Dombaumeister findet immer noch Kriegsschäden am Kölner Dom

"Wir machen immer wieder neue Entdeckungen"

Vor 80 Jahren richtete der "Peter-und-Paul-Angriff" große Schäden am Kölner Dom an. Heute noch finden sich dort zahlreiche Kriegsschäden und andere Spuren der Geschichte, darunter auch Hakenkreuze, erzählt Peter Füssenich.

Blick auf den Kölner Dom / © Bryce Bondzio (shutterstock)
Blick auf den Kölner Dom / © Bryce Bondzio ( shutterstock )

KNA: Der Zweite Weltkrieg liegt Jahrzehnte zurück. Gibt es immer noch Kriegsschäden am Kölner Dom?

Dombaumeister Füssenich (DR)
Dombaumeister Füssenich / ( DR )

Peter Füssenich (Kölner Dombaumeister): Es gibt noch immer unzählige Schäden. Ein Beispiel: Derzeit ist der Glockenturm eingerüstet, um die Schallluken zu erneuern. In den Wänden sieht man etliche durch Bomben und Druckwellen hervorgerufene Schäden. Aber auch im Strebewerk, das durch Luftverschmutzung geschädigt und zu restaurieren ist, finden sich noch massenweise Kriegsspuren - zum Beispiel an den gotischen Ziertürmchen, den Fialen. Hier und da liegen noch versprengte Stücke vom Blei des Dachs.

KNA: Lässt sich das Ausmaß der Beschädigungen genauer einschätzen?

Füssenich: Das genaue Ausmaß lässt sich nicht einschätzen - wir machen immer wieder neue Entdeckungen.

Vor zwei Jahren haben wir das große Hängegerüst am Nordturm des Kölner Doms abgebaut. An den Kran, dessen Ausleger rund 120 Meter hoch reichte, haben wir bei der Gelegenheit einen Fahrkorb angehängt und damit Stellen der Westfassade besichtigt, an die man nicht so leicht rankommt. Und da haben wir am südwestlichen Pfeiler des Südturms in etwa 90 Metern Höhe Reste einer Stabbrandbombe gefunden, die dann vom Kampfmittelräumdienst fachgerecht entsorgt wurde. Die Kriegsschäden werden uns noch Jahrzehnte beschäftigen.

Einschussstelle von den Kämpfen des Zweiten Weltkriegs in der Fassade des Kölner Doms  / © Harald Oppitz (KNA)
Einschussstelle von den Kämpfen des Zweiten Weltkriegs in der Fassade des Kölner Doms / © Harald Oppitz ( KNA )

KNA: Also eine Zahl der Schäden können Sie nicht nennen?

Füssenich: Eine exakte Zahl gibt es nicht - aber es gibt noch zahlreiche kleinere aber auch einige größere Schäden. Die Beseitigung eines großen Kriegsschadens haben wir 2013 mit der Sanierung des Michaelsportals an der Nordseite des Doms begonnen, wo der «Peter-und-Paul-Angriff» enorme Schäden angerichtet hatte. Wir wissen auch, dass nach der Einnahme der Stadt durch die alliierten Truppen zudem Soldaten ganze Gewehrsalven auf die Figuren des Portals abfeuerten.

Die Engländerin Berta Woodward vermachte ihr gesamtes Vermögen für die Beseitigung von Kriegsschäden am Dom. Ein bemerkenswertes Zeichen der Versöhnung. Das Geld haben wir für die Wiederherstellung der Portalarchitektur verwendet; die Restaurierung und Teilrekonstruktion der Reliefs und Figuren wurde durch ein Patenschaftsprogramm des Zentral-Dombau-Vereins finanziert. Die Arbeiten sind jetzt nach zehn Jahren weitgehend abgeschlossen.

Im Herbst wollen wir das Gerüst abbauen und den Blick auf das Portal wieder freigeben. Die unterschiedliche Farbigkeit der Figuren und Baldachine lässt dann erkennen, was im Krieg zerstört und erneuert werden musste.

KNA: Mit dem Michaelsportal verbindet sich ja noch eine berührende Kriegsgeschichte ...

Peter Füssenich

"Der Sohn eines US-Soldaten hatte das Fragment nach dem Tod der Eltern in deren Haus gefunden."

Füssenich: So ist es. Vor sechs Jahren kehrte das Köpfchen einer Soldatenfigur aus dem Relief, das die Bekehrung des Saulus zum Paulus darstellt, aus den USA nach Köln zurück. Der Sohn eines US-Soldaten hatte das Fragment nach dem Tod der Eltern in deren Haus gefunden.

KNA: Wer heute den Dom betritt, kann sich das Ausmaß der Kriegszerstörungen gar nicht mehr vorstellen. Können Besucher innerhalb des Doms irgendwo noch Spuren sehen?

Füssenich: Die meisten Kriegsspuren finden sich an der Außenseite des Doms. In der Halle des Nordturms ist im Boden der Grundriss des früheren Dombunkers eingelassen. Die Rundkonstruktion wurde 1943 errichtet, um wertvolle Ausstattung einzulagern.

Blick auf die zerstörte Kirche Groß Sankt Martin in der Innenstadt von Köln mit dem Kölner Dom im Hintergrund am Ende des Zweiten Weltkriegs. (KNA)
Blick auf die zerstörte Kirche Groß Sankt Martin in der Innenstadt von Köln mit dem Kölner Dom im Hintergrund am Ende des Zweiten Weltkriegs. / ( KNA )

KNA: Was ist dran an der Legende, dass die Kölner zunächst den Dom und erst danach ihre Häuser wieder aufgebaut haben?

Füssenich: Das ist sicher eine Legende. Aber ich denke, für die aus dem Krieg zurückkehrenden Kölner war es ein großes Hoffnungszeichen, dass der Dom noch stand und nicht alles am Boden lag. Sicherlich war das eine Motivation, den Neuanfang zu wagen.

KNA: Die Welt erschüttert derzeit der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wäre es angesichts solcher Kriegshandlungen nicht gut gewesen, wenn die Ziegelplombe, mit der nach einem Treffer im Krieg der Nordturm stabilisiert wurde, als Mahnmal sichtbar geblieben und nicht mit Sandstein verblendet worden wäre?

Peter Füssenich

"Auch heute fällt die Stelle mit ihrem hellen Stein auf und löst viele Fragen aus - und damit bleibt sie ein Mahnmal."

Füssenich: Mein Vorvorgänger Arnold Wolf hatte aus baumeisterlicher Sicht das Bestreben, den Dom als perfekte Kathedrale wiederherzustellen und alle Schäden zu beseitigen. Die Ziegelplombe zu verblenden, war also eine ästhetische Entscheidung. Aber dem Dom hätte es nicht geschadet, wenn diese Spur eines der schrecklichsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts dort sichtbar geblieben wäre. Aber auch heute fällt die Stelle mit ihrem hellen Stein auf und löst viele Fragen aus - und damit bleibt sie ein Mahnmal.

KNA: Ist es richtig, dass sich am Dom auch Hakenkreuze finden?

Füssenich: In der Zeit des Nationalsozialismus stand die Dombauhütte unter staatlicher Verwaltung. Einige Mitarbeiter haben ab der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre begonnen, in den von ihnen erneuerten Steinen neben der Jahreszahl auch ein Hakenkreuz Symbol einzumeißeln. Auch das sind Spuren der Geschichte, die wir nicht entfernen und auf die wir - etwa bei Führungen über das Domdach - immer hinweisen.

Das Interview führte Andreas Otto.

Quelle:
KNA