Dirigent zu Guttenberg im Interview

"Musik gibt Antworten, wo die Welt keine hat"

Bis tief ins Barockzeitalter greift Enoch zu Guttenberg, wenn er den Taktstock anhebt. Als Dirigent will er alten Meisterwerke vor allem inhaltlich deuten. Im Interview spricht zu Guttenberg über die Kraft der Musik in düsteren Zeiten.

Enoch zu Guttenberg / © Franz-Josef Fischer (dpa)
Enoch zu Guttenberg / © Franz-Josef Fischer ( dpa )

dpa: Sie sind quer durch Europa, Südamerika und China getourt. Ist ein Auftritt in New York überhaupt noch etwas Besonderes?

Enoch zu Guttenberg: Ja, absolut. Es gibt auf der Welt drei große Säle, den Wiener Musikverein, den Amsterdamer Concertgebouw und in New York die Carnegie Hall. Das ist einer der drei Großen. Für einen selbst ist das im Lebenslauf schon musikgeschichtlich einfach wahnsinnig.

dpa: Auf der Nordamerika-Tour spielen Sie Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem und Johann Sebastian Bachs "Magnificat". Wie nähern Sie sich diesen beliebten Meisterwerken in einem so berühmten Konzerthaus?

zu Guttenberg: Die Prominenz des Ortes darf keine Rolle spielen, die Verantwortung als Interpret ist immer gleich hoch. Bach war Protestant und hat ein ur-katholisches Stück geschrieben. Ich möchte mit dieser Musik zeigen, dass Bach versuchte, innerhalb der katholischen Kirche zu reformieren und nicht eine eigene Konfession zu sein, was Martin Luther ja wollte.

dpa: Wie fügt sich Mozart in dieses Bild?

zu Guttenberg: Aus meiner Sicht ist Mozart der Erste, der eine subjektive Sicht in die Sakralmusik einbringt, mit Angst vor dem Tod, Angst vor dem Sterben, Hoffnung auf ein Leben danach. Diese Inhalte sind mir wichtig. Wir leben ja in einer Zeit, in der die Werke zu stets abrufbarem Konsumgut geworden sind.

dpa: Was braucht es, um ein Dirigent von Weltrang zu sein?

zu Guttenberg: Das Wichtigste ist die Interpretation, die sich natürlich unterscheiden kann. Aber wir müssen wieder mehr lernen, zu dienen. Wenn ich zum Grabe fahre und die Leute sagen, "bei dem standen die Inhalte im Vordergrund", dann habe ich nicht alles falsch gemacht.

dpa: Mit 70 Jahren sind Sie eigener Aussage zufolge immer noch "besessen" von der Arbeit. Was hält Sie so bei Laune und woher nehmen Sie die Kraft für Ihren aufreibenden Job?

zu Guttenberg: Es ist einfach spannend. Das tolle ist, dass man ja nie genügt. Wer sich zurücklehnt und sagt, das war's, der ist kein guter Musiker. Auch wenn man eine Partitur das hundertste Mal in die Hand nimmt, muss man sie sich neu erarbeiten. Und wir haben viele junge Leute im Orchester, das macht wahnsinnig Freude.

dpa: Was kann und muss klassische Musik heute leisten?

zu Guttenberg: Die Musik gibt Antworten, wo die Welt keine Antworten hat. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 haben wir trotzdem unsere Arbeit machen müssen, und die Musik gibt einem trotz aller Verzweiflung eine solche Kraft. Man weiß ja bald nicht mehr, was man lesen soll, wie es in der Welt so zugeht. Da kann die Kunst schon etwas dagegenhalten.

dpa: Sie setzen sich schon lange für den Natur- und Umweltschutz ein und haben wegen ihres Engagements gegen Windkraft auch anonyme Morddrohungen erhalten. Wie politisch muss ein Dirigent sein?

zu Guttenberg: Letztlich muss es jeder sein. Denken Sie an Beethovens 3. oder 9. Symphonien, das waren auch sehr politische Aussagen. Politik bedeutet aus dem griechischen übersetzt ja das, was jeden etwas angeht. Es ist aber nicht die Frage, was der Dirigent, der Musiker oder der Sänger glaubt, sondern was die Komponisten gedacht haben. Da kommt man nicht drum herum.

Das Interview führte Johannes Schmitt-Tegge.


Carnegie Hall in New York / © Christina Horsten (dpa)
Carnegie Hall in New York / © Christina Horsten ( dpa )
Quelle:
dpa