Domkapitular Weitz ruft Kirche zu mutiger Verkündigung auf

"Nicht nur Brocken des Diskurses verbrämen"

Im Kapitelsamt am zweiten Adventssonntag hat Domkapitular Thomas Weitz im Kölner Dom zur Verkündigung aufgerufen. Die Kirche habe rauszugehen. Sie müsse auch mal seltsam wirken und verstören, statt nur soziale Erwartungen zu spiegeln.

Domkapitular Dr. Thomas Weitz zelebriert das Kapitelsamt / © Beatrice Tomasetti (DR)
Domkapitular Dr. Thomas Weitz zelebriert das Kapitelsamt / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Domkapitular Thomas Weitz am Fünfundzwanzigsten Sonntag im Jahreskreis (DR)
Domkapitular Thomas Weitz am Fünfundzwanzigsten Sonntag im Jahreskreis / ( DR )

"Ein Mann mit einem Karton um den Leib gebunden, auf dem die Sorge vor einem Dritten Weltkrieg ausgedrückt wird, der laut 'Bumm, bumm, bumm!' ruft, hier vor dem Dom – immer wieder."

Mit dieser Schilderung eröffnete Domkapitular Thomas Weitz seine Predigt im Kapitelsamt am zweiten Adventssonntag im Kölner Dom. 

Das Verhalten des Mannes möge sonderlich erscheinen, aber in gewisser Weise schulde Domkapitular Weitz ihm seine Hochachtung.

Vom Rufer vor dem Dom zu den Lesungen des Tages

"Weshalb? Weil ihm seine Botschaft wichtig ist. Weil er, das ist Spekulation von meiner Seite, will, dass die Botschaft gehört wird. Weil er die feste Überzeugung hat, dass seine Botschaft, die vor Krieg warnt, gehört werden muss." 

Fast leere Domplatte in Köln / © Theodor Barth (KNA)
Fast leere Domplatte in Köln / © Theodor Barth ( KNA )

"Er stellt sich auf den Platz und ruft, schreckt auf. Vielleicht verstört er auch, weil seine Botschaft dunkel ist. Doch wenn wir ehrlich sind, werden wir einräumen müssen, dass diese dunkle Botschaft in eine Zeit fällt, die von Kriegen und Lügen, von Hass, Gewalt, Vergeltung, Rache, Angst und Verhetzung stark mitgeprägt ist", so Domkapitular Weitz.

Von diesem Rufer vor dem Dom seien es nur ein paar Schritte zu den heiligen Texten, die uns an diesem zweiten Advent zu hören geschenkt seien, so Domkapitular Weitz.

Als das Volk Gottes in Hoffnungslosigkeit gefangen war

Die Prophetie des Jesaja, in der Jerusalem, Zion, die infolge ihrer Sünden zerstörte und verwüstete Stadt, auf einen hohen Berg steigen und dort die Existenz Gottes verkünden soll, verortete Domkapitular Weitz in der Schlusszeit des babylonischen Exils. 

Blick vom Berg Zion auf das Hinnomtal in Jerusalem. Rechts das Mount-Zion-Hotel, das gegenwärtig ausgebaut wird. Im Hintergrund links das palästinensische Stadtviertel Abu-Tor. / © Andrea Krogmann (KNA)
Blick vom Berg Zion auf das Hinnomtal in Jerusalem. Rechts das Mount-Zion-Hotel, das gegenwärtig ausgebaut wird. Im Hintergrund links das palästinensische Stadtviertel Abu-Tor. / © Andrea Krogmann ( KNA )

Jesaja spreche darin zu den Hebräern im Exil, die "im Frondienst, in ihrer Sklaverei, in ihrer Unbehaustheit und Fremdheit nach all diesen vielen Jahren nicht wissen, wie es werden soll." 

Das Volk Gottes sei nicht nur als Besiegter im Frondienst gefangen gewesen, sondern auch in einer Hoffnungslosigkeit. Zumindest den Glaubenden sei klar gewesen, dass es "nicht Zufall war, sondern Folge ihrer Schuld, dass all das geschehen ist". 

Die gesühnte Schuld der geschundenen Heiligen Stadt 

Der Ruin der Heiligen Stadt sei eine "Folge ihrer Gottvergessenheit und der Vergötzung ihrer Idole, der militärische Mächte, an die sie sich mehr hielten als an sein Wort der Verehrung der Gottheiten, von deren Kult sie sich Fruchtbarkeit und Wachstum und Stärke erhofften".

Die Heilige Stadt hätte darauf geschaut, was andere so machten, und vergessen, was ihr Gott ihr sagte. Damit habe das Volk Gottes seine Sendung vergessen und sei als Folge in das Exil gesandt worden. Doch diese Schuld sei gesühnt worden. 

"Diese geschundene Heilige Stadt, die wohl auch viele von den Exilierten aufgegeben hatten, die sich schuldig gemacht hat, die befleckt ist durch ihre Schuld, wird vom Propheten in Gottes Namen ermächtigt und gesandt, mit all ihrer Kraft hinauszurufen, sich hörbar zu machen, alles zu tun, damit die Botschaft gehört wird: Siehe, da ist euer Gott", erklärte Domkapitular Weitz.

