Dienstag: Post aus Paderborn vom domradio.de-Chefredakteur

Auf Augenhöhe mit den Bischöfen

Auch am zweiten Tag ihrer Frühjahrsvollversammlung in Paderborn folgt Ingo Brüggenjürgen den 69 deutschen Bischöfen: in die Kirche St. Georg, wo Kardinal Meisner an diesem Morgen den Gottesdienst leitet – und das "Kirchenvolk" den "Kirchenoberen" so nah wie sonst nur selten kommt.

 (DR)

"Na ja, das Glockengeläut könnte jetzt ein wenig voller sein", lacht der Pastor von St. Georg, Jörg Plümper. Er steht in den ersten Strahlen der Morgensonne vor seiner Kirche im Paderborner "Pastoralverbund West" und begrüßt hier heute alle per Handschlag. Egal ob Nuntius, Kardinal, Erzbischof, Bischof, Weihbischof, Prälat, Pfarrer, Ordensschwester oder Gemeindeglied. Heute sind hier alle willkommen. Und wo sich sonst an einem ganz normalen Werktag höchstens gut 20 Kirchgänger zur Frühmesse versammeln - wenn es nachher Frühstück gibt, kommen auch mal über 50 meist ältere katholische Frauen -, ist heute hier so  etwas wie Liborifest und Weihnachten an einem Tag.



Heute, am zweiten Tag der Frühjahrsvollversammlung, hat Pastor Plümper ein richtig volles Haus. Genau ein Duzend Bischöfe stehen im lila Messgewand, das die österliche Bußzeit vorschreibt, hinter dem Altar. In der Mitte, eingerahmt durch den Vorsitzenden der Bischofskonferenz,  Erzbischof Robert Zollitsch, und den zuständigen Paderborner Erzbischof Hans Josef Becker steht der Joachim Kardinal Meisner. Der Kölner Erzbischof ist heute der Haupt-Zelebrant und hält auch die Predigt. In den ersten Reihen sitzen die Bischöfe, die heute Morgen nicht zur auserwählten Jüngerschar am Altar gehören. Die ergrauten Oberhirten sind alle im priesterlichen Einheitsschwarz. Ein sehr homogenes Bild - auch wenn der ein oder andere noch den Wintermantel und Schal trägt, während andere Kirchenmänner mutig schon auf dunkle "Übergangsjacke" oder ihre Frühlingsgarderobe umgeschaltet haben. Die freibleibenden bischöflichen Kirchenbänke füllen selbstbewusste katholische Frauen die Reihen auf. Da hinten nur noch Stehplätze zu haben sind, kennen sie keine Berührungsängste und sitzen so am Beginn der Messe zumindest hier im Kirchenschiff mit den Bischöfen auf einer Augenhöhe und in der gleichen Bank.



Während warme Sonnenstrahlen durch die modernen Kirchenfester von St. Georg die wabernden Weihrauchwolken sichtbar machen, singt die Schola Gregoriana, die sonst nur für den Dom zuständig ist, den lateinischen Introitus. In seiner Predigt kommt der Kölner Kardinal gleich zu Sache. Man merkt, dass er hier nicht nur das Wort ergreift, weil es die strenge kirchlich-hierarchische Ordnung so vorsieht - sondern weil er wirklich was zu sagen hat. Mit beiden Händen gibt er seinen Predigtaussagen den nötigen Nachdruck. Notwendig sei heute mehr denn je wahrer Gottesglaube, lebendige, mutige Christusnachfolge und das Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes. An den Heiligen könne man sich gut orientieren. Seinen Mitbrüdern im bischöflichen Amt redet der Kardinal ins Gewissen. An Bischöfen wie von Galen, Kardinal Höffner oder Ratzinger könne man sich gut ein Beispiel nehmen. Die Theologen, die das Memorandum unterzeichnet haben, bekommen auch ihr Fett weg. Die erzbischöfliche Ermahnung lautet: Theologie dürfe nie den Geist Gottes aus dem Auge verlieren, sonst sei sie geistlos!



Von allen Gläubigen erwartet Kardinal Meisner gerade in dieser schweren Zeit die notwendige "Christoaktivität" (den sonst manchmal von ihm gebrauchten Vergleich zur Radioaktivität vermeidet er bewusst aus aktuellem Anlass - die Presse hätte sonst leicht ihr gefundenes Fressen). Am Ende der Predigt wird nicht geklatscht - aber es ist für gut eine Minute mucksmäuschen still im Kirchenrund. Die Kardinalsworte und besonders auch das Engagement, mit dem der 77-jährige Kardinal gepredigt hat, sind angekommen und haben offenbar beeindruckt.



In den Fürbitten, vorgetragen von einer Ordensschwester,  wird nicht nur allgemein "unserer Verstorbenen" gedacht, sondern die Toten in Japan werden mit ins Gebet aufgenommen. Gemeinde und Schola singen Sanctus und Agnus Dei. Nach der Kommunion erklingt auch die 6. Strophe des Dankliedes "Dank Dir Vater, für das ewige Leben", hier heißt es: "Gedenke, Herr die Kirche zu erlösen, sie zu befreien aus der Macht des Bösen, als Zeugen deiner Liebe uns zu senden und zu vollenden!"  Gerade nach dem beeindruckenden Bußakt der Bischöfe gestern im Paderborner Dom genau der richtige Ton. Da stört es auch nicht, wenn der zuständige Diakon bei seinem letzten Liedruf "Gehet hin in Frieden" den Ton nicht findet. Während die Weihrauchwolken noch unter dem zusammengeschraubten viel zu großgeratenen Holzbaldachin unter der Decke festhängen, weht draußen die grün-weiße Fahne der St. Sebastinaer Jungschützen. Vor dem Kirchplatz dann großer katholischer Bahnhof. Altpaderborner wie die Bischöfe Bode, Marx und Wiesemann genießen hier ihren Heimvorteil - Wiedersehensfreude und lachende Gesichter. Kardinal Meisner muss ein Buch signieren und Erzbischof Becker mahnt zur Eile: "Los, ab in die Kiste - das Frühstück wartet und ich habe Hunger!" Die Bischöfe eilen zu den bereitgestellten Bussen vor der Kirche "S-Sonderfahrt" steht auf der Weganzeige oben auf den Bischöfen. Wer sich nicht auf Sonderfahrt begibt, geht die wenigen Meter zum Wellcome-Tagungshotel lieber zu Fuß. Eine gute Gelegenheit, um im fühlingshaften  Vogelgezwitscher die vielen Töne des Lebens nachzuspüren, wenn doch gleich wieder anstrengende Sitzungsstunden im Hotelseminarraum angesagt sind. Aber wie sagte der Erzbischof Becker einem Ehepaar vor der Kirche nach der schönen Messe - angesprochen auf die schwierigen Kirchenfragen der aktuellen Zeit in bestem westfälischen Sound: "Was will man denn machen? Wir machen einfach das Beste draus!"