Domsakristanin Maurer spricht über die Kölner Domkrippe

"Zur Krippe gehört untrennbar auch das Kreuz"

Was machen Ölzweige unter dem Jesuskind und Nägel zu Füßen von Maria? Dass Geburt und Sterben, Freude und Leid im christlichen Glauben eine Einheit bilden, sagt jemand, der über das Krippenbauen zum Glauben gefunden hat.

Domsakristanin Judith Maurer bereitet das Jesuskind für die Heilige Nacht vor / © Beatrice Tomasetti (DR)
Domsakristanin Judith Maurer bereitet das Jesuskind für die Heilige Nacht vor / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Normalerweise steht ab Anfang Dezember die große Domkrippe des Künstlerpaares Theo und Barbara Heiermann unter dem Nordturm. Doch auch in diesem Jahr bleibt diese Krippe ausgelagert. Stattdessen wird es – wie auch schon in den letzten beiden Jahren – nur eine kleine Krippe mit der Kernfamilie und zwei Engeln auf den Altarstufen geben. Wie kommt das?

Neben einer Krippenfigur / © Beatrice Tomasetti (DR)
Neben einer Krippenfigur / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Judith Maurer (Domsakristanin): Da wir bereits im Oktober planen mussten, als noch keine genauen Prognosen zur Entwicklung der pandemischen Lage abgegeben werden konnten, wurde nun zum dritten Mal in Folge die sonst typische Domkrippe an einen Ort ausgelagert, wo sie im Freien betrachtet werden kann und keine Ansteckungsgefahr durch Menschenansammlungen besteht.

Seit Monatsbeginn befindet sie sich im Schaufenster des Kurienhauses – allerdings nicht vollständig und auch nicht mit ihrer riesigen fernöstlichen Kulisse, weil dafür dort nicht genug Platz ist. In den beiden letzten Jahren stand die Domkrippe im Außenfenster des Römisch-Germanischen Museums, aber da die Renovierungsarbeiten dort inzwischen fortgeschritten sind, musste ein neuer Ort gefunden werden. Schließlich sollten in der Pandemie große Menschenmengen, wie wir sie sonst üblicherweise im Dom vor der Krippe verzeichnen, vermieden werden.

Auch in diesem Jahr wollte man noch einmal auf Nummer sicher gehen, so dass wieder nur Auszüge der Heiermann-Krippe vor Kölner Panoramafotografien gezeigt werden und die einzelnen Szenen-Bilder deshalb auch bewusst anders angelegt worden sind. Es soll schließlich nicht aussehen wie gewollt und nicht gekonnt. Wenn schon nicht so wie sonst, dann auch mit neuem Konzept.

Domsakristanin Judith Maurer

"Mein persönlicher Glaubensweg hat mit der Krippe angefangen."

DOMRADIO.DE: Sie bauen in jedem Jahr die Krippe im Dom auf. Haben Sie eine besondere Beziehung dazu?

Maurer: Mein persönlicher Glaubensweg hat mit der Krippe angefangen. In meiner Kindheit hatte jede unserer Krippenfiguren zuhause einen eigenen Namen aus dem alten oder neuen Testament, auch die Tiere. Und zu jeder Figur hat uns mein Vater eine eigene Geschichte erzählt, die er später sogar einmal in einem großen goldenen Buch aufgeschrieben hat, was mir heute noch viel bedeutet, weil das Kindheitserinnerungen sind, aber auch weil mir ein positives Gottesbild vermittelt wurde.

Nach dem Tod meines Vaters – ich war damals elf Jahre alt – habe ich von da an dann immer selbst unsere Krippe aufgebaut – so wie er es immer gemacht hat, mit einem langen Weg, der vom Dunklen ins Licht führte, was für das steht, was ich innerfamiliär erlebt habe. Bis heute sind mir vielleicht daher Themen- bzw. Meditationskrippen näher als die für Touristen attraktiven Darstellungsformen, weil ich vor ihnen andächtig werden und niederknien kann.

Die Domkrippe steht bereits im dritten Jahr am Ambo auf den Stufen zum Altar / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Domkrippe steht bereits im dritten Jahr am Ambo auf den Stufen zum Altar / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Warum ist Ihnen das bei einer Krippe so wichtig?

Maurer: Weil für mich Krippen keine Dekoration, sondern Verkündigung sind. Sie verkündigen mir: Gott wird in diese Welt geboren! Und ich bin eingeladen, in meinem Herzen vor diese Krippe im Stall von Bethlehem hinzutreten, niederzuknien und hineinzuschauen. Denn dort wartet jemand auf mich!

Natürlich hängen die Kölner an "ihrer" Domkrippe, zu der zigtausende Menschen in der Advents- und Weihnachtszeit in den Dom strömen. "Krippche luure" gehört für viele dazu. Aber mir persönlich ist die Heiermann-Version zu sehr Wimmelbild und Event-Krippe. Für Besucher von außen ist sie natürlich super originell mit ihrem Lokalkolorit und den vielen Details, die es – gerade auch für die Kinder – zu entdecken gibt.

