Direktor Joachim Blüher zum Wirken der "Villa Massimo" in Rom

"Auf die Identität besinnen"

Die "Villa Massimo" in Rom ist eine der wichtigsten Kultureinrichtungen der Bundesrepublik im Ausland. An diesem Donnerstagabend präsentiert sie sich der deutschen Politik und Öffentlichkeit in Berlin. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur erläutert ihr Direktor Joachim Blüher die Bedeutung der Kunst für die Identitätsbildung Deutschlands. Der Protestant verrät auch, warum deutsche Gegenwartskünstler eine katholische Kirche in einem Bergdorf östlich von Rom bauen wollen.

 (DR)

KNA: Herr Blüher, die Villa-Massimo-Stipendiaten des Jahres 2008 sind nach Deutschland zurückgekehrt. Es ist - angesichts von Krise und Rezession - für sie vermutlich ein anderes Land als vor einem Jahr.
Blüher: Krise ist für Künstler - im Gegensatz zur Wirtschaft - geradezu ein Normalzustand. Bei uns in der Akademie leben sie in einer herausgehobenen, vergleichsweise luxuriösen Situation. Aber das ist nur eine Seite. Im Grunde gehört die Sorge, wie man das Atelier bezahlt, zur Künstlerexistenz dazu.

KNA: Was können Künstler in der Krisenstimmung ausrichten?

Blüher: Nichts anderes als sonst: Sie sollten aufnehmen, was ihnen begegnet, und in der ihnen eigenen Art umsetzen. Vielmehr sollten Politik und Gesellschaft darüber nachdenken, wie sie mit der Kunst umgehen. Es ist Zeit, sich auf die Kunst zu besinnen, jetzt erst recht - in dieser Krise, die ja auch eine Krise der Globalisierung ist. Was verleiht uns denn heute noch Identität? Sie können heute jedes Produkt weltweit kaufen, alles ist austauschbar. Was dem Land Ausdruck und ein Gesicht gibt, ist die Kunst. Deshalb wird es noch viel wichtiger, sich dieser Identität zu erinnern und sie auch im Ausland anzubieten.

KNA: Ein Kennzeichen der Villa Massimo ist es, den Stipendiaten ein "zweckfreies" Dasein zu ermöglichen. Was bedeutet Ihnen das?

Blüher: Kunst ist nie frei. Auf der einen Seite müssen Künstler furchtbar darum kämpfen, das Mindeste zum Leben zu haben. Auf der anderen Seite - und auch solche Künstler haben wir zu Gast - gibt es Künstler, die alle Erfolge und durchaus ein Vermögen haben, die aber vom Markt gejagt werden. Die Villa ist tatsächlich allen Freiraum, hier geht es nicht gleich um Nutzen und Zweck. Und damit ermöglichen wir geistigen Austausch, gemeinsame Erfahrung.

KNA: Rom manifestiert nicht nur 2.800 Jahre Kunstgeschichte. Rom steht auch für 2.000 Jahre Kirche. Wie sehr beschäftigt das Ihre Stipendiaten?

Blüher: Künstler suchen manchmal den Reichtum der Tradition. Diesen Reichtum repräsentiert einzig und allein die katholische Kirche. Die evangelische Kirche ist bilderfeindlich. Und über diese Tradition und die religiösen Formen kommen die Künstler zur Sinnfrage des Lebens. Hier in Rom sieht der moderne Mensch, wie viel Fremdheit in dem liegt, was wir angeblich alles schon verstanden haben.

KNA: Vier Ihrer Stipendiaten aus dem Jahr 2007 wollen in Olevano bei Rom eine Kirche bauen. Wie kam es zu dieser Idee?

Blüher: Das hat sich einfach im Gespräch entwickelt. Es war von niemandem geplant. Alle vier sind Agnostiker, sie sind teilweise in der DDR sozialisiert. Und trotzdem kam dieser Wunsch auf. Sie haben gesehen, was die Kirche hier in Rom bedeutet. Sie haben bestimmte Kirchen und auch den "Turm der Winde" gesehen, den man 1578 eigens für Papst Gregor XIII. gebaut hat, der damit die astronomischen Grundlagen für die Kalenderreform berechnen konnte. Sie sind mit der Erfahrung des mystischen Lichts nordischer Kirchen gekommen und sind auf ein hartes, geradezu wissenschaftliches Licht in Italien gestoßen. Das ist fruchtbar.

