Dogmatiker zum Ausschluss von Richard Williamson

Bleibende Kluft zwischen Piusbrüdern und Vatikan

Eine rasche Aussöhnung von Piusbrüdern und Vatikan bleibt auch nach dem Rauswurf von Holocaustleugner Williamson unwahrscheinlich. Dazu müssten sich die Piusbrüder zunächst zur Ökumene und Religionsfreiheit bekennen, erklärt Jan-Heiner Tück, Professor für Dogmatik im domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Wie schätzen Sie den Ausschluss von Williamson durch die Piusbrüder ein? Ist das eine Kehrtwende? Kommen die Gespräche zwischen dem Vatikan und den Piusbrüdern jetzt wieder in Gang?
Jan-Heiner Tück (Professor für Dogmatik): Es ist sicher ein Signal in die richtige Richtung, insofern auch die Piusbrüder klar machen, ein Antisemitismus, ja, sogar Holocaust-Leugnung kann es bei uns nicht geben. Dennoch reicht meines Erachtens der Ausschluss Williamsons solange nicht als nicht auch zentrale Dokumente des Zweiten Vatikanums durch die Piusbrüder anerkannt werden. Das ist nach wie vor offen.

domradio.de: Die Religionsfreiheit wird nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil von der katholischen Kirche anerkannt. Die Piusbrüder aber sagen: Die Religionsfreiheit sei eine Pest des Liberalismus. Das sind unvereinbare Positionen, oder?
Tück: Die Piusbrüder frieren die Tradition des 19. Jahrhunderts gewissermaßen ein. Es gab im 19. Jahrhundert durch Gregor XXVI., Pius IX. und andere Päpste klare Kritik am Liberalismus, auch an der Religionsfreiheit. Das, was die Päpste im 19. Jahrhundert verurteilt haben und das, was das Zweite Vatikanum anerkannt hat, sind aber nicht identisch und das ist der Kurzschluss der Piusbrüder. Sie meinen unter Berufung auf die Päpste des 19. Jahrhunderts das Konzil verwerfen zu müssen. Lefebvre hat das Konzil als das größte Unglück der Kirchengeschichte bezeichnet.

domradio.de: Das Zweite Vatikanische Konzil bekennt sich zum Dialog mit den Religionen und zu einer Öffnung zum Judentum. Auch das sehen die Piusbrüder fundamental anders.
Tück: Ja, sie machen hier einen exklusiven Wahrheitsanspruch geltend und sehen im Interreligiösen Dialog einen Relativismus, den sie nicht mitmachen wollen. Insbesondere ihre Haltung zum Judentum ist problematisch, insofern es immer noch antijudaistische Aussagen gibt, also dass die Juden zum Beispiel Gottes Mörder seien. Solange hier nicht klar Revisionsprozesse eingeleitet werden, sehe ich eigentlich einer Einigung mit großer Skepsis entgegen.

domradio.de: Sie haben gerade die antijudaistische Haltung der Piusbrüder angesprochen. Halten Sie das denn für möglich, dass die Piusbrüder von diesen extremen Positionen abrücken können?
Tück: In der Piusbruderschaft ist das antijudaistische Denken natürlich verbreitet und wir müssen offen eingestehen, dass auch in der kirchlichen Tradition natürlich antijudaistische Stereotype vorhanden sind. Aber gerade nach Auschwitz gilt es, diese antijudaistischen Stereotype aufzuarbeiten. Und wenn Sie an Johannes Paul II. denken, er hat ja auch ganz klare Signale gesetzt, dass das Verhältnis zum Judentum auf neue Grundlage zu stellen sei. Er hat von den älteren Brüdern im Glauben gesprochen. Das sind ganz andere Töne als sie in Predigten und Verlautbarungen der Piusbrüder zu hören sind.

domradio.de: Nun gibt es in Rom zwei Fronten. Die einen um Kardinal Koch sehen eine Annäherung als praktisch unmöglich an. Die anderen um Kardinal Brandmüller wollen den Piusbrüdern entgegenkommen. Kardinal Brandmüller sagt zum Beispiel, dass man die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils in ihrer Verbindlichkeit unterscheiden müsse. Die Dokumente: Nostra Aetate und  Dignitatis humanae seien von geringerem Gewicht. Das aber sind genau die Dokumente, in denen es um Religionsfreiheit und Anerkennung anderer Religionen geht. Widersprechen Sie da Kardinal Brandmüller?
Tück: Die Herabstufung der Dekrete und Erklärungen halte ich für ein äußerst problematisches Signal, weil dadurch den Traditionalisten eine Offerte unterbreitet werden soll. Man muss halt klar sehen, die dogmatischen Konstitutionen legen die ökumenische Öffnung und den interreligiösen Dialoggrund und wer jetzt die Dekrete in Zweifel zieht, zieht letztlich auch die dogmatischen Konstitutionen und damit das ganze Konzil in Frage. Das kann nicht der richtige Weg sein, um den Piusbrüdern entgegen zu kommen. Außerdem muss man beachten, dass natürlich die Nachkonzilspäpste Paul VI., Johannes Paul II. und auch Benedikt XVI. klare Signale gesetzt haben, um den ökumenischen und interreligiösen Dialog fortzuschreiben. Gerade das letzte Treffen der Repräsentanten der Weltreligionen in Assisi - für die Piusbrüder ein Gräuel - zeigt ja, dass hier in einer globalen Moderne die Koexistenz der Religionen einen wichtigen Beitrag zum Zusammenleben der Menschheit zu leisten hat und das ist jetzt keine Religionsvermischung oder Synkretismus wie die Piusbrüder mutmaßen, sondern eine gemeinsame Dokumentation gewesen, dass man für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt eintritt.  

domradio.de: Wie hoch wäre der Preis, den die katholische Kirche zahlt, wenn sie sich mit den Piusbrüdern aussöhnt?
Tück: Eine Aussöhnung kann nur dann sinnvoll sein, wenn die Piusbrüder Bereitschaft erkennen lassen, das Zweite Vatikanum, die entsprechenden Aussagen anzuerkennen. Der Preis einer Einigung wäre zu hoch, wenn Unklarheit in so entscheidenden Fragen wie Ökumene, Interreligiöser Dialog, Religionsfreiheit aufkommen könnte, dann hätten wir innerhalb der Kirche widersprüchliche Positionen und der Papst als Garant der Einheit der Kirche kann das meines Erachtens so nicht zulassen.

domradio.de: Der Ausschluss von Bischof Williamson durch die Piusbrüder ändert nichts an der Tatsache, dass die Kluft zwischen der Theologie der Piusbrüder und der katholischen Kirche unüberbrückbar scheint?
Tück: Ja, zumindest stehen die sachlichen Fragen nach wie vor ungeklärt im Raum, auch wenn jetzt die Piusbruderschaft ein Signal gesetzt hat, dass ein krasser Antisemitismus, der bis zur Holocaustleugnung geht, in ihren Reihen keinen Platz mehr hat.

Das Interview führte Hilde Regeniter (domradio.de)