Mir dagegen ist diese originale Domkrippe von 1930, die sonst immer unter der Orgelempore steht, viel lieber, gerade weil sie nur aus der Kernfamilie Maria, Josef und dem Jesuskind besteht, sonst nur noch zwei Engel dazu gehören und sie auf das Wesentliche reduziert ist. Für mich der Inbegriff einer Andachtskrippe, die trotz oder gerade wegen ihrer Schlichtheit eine große Strahlkraft hat.

DOMRADIO.DE: Und warum dieser Standort?

Maurer: Als wir 2020 überlegen mussten, wie wir das im Dom mit den Abstandsregeln halten, kam mir die Idee mit den Stufen des Altarraumes. Dort ist sie während jedes Gottesdienstes im Blick der mitfeiernden Gemeinde, und sie steht direkt am Ambo und damit am Ort der Verkündigung des Weihnachtsgeschehens. Was könnte ein passenderer Ort für eine Krippe sein?

Da sie weder Ochs noch Esel noch irgendein sonstiges Beiwerk hat, steht sie auch nicht schon im Advent dort und wird außerdem direkt nach dem Fest der "Taufe des Herrn" wieder abgebaut. Denn auch die "Flucht nach Ägypten" ist mit ihr nicht darstellbar. Sie ist auf das Weihnachtsgeschehen im Kern konzentriert.

Domsakristanin Judith Maurer

"Darin aber genau liegt das Geheimnis, dass er ausgerechnet in seiner größtmöglichen Schwachheit und Niedrigkeit, so wie er da in diesem Futtertrog für Tiere liegt, dennoch als Gott und Herrscher erkannt wird."

DOMRADIO.DE: Was genau verstehen Sie unter einer Andachtskrippe?

Maurer: Diese Krippe veranschaulicht sehr eindrucksvoll das Kommen des Messias in diese Welt – und zwar in einem Stall und in der absoluten Hilfsbedürftigkeit eines Kindes. In der Summe ist das so erbärmlich, dass man den Sohn Gottes hier niemals vermutet hätte. Darin aber genau liegt das Geheimnis, dass er ausgerechnet in seiner größtmöglichen Schwachheit und Niedrigkeit, so wie er da in diesem Futtertrog für Tiere liegt, dennoch als Gott und Herrscher erkannt wird.

Und dieses Erkennen macht gerade für mich den Reiz aus, diese Krippe auf die Stufen des Altarraumes zu stellen; an den Ambo, wo wir das Evangelium hören und es ausgelegt wird, was wiederum als Hilfestellung dient, Gott auch in den unterschiedlichsten Situationen meines Lebens, sogar in den schwierigsten und schmerzvollsten, zu erkennen.

So paradox das klingt, aber es ist ein Geschenk der Gnade, wenn ich Gott nicht nur da erkenne, wo mir gerade das Glück zufällt, sondern auch im Leid. Wie oft fragen wir in solchen Momenten – schauen wir nur in die deutsche Geschichte – wo war da Gott? Dabei gilt es, ihn eben vor allem auch in den dunkelsten Stunden zu erkennen. Denn er ist immer da.

Der Retter und Erlöser kommt in einem Stall zur Welt / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Retter und Erlöser kommt in einem Stall zur Welt / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Dieses "Gott ist in allen Stunden unseres Lebens da" wollen Sie in diesem Jahr besonders sichtbar machen…

Maurer: Ja, weil zur Krippe untrennbar das Kreuz dazu gehört. Deshalb werde ich zum ersten Mal Ölzweige unter die Krippe legen, außerdem Nägel und auch Würfel. Dahinter steckt die Idee, die Geburt Jesu aus dieser romantisierenden Vorstellung herauszulösen. Natürlich will eine Krippe auch die Vorstellung von Geborgenheit vermitteln, wenn sie figürlich in Szene setzt, dass Eltern sich ihrem Kind in aller Zärtlichkeit und Fürsorge zuwenden. Und nicht zuletzt liegt in der Krippe die Weihnachtszusage: Christ, der Retter, der Friedensfürst ist da.

Aber es gibt auch noch die andere Facette: Am Ende des irdischen Lebensbogens – nach 33 Jahren – hängt Jesus am Kreuz, Nägel durchbohren seine Hände und Füße. Zuvor hat er am Ölberg geweint, gebetet und in Todesangst nach seinen Freunden gerufen. Später werfen die Soldaten das Los um seine Kleider und wollen noch aus dem Leid des Hingerichteten Profit schlagen. In jedem Leben gibt es diese Nägel. Und zu Weihnachten ist nicht plötzlich heile Welt. Dafür müssen wir nur in die Ukraine schauen.

Domsakristanin Judith Maurer

"Ich bin davon überzeugt, im Bewusstsein Gottes und in seinem Schöpfungsgedanken war präsent, dass die Welt sich nicht zwingend in der irdischen Lebenszeit Jesu und in der Folge der Zeugnisse von seiner Auferstehung vollendet und zum allumfassenden Frieden wendet."

