, wohin - alles "seine Schutzbefohlenen".

"Das muss ein Riesengewusel gewesen sein, da fiel niemand mehr auf und die Nazis im Dorf haben vielleicht auch nicht mehr so durchgeblickt", so Kreyssig. "Jedenfalls hat es irgendwie funktioniert" - und es war die Rettung für Gertrud Prochownik. Als sie im November 1944 nach einem 25 Kilometer langen Fußmarsch auf dem Hof im damaligen Havelsee auftauchte, weil das vorherige Versteck nicht mehr geeignet war, nahm Kreyssig sie in sein Haus auf.

Freundschaft der Großeltern wurde weitergeführt

Erzählt? Nein, erzählt habe ihre Großmutter fast nichts aus dieser Zeit, sagen die Enkelinnen Julie und Jenny. Sie habe bei entsprechenden Fragen immer nur auf eine Schublade verwiesen, in der deutsche Briefe und Dokumente zu dem Thema aufbewahrt würden. Daraus erfuhren sie nach dem Tod der Großmutter, dass sie eine Möglichkeit gehabt hätte, frühzeitig aus Deutschland zu ihrer Tochter nach England zu fliehen. "Das lehnte sie aber ab, weil der Jüdische Wohlfahrtsverein, für den sie arbeitete und Verstecke und Überfahrten für andere Juden organisierte, sie darum bat - sie wurde gebraucht", sagt Julie.

Eine Sache, die Gertrud Prochownik ihrer Familie gegenüber nie erwähnte. Sie, die 1982 mit 97 Jahren starb, lebte in England sehr zurückgezogen, las regelmäßig den "Spiegel" und freute sich über das Familienleben mit Tochter und Enkeltöchtern, mit denen sie zusammenwohnte. Auch über Deutschland sprach sie nicht negativ. "Sie beschwerte sich nie - wenn ihr etwas nicht passte, biss sie sich nur auf die Lippen", erzählt Julie, die glaubt, dass die Ursache dieses Verhaltens in der Vergangenheit ihrer Großmutter als verfolgte Jüdin zu finden ist. Und Briefe schrieb sie, viele, unter anderem an ihren "Retter", Lothar Kreyssig.

Dessen Enkelsohn Martin lernte Gertrud noch kennen. Er besuchte sie als 14-Jähriger in London, seitdem gab es viele Treffen mit unterschiedlichen Angehörigen. "Wir haben die Freundschaft unserer Großeltern weitergeführt - über die Generationen", so Kreyssig.

Von Nina Schmedding


Lothar Kreyssig / © Aktion Sühnezeichen / Friedensdienst (epd)
Lothar Kreyssig / © Aktion Sühnezeichen / Friedensdienst ( epd )
Quelle:
KNA