KNA: Wie sehr überraschte Sie dieses Vorhaben?

Blüher: Ich hatte in früheren Jahren als Galerist mit Künstlern zu tun, die der französische Staat für Kirchenfenster gewinnen wollte.
Sie dürsteten geradezu danach, da mitzumachen. Sie dürsteten nach Spiritualität. Denn es ist etwas anderes, ob sie an einem Bankgebäude oder einem Privathaus mitarbeiten oder ob sie - schlicht gesagt - für Gott bauen. Da geht es nicht nur um das Gebäude. Es geht um Liturgie, die sie meistens lernen müssen, und um die großartige Tradition früherer Künstler, mit denen sie in einem Kirchengebäude zusammentreffen.

KNA: Rechnen Sie damit, dass der Kirchenbau verwirklicht wird?
Blüher: Das Projekt wird konkret. Die Gemeinde ist begeistert. Der Landbesitzer ist bereit zu verkaufen. Der springende Punkt sind die
- eher acht als vier - Millionen Euro, die wir für den Bau brauchen.
Aber ich habe starke Verbündete. Repräsentanten der italienischen Wirtschaft, auch das Wirtschaftsministerium stehen dem Vorhaben sehr offen gegenüber. Man freut sich, uns helfen zu können.

Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir das schaffen. Derzeit gründen wir eine Stiftung. Und Mitte März steht in Maastricht die Tefaf an, eine der weltweit wichtigsten Kunstmessen. Deren Hauptsponsor, die AXA Kunstversicherung, wird sich dort ganz konkret mit unserem Kirchbau-Projekt präsentieren. Denn sie sehen: Es ist etwas Herausragendes, eben kein Zweckbau.

KNA: Könnte die Villa Massimo Vorbild für eine deutsche künstlerische Präsenz auch in - um zwei Brennpunkte zu nennen - der Türkei oder Israel sein?

Blüher: Zu hundert Prozent ja. Deutsche Akademien in der Türkei oder auch Israel könnten die Auseinandersetzung zwischen dem Christentum und dem Islam oder sogar noch zwischen Christentum, Judentum und Islam voranbringen. Da sollte die deutsche Politik bewusst investieren. Es gibt ja bereits eine Initiative der Abgeordneten Steffen Kampeter (CDU) und Petra Merkel (SPD) zur Gründung einer Akademie in Istanbul.

KNA: Was könnte eine solche Akademie dort bringen?

Blüher: Ich will es am römischen Beispiel zeigen. Seit einer Weile haben wir eine Veranstaltungsreihe mit dem engagierten deutschen Botschafter beim Vatikan, Hans-Henning Horstmann. Unter dem Motto "Akademiegespräche in der Residenz" kommen unsere Stipendiaten und ein Kleriker ins Gespräch zu einer Frage der Ästhetik: Was bedeutet Kirche? Was bedeutet die Ästhetik als Zugang zum Glauben?

KNA: Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Blüher: Ein Beispiel: Navid Kermani und Professor Elmar Salmann von den Benediktinern haben da mit einer geradezu zarten Rücksicht aufeinander diskutiert. Und plötzlich waren sie bei den gleichen Formen, mit denen sich in beiden Religionen Glaubenspraxis manifestiert. Wenn wir zurückgehen zu Fragen von Liturgie und Ästhetik, können wir überraschend viel Gemeinsames entdecken. Das ist eine ungemein wichtige, ja tröstliche Erfahrung.

KNA: Die auch auf konkrete Streitpunkte wie etwa den Bau von Moscheen in Deutschland anwendbar ist?

Blüher: Wir dürfen die Diskussion um den Moscheebau nicht der Straße in Köln-Ehrenfeld überlassen. Genau hier käme eine Akademie nach dem Beispiel der Villa Massimo in Istanbul ins Spiel. Lassen wir doch deutsche und türkische Künstler und Architekten in einem solchen Rahmen über ästhetische Form diskutieren. Dann geht es sicher nicht mehr um die Höhe der Minarette oder um andere Bauvorschriften, sondern um Kunst, in der wir uns gemeinsam wiederfinden.