Eheberaterin gibt Tipps für lang Verheiratete

"Das Gemeinsame finden, es pflegen und sich daran freuen"

Es ist paradox: Allgemein sinkt die Scheidungsrate in Deutschland, sie steigt aber bei Paaren, die mindestens 25 Jahre verheiratet sind. Woran das liegen kann und was hilft, verrät Eheberaterin Heidi Ruster im DOMRADIO.DE-Interview.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Ich persönlich bin doch recht überrascht, dass die Zahl der Scheidungen bei Ehepaaren, die sich nach 25 Jahren scheiden lassen, so hoch ist. Geht es Ihnen auch so?

Heidi Ruster (Leiterin der Ehe- und Familienberatungsstelle in Bonn): Bei mir hält sich die Überraschung in Grenzen. Diese Gruppe zwischen 45 und 55 Jahren sind bei uns in der Beratungsstelle häufig vertreten. Ich kann mir vorstellen, dass das eine schwierige Zeit ist in der Paargeschichte.

DOMRADIO.DE: Warum ist das eine schwierige Zeit?

Ruster: Man könnte meinen, das Schwierigste sei geschafft. Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus und sitzen am Rand des Nestes, das sie bald verlassen. Vater und Mutter sind da nur noch Mann und Frau, die Zeit füreinander haben oder sogar an die Zeit des Honeymoons anknüpfen könnten.

Genau das ist die Schwierigkeit. Es ist die zweite große Krise in einer Paargeschichte. Die erste ist, wenn aus einem Paar Eltern werden; da gibt es so manche Enttäuschungen und manches Paar verkraftet es nich. Diese "Brutzeit", sage ich mal, ist doch sehr belastend für ein Paar und jeder hat da eine andere Vorstellung.

Wenn man tüchtig zusammengehalten und viel geschafft hat und gleichzeitig auch noch im Beruf geblieben ist bzw. wieder hat anknüpfen können, versäumt man als Paaar manchmal, aufeinander zu schauen. Beide sind sehr unterschiedlich unterwegs. Der Mann ist beruflich längst auf dem Zenit angekommen. Für die Frau ist der Wiedereinstieg in den Beruf nicht leicht. Sie ist es meist, die die Hauptlast in der Familie trägt und kann dann, wenn die Kinder größer sind, mit einer Vollzeitstelle anfangen.

Das Paar hat in der Phase als Eltern vielleicht versäumt, auf das Gemeinsame zu schauen – nicht nur auf die Kinder, die so viel Zeit und Energie brauchen und auf den Lebensinhalt, das Sinnstiftende. Sie müssen das Gemeinsame finden, es pflegen und sich daran freuen.

DOMRADIO.DE: Jetzt kann es aber auch eine gute Entwicklung sein, dass Menschen in diesem Alter sagen: Warum so weitermachen, wenn ich nicht richtig glücklich bin? Ich wage einen Neuanfang. Was meinen Sie dazu?

Ruster: Da ist immer die Frage, ob ich mit dem Alten etwas Neues anfange oder glaube, mit einem Neuen das Alte weiterzutragen. Ich will sagen, da gibt es ja noch eine Alternative dazu. Es kann wirklich schön sein, sich auf die Suche nacheinander zu machen. Und das ist auch die große Herausforderung für die beiden. Dass sie schauen, was sie eigentlich wollen. Wie will man die nächste Zukunft gestalten aber wo will man in zehn Jahren hin?

Natürlich sind die Kinder irgendwie noch dabei bzw. kommen immer mal wieder. Aber es ist so, dass das Paar doch viel mehr Zeit füreinander hat und auch noch mal die Lebensziele neu ausrichten kann.

Dafür müsste man eigentlich miteinander reden und auch Zeit haben und nicht die schöne frei werdende Zeit – das machen viele – abends auch noch jeder für sich Kurse belegt. Der eine geht tanzen, der andere hat noch mehr Zeit für den PC oder für den Sport. Derzeit sind die Paare schon sehr aktiv, aber sie sind irgendwie beziehungsmüde. Da sind sie ein bisschen lahm und bräuchten Unterstützung.

DOMRADIO.DE: Es gibt ja auch die landläufige Meinung, dass sich Männer in ihrer Midlife-Crisis gerne nach deutlich jüngeren Frauen umschauen und damit ihre langjährige Ehe in Gefahr bringen oder gar zerstören. Ist das nur ein Klischee oder ist da etwas dran?

Ruster: Es stimmt, dass sich viele Paare nach der intensiven Kinder-Phase oftmals leicht aus den Augen verloren haben und sie sich auf den schönen und spannenden Prozess der Suche nacheinander machen müssen, um Nähe und vertraute Intimität wieder zu finden.

Doch gleichzeitig macht auch jeder von beiden eine Entwicklung durch: Die ersten Hinweise auf das Älterwerden sind nicht mehr zu kaschieren und das Leben scheint wenig lebendig. Da liegt der Gedanke nahe: Soll das immer so weiter gehen? Die Bilanz fällt nicht gut aus und die Erwartung an die Zukunft ist eher düster.

Hier soll ein Abenteuer oder gar eine neue Beziehung das erstarrte Leben wieder in Schwung bringen. Man beginnt biografisch gesehen wieder von vorne: junge Frau, kleine Kinder, junge Freunde..., das ist entwicklungspsychologisch eher ein Regress, bzw. eine Wiederholung desselben und keine Vorwärtsbewegung, zumal kein Alterungsprozess aufzuhalten ist. Also, ein klassisches Missverständnis, oft mit fatalen Folgen: die zweiten Ehen werden noch eher geschieden als die ersten.

Es ist also leider wirklich so: Wenn man sich nach der Silberhochzeit für eine neue Beziehung entscheidet, so ist das auch ein häufiger Scheidungsgrund.

Das Gespräch führte Verena Tröster.


Quelle:
DR