Am Anfang ertönte zunächst ein hörbares Murren. Als Caritas-Präsident Peter Neher zur Eröffnung des fünften deutschen Caritaskongresses bekannte, dass bei knapp 1.000 Teilnehmern nur sechs Solidartickets vergeben worden waren, schwoll der Geräuschpegel im Publikum prompt an.
Beim nächsten Mal könnten es ja 60 kostenlose Tickets für Teilnehmer aus kleineren Verbänden werden, versprach Neher schnell. Zumindest waren damit alle sofort drin im Hauptthema der Veranstaltung: gesellschaftlicher Zusammenhalt.
"Sozial braucht digital"
Für die katholische Kirche und ihren Wohlfahrtsverband - das wurde über die drei Kongresstage in Berlin deutlich - bedeutet das nämlich vor allem, solidarisch zu sein. Beim Jahresempfang der Caritas betonte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, dass die Interessen immer auf das Ganze, auf die Solidarität mit den Armen gerichtet seien. Auch im Rahmen der Digitalisierung sei immer die Frage zu stellen, ob diese den Armen und Schwachen diene, sagte Marx mit Blick auf das Motto des Empfangs "Sozial braucht digital".
Im Alltag der Caritasarbeit seien viele digitale Anwendungen bereits unverzichtbar, erklärte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Sie würden helfen, mehr Zeit für echte zwischenmenschliche Beziehungen zu gewinnen. Darüber, wie sie die Chancen der Digitalisierung für ihre Arbeit nutzen können, diskutierten die Kongressteilnehmer von Mittwoch bis Freitag vielfach in kleineren Runden.
Umgekehrt warb Schäuble für Zusammenhalt und Gemeinsinn in der digitalen Welt. Der Mensch müsse auch dort im Zentrum bleiben. Dass digitale Teilhabe heute schon eine Voraussetzung für soziale Teilhabe ist, sah Schäuble wie auch Caritas-Präsident Neher.
Über das Digitale hinaus diskutierten die Kongressteilnehmer und Gäste verschiedene Facetten des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Ehrenamtliches Engagement
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) und Innenstaatssekretär Markus Kerber stärkten wenigstens rhetorisch das ehrenamtliche Engagement. Eine deutsche Engagement-Stiftung wolle die Regierung zudem noch in diesem Jahr auf den Weg bringen, hieß es.
Allein, Caritas-Vorstandsmitglied Eva Maria Welskop-Deffaa stellte das nicht zufrieden. "Wir brauchen keine Projektförderung", sagte sie in deutlichen Worten. Besser wäre eine langfristige und verlässliche Unterstützung.
Auch die Arbeitsbedingungen in der Pflege und die bevorstehende Europawahl gehörten zu den angeschnittenen Themen. Die Caritas wirbt mit ihrer Kampagne #care4EU für eine Beteiligung an der Wahl und ein sozialeres Europa. In diese Richtung stieß auch die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates, Christiane Woopen, die sich für ein "Europa 4.0" als soziale Gemeinschaft aussprach. Für dessen Gestaltung sollten Christen mit Menschen anderer Religionen und auch ohne religiöse Überzeugungen zusammenarbeiten.
Missbrauchsskandal auch Thema
Die innerkirchliche Debatte um Reformen im Zuge des Missbrauchsskandals blieb im Kontext Zusammenhalt indes ebenfalls nicht unerwähnt. Wollten Kirche und Caritas auch künftig noch einen wesentlichen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten, dann sei "die Zeit der folgenlosen Schuldbekenntnisse endgültig vorbei", mahnte Caritas-Chef Neher.
Ein wichtiger Aspekt für die Gesellschaft sei auch die Überschneidung sozialer Kreise, gab die Soziologin Jutta Allmendinger den Teilnehmern mit auf den Weg. Sie selbst habe noch im Konfirmationsunterricht Menschen aus anderen Kreisen getroffen, doch heute wüssten wir immer weniger voneinander, beklagte die Forscherin. Das fördere die Entstehung von Vorurteilen.
Für den Zusammenhalt der Gesellschaft sei eine christlich-solidarische Grundhaltung notwendig, sagte der Freiburger Erzbischof Stephan Burger bei einem Gottesdienst im Rahmen des Kongresses. "Solidarisches Handeln lässt sich nicht erzwingen", betonte der "Caritas-Bischof" der Bischofskonferenz.
Wie es um die Solidarität innerhalb der Caritas-Gemeinschaft steht, könnte sich indes auch in drei Jahren beim nächsten Kongress zeigen - wenn aus sechs Solidartickets tatsächlich 60 werden, oder gleich 600, wie die Soziologin Allmendinger verlangte.