Ich bin davon überzeugt, im Bewusstsein Gottes und in seinem Schöpfungsgedanken war präsent, dass die Welt sich nicht zwingend in der irdischen Lebenszeit Jesu und in der Folge der Zeugnisse von seiner Auferstehung vollendet und zum allumfassenden Frieden wendet. Vielmehr bleibt es für uns immer noch ein offenes Geheimnis, das weiterhin ganz viel Vertrauen und eine offenherzige Suche erfordert, wie sich diese große Zusage Gottes seinem Volk gegenüber verwirklicht. Selbst nach 2000 Jahren bleibt für uns doch vieles noch widersprüchlich und unverständlich.

DOMRADIO.DE: Weihnachtliche Freude bleibt oberflächlich, heißt es, wenn der Blick nur auf das Kind in der Krippe gerichtet wird und dabei völlig aus dem Fokus gerät, dass sich dieses Leben erst vollendet mit einem so qualvoll erlittenen Tod am Kreuz. Krippe und Kreuz, Freude und Leid gehören zusammengedacht, sagen die Theologen…

Neben einer Krippenfigur / © Beatrice Tomasetti (DR)
Neben einer Krippenfigur / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Maurer: Keinem ist ein Leben ohne leidvollen Erfahrungen in die Wiege gelegt. Trotzdem verwirklicht sich Gottes Heilsplan auch da, wo viel Schatten, ja sogar absolute Finsternis ist. Jesus Christus hat es uns vorgemacht: Auf dem Höhepunkt seiner Berufung und Sendung erleidet er die unerträglichen Schmerzen eines Kreuzestodes und damit die damals schändlichste Form des Sterbens. Eigentlich widerspricht das ja unserer Vorstellung eines Messias. Daher: Sein Sieg liegt im tiefsten Fall. Auch im Allertiefsten kann sich das größte Heil offenbaren und Gott dennoch seinen Plan verwirklichen.

Was mit der Krippe anfängt, findet seine Vollendung in Tod und Auferstehung. Die Bibel ist voll von solchen Beispielen, wenn ich da nur an die unmittelbare Abfolge der Geburt Jesu zu Weihnachten und dem Martyrium des Heiligen Stephanus am zweiten Weihnachtstag denke; zwei so unterschiedliche Ereignisse, die die Kirche schon früh miteinander verknüpft. Oder die Darstellung des Herrn im Tempel am 2. Februar, wenn es vom greisen Simeon angesichts des Säuglings heißt: Maria werde "ein Schwert durch die Seele dringen".

DOMRADIO.DE: Das ist ja nun schon höhere Theologie. Dabei sind Krippen ja meist etwas fürs Auge und auch Gemüt. Gerade auf Kinder üben sie oft eine magische Anziehungskraft aus. Welche Botschaft soll von der Krippe im Dom ausgehen?

Maurer: Wie jede Krippe steht sie für die Botschaft: Gott ist gekommen, damit  grundsätzlich  Frieden herrscht, damit Menschen angstfrei leben können, eine tragende Gemeinschaft möglich ist, auch schon hier im irdischen Leben. Mit den zusätzlichen Elementen Olivenzweig, Nagel und Würfel will sie ein Denkanstoß und ein Reflexionsangebot sein, das ihre Betrachter auf sich selbst zurückwirft und zu der Frage führt: Was hat das mit meinem Leben zu tun?

Eine Krippe ist nie etwas Destruktives. Sie ist die Verheißung: So wie dieses Kind von seinen Eltern geliebt wird, bist auch Du von Gott geliebt – eine einfache Botschaft, die in der Tat gerade auch Kindern sehr zugänglich ist. Aber uns Erwachsenen geht es doch nicht anders. Am Ende schauen wir doch alle deshalb zu Weihnachten so gerne die Krippe in unserem Dom an, weil auch wir dafür empfänglich sind, geliebt und geborgen zu sein. Allen, aber gerade denen, die leiden und trauern, möchte diese Krippe sagen: Hab Vertrauen! Du bist eingewoben in dieses Geheimnis. Gott ist da!

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Krippe

Krippen sind Futtertröge. In der Heiligen Schrift werden sie im Zusammenhang mit der Geburt Jesu erwähnt. Beim Evangelisten Lukas heißt es: Maria "gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war." 

Als Krippe wird auch die ganze figürliche Darstellung der Geburtsszene bezeichnet. Erstmals als Abbildung des Geburtsgeschehens Jesu sind Krippen im 16. Jahrhundert in Italien und Spanien nachweisbar, bald darauf auch in Süddeutschland. 

Krippendarstellung der Heiligen Familie / © Annamaria Zappatore (shutterstock)
Krippendarstellung der Heiligen Familie / © Annamaria Zappatore ( shutterstock )
Quelle:
DR