Die Kirche muss Gott in dieser Zeit vernehmbar machen

Die Heilige Stadt müsse die Botschaft Gottes in eine Zeit hineinrufen, "die vielleicht gar nicht mehr mit Ihm rechnet, bei deren Perspektiven Er gar nicht mehr vorkommt, wo die, die in der Zeit leben, möglicherweise gar nicht merken, dass sie im Exil sind, sondern sich mit Babylon, der Großen, Mächtigen und Beeindruckenden, die immer die Siege davonträgt, arrangiert haben, in eine Zeit hinein, von der man vielleicht eher sagen kann, dass sie Gott in das Exil geschickt hat", so Domkapitular Weitz.

Die Reste des Ischtar-Tors der antiken archäologischen Stätte Babylon / © Hussein Faleh (dpa)
Die Reste des Ischtar-Tors der antiken archäologischen Stätte Babylon / © Hussein Faleh ( dpa )

In diese Zeit hinein gelte es zu rufen: "Siehe, da ist euer Gott. Nicht ein Gott – euer Gott, dein Gott, der sich zum Du für dich macht". Es sei auch an der Kirche, der Tochter Zion des Neuen Bundes, dafür ihre Stimme mit Macht zu erheben.

Nicht, weil sie sich wichtig nehmen oder sorgen sollte, dass man sie nicht genug hört, solle dieser Ruf der Kirche erschallen: "Sondern aus der Sorge heraus, dass durch sie Er nicht mehr gehört, Er nicht mehr erfahren wird."

Kirche darf nicht nur Diskursbrocken mit Religion vermengen

Die Kirche dürfe "sich nicht zu schade sein, auf den Platz zu gehen oder auch seltsam zu wirken. Sie darf sich nicht darauf beschränken, hingeworfene Brocken des gesellschaftlichen Diskurses mit einer religiösen Soße zu verbrämen."

Sie dürfe vielmehr auch schon einmal verstören, "indem sie den exilierten Gott zurück auf die Plätze holt", führte Domkapitular Weitz aus. 

Gerade in heutiger Zeiten brauche es Ermutigung und Tröster, die eine Zukunft erschlössen und dem Hirtenkönig folgten.

Das "Dunkle, Lichtvolle, Verheißene im Trostbuch des Jesaja" finde seine Erfüllung in dem, wovon die dritte Lesung aus dem Evangelium heute spreche, so Domkapitular Weitz.

Johannes der Täufer als Vorbild für die Verkündigung

"Wir haben diesen Johannes den Täufer, der seltsam ist – sein Gewand, seine Speise, sein ganzer Auftritt." 

Johannes der Täufer habe in der Wüste gerufen, sich bemerkbar gemacht und sei sich nicht zu schade dafür gewesen, die Botschaft zu verkünden, die nicht auf ihn selbst weise, "sondern auf den, der stärker ist, der unbedingt will, dass die Leute vorbereitet sind, dass sie sich vorbereiten."

Johannes der Täufer, Plastik von Jean Del Cour in der Lütticher St.-Pauls-Kathedrale / © Photelling Images (shutterstock)
Johannes der Täufer, Plastik von Jean Del Cour in der Lütticher St.-Pauls-Kathedrale / © Photelling Images ( shutterstock )

Die ersten Worte des Tagesevangeliums (Mk 1,1-8) seien laut Domkapitular Weitz zwar leicht zu überhören. 

"Und doch haben sie es in sich, eigentlich in der militärischen Sprache: Das Angelion, das Evangelium, die Nachricht, dass der Sieg errungen ist. Und der Bote, der das verkündet, ist der Evangelist. Und hier ist die Frohe Botschaft, das Evangelium – nicht irgendein Wort, sondern Jesus Christus selbst."

Die Gegenwart Christi schenkt Sieg und tiefe Hoffnung

"Indem er da ist, ist der Sieg geschenkt", betonte Domkapitular Weitz am Ende seiner Predigt, "indem er da ist, kann die Sünde und die Schuld überwunden werden, kann das Leben gefunden werden – wenn wir uns immer wieder sanft von ihm emporheben und an seine Brust drücken lassen und ihm vertrauen, dass er den Weg kennt."

Seine Predigt im Kapitelsamt am zweiten Adventssonntag beendete Domkapitular Weitz mit einer hoffnungsfrohen Botschaft: "Bitten wir den Herrn darum, dass uns etwas von dieser prophetischen Weisung zu eigen wird und wir den Mut haben, andere zu ermutigen, dass wir nicht nur vertrösten, sondern wirklich trösten können, weil wir wissen: Bei jedem Marsch, auch dem durch die Wüste, ist für den, der glaubt, der an der Seite, der sich gerade um ihn kümmert."


Auslegung zum Sonntagsevangelium Mk 1,1-8

von Beda dem Ehrwürdigen

Was aber rief [Johannes, der Rufer in der Wüste]? „Bereitet dem Herrn den Weg, machet eben seine Pfade!“ Jeder der den wahren Glauben und die rechten Werke verkündigt, tut nichts anderes, als dem ankommenden Herrn in den Herzen der Hörer den Weg zu bahnen, damit er die Herzen mit der Kraft seiner Gnade durchdringe und sie mit dem Licht der Wahrheit durchstrahle. Und er macht die Pfade eben, indem er durch das Wort der Predigt lautere Gedanken in den Hörern erweckt.

Aus: Magnificat. Das Stundenbuch. Dezember 2023

Quelle:
DR