Warum das "Volk Gottes" eine Revolution bedeutet

"Die Verwandtschaft Gottes"

Was ist eigentlich das "Volk Gottes"? Der Begriff begegnet uns in der Bibel an vielen Stellen. Die Idee dahinter sei nicht nur etwas religiöses, sondern eine regelrechte politische Revolution gewesen. Ein Expertengespräch.

Betende Frau in einer Kirche (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Wo liegen denn die Ursprünge der Volk-Gottes-Vorstellung?

Dr. Gunther Fleischer (Erzbischöfliche Bibel- und Liturgieschule Köln): Die liegen ganz klar im Alten Testament. Sie haben die Besonderheit, dass hier nicht einfach nur von einem Staatsgebilde Israel die Rede ist, und zwar zu keinem Zeitpunkt, sondern immer nur von diesem Menschenverbund, der sich, so kann man sagen, als Verwandtschaft Gottes versteht. Dieser Begriff, diese Verwandtschaft Gottes, das ist das Volk Gottes. Man versteht sich als die Verwandten.

DOMRADIO.DE: Warum ist sie so besonders, diese Verwandtschaft im Alten Testament?

Fleischer: Weil in der damaligen Zeit, also in den Jahrtausenden vor Christus, eigentlich alles nur über den König definiert wird. Der König ist der eigentlich wichtige Mensch. Und das Volk sind eigentlich die Arbeitssklaven. Natürlich gibt es auch eine Oberschicht, der es auch gut geht, aber die spielen alle nicht so eine Rolle wie der König.

Alles wird vom König gedacht und dann gibt es das Volk, das eine eigene Größe ist und das sich auch noch mal aus Individuen zusammensetzt. Deswegen werden ja auch einzelne Geschichten erzählt, Geschichten von einzelnen Personen. Das ist eine Perspektive, die so in der damaligen Zeit nicht gängig war.

DOMRADIO.DE: Also eine ganz neue Dimension. Gibt es denn nur eine Volk-Gottes-Vorstellung?

Fleischer: Nein, es soll erst mal diese Gesamtheit bilden. Wie kommt man überhaupt darauf? Man versteht sich als Verwandtschaft Gottes. Und das wird dann noch mal weiter durchbuchstabiert. Das hat sicherlich mit den verschiedenen Zeiten Israels zu tun.

Wir bewegen uns