Dresdner Pfarrer zwischen Rechten und Flüchtlingsfragen

"Wir müssen reden"

Dresden hat seit einiger Zeit ein Imageproblem. Die Stadt an der Elbe gilt als Hochburg der Rechten. Aber den Bürgern allgemein den Nazi-Stempel aufzudrücken sei kontraproduktiv, betont der dortige evangelische Pfarrer Thomas Böttrich im Interview.

Pegida-Demonstration in Dresden / © Oliver Killig (dpa)
Pegida-Demonstration in Dresden / © Oliver Killig ( dpa )

DOMRADIO.DE: In Ihrer Gemeinde gehen Flüchtlinge ein und aus, auf der anderen Seite leben in Ihrem Stadtteil viele selbsterklärte Rechte. Wie erleben Sie diese Gemengelage?

Thomas Böttrich (Pfarrer der evangelisch-lutherischen Philippusgemeinde im Dresdner Stadtteil Gorbitz): Dass die Flüchtlinge bei uns in Gorbitz wohnen, liegt daran, dass ein sehr großes Neubaugebiet, im Volksmund "Plattenbaugebiet" genannt, zur Gemeinde und zum Wohngebiet gehört. Dort gibt es preiswerte Wohnungen und dort ist auch eine große Zahl von Flüchtlingen untergebracht worden.

Als wir gesehen haben, dass dort große Hilfe nötig ist, haben wir eine Initiative gegründet, die sich "Go In / Gorbitz-International" nennt. Das ist ein Begegnungscafé für Geflüchtete und Einheimische. Da sind sehr viele zu uns gekommen und haben um Unterstützung gebeten. Es gab auch sehr viel Hilfsbereitschaft aus dem Wohngebiet, nicht nur von Gemeindemitgliedern. Viele Leute kamen und fragten, was wir denn als Kirche machen und erklärten sich bereit, mitzuarbeiten. Das lief bisher sehr intensiv und gut.

Wir merken jetzt, dass die Zahl der Flüchtlinge in dem Begegnungscafé zurückgeht, was ein gutes Zeichen sein könnte. Sie könnten nämlich Wohnungen woanders gefunden haben oder eine Arbeit oder sie könnten anderweitig Hilfe bekommen. Das müssen wir weiter beobachten.

DOMRADIO.DE: Begegnungscafé heißt, dass da Flüchtlinge hinkamen und auch selbsterklärte Rechte?

Böttrich: Nein. Die auf keinen Fall, sondern sehr viele ehrenamtliche, hilfsbereite Menschen, die versucht haben, die Flüchtlinge auch im Alltag zu begleiten.

DOMRADIO.DE: Wie erklären Sie sich, dass so viele Menschen in Dresden, in Sachsen, im Osten den Flüchtlingen mit so viel Misstrauen begegnen?

Böttrich: Das ist eine sehr komplizierte Angelegenheit und viele Soziologen haben sich darüber auch Gedanken gemacht. Eine Tatsache ist, dass wir bei der letzten Wahl einen sehr hohen Anteil an AfD-Wählern hatten - auch im Stadtteil Gorbitz. Das waren über 25 Prozent, was schon erschreckend ist.

Auf der anderen Seite weiß man ja auch, wie viele Wähler von anderen Parteien abgewandert sind, sogar von den Linken. Das ist schon ein Phänomen, wenn man sich von einem linken Wähler hin zu einem AfD-Wähler entwickelt.

Viele Menschen hier in Ostdeutschland und speziell in Sachsen sind in den letzten Jahrzehnten enttäuscht worden und haben viele Verluste hinnehmen müssen. Gerade die Generation, die in den letzten Jahren in die Rente gegangen ist, ist davon betroffen. Diese Menschen sehen, dass sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben. Sie mussten mit ansehen, dass nach dem Umbruch ihr Betrieb geschlossen wurde. Sie mussten sich viele Jahre durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hangeln und bekommen jetzt eine sehr kleine Rente. Dann erleben sie, dass Flüchtlinge kommen - egal, aus welchen Gründen -, die Wohnraum erhalten und unterstützt werden. Da ist dann einfach das Gefühl da, ungerecht behandelt zu werden.

DOMRADIO.DE: Diese AfD-Wähler sind unter anderem die Leute, die mit Pegida demonstrieren. Immer wieder gibt es in Dresden diese Demonstrationen auf den Straßen. Sie sagen, es war damals ein Fehler der Politik, nicht mit den Pegida-Anhängern zu sprechen. Was schlagen Sie stattdessen vor? Reden statt ausgrenzen?

Böttrich: Selbstverständlich. Wir müssen mit allen reden. Solche Slogans wie "Nazis raus" sind überhaupt nicht produktiv. Wo sollen wir denn die Nazis hinschicken? Es sind Menschen, mit denen wir zusammen leben. Es sind Bürger unseres Landes, Bürger unserer Stadt. Wir müssen einfach das Gespräch mit allen suchen.

Ausgrenzen geht überhaupt nicht. Das Gespräch ist sehr schwer. Es ist hier in Dresden ja auch in der Kreuzkirche geführt worden. Der Superintendent und der Oberbürgermeister hatten zu einem Bürgerforum eingeladen. Es war dort teilweise recht schwierig, miteinander ins Gespräch zu kommen. Es gab auch dort Beleidigungen und Hasstiraden.

Aber man muss aufeinander zugehen und sich anhören, welche Ängste bei den Menschen herrschen, die sich politisch rechts orientieren und große Vorbehalte und auch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen haben. Ich sage immer, man muss nicht über die Flüchtlinge sprechen, sondern mit ihnen und ihre Schicksale kennenlernen. Dann ändert sich bei vielen auch die Einstellung.

DOMRADIO.DE: Wie optimistisch sind Sie denn, dass den vielen Protestwählern Ihre Lust am Protest in absehbarer Zeit abhanden gehen könnte?

Böttrich: Ich bin da sehr zuversichtlich. Es ist ja auch die Politik ein bisschen aufgeschreckt worden. Man hört jetzt vieles, was wir hier in Sachsen schon lange diskutieren. Auch die Frage des Gefühls vieler Sachsen, dass sie "Bürger Zweiter Klasse" sind, das Problem der Überschichtung, also dass eine westdeutsche Elite hier die Führungspositionen innehat, wird wahrgenommen.

Das sind alles Dinge, die man nicht wegdiskutieren kann und über die man sprechen muss und wo sich auch etwas ändern muss. Ich bin diesbezüglich sehr zuversichtlich, dass sich etwas tut.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Thomas Böttrich (privat)
Thomas Böttrich / ( privat )
Quelle:
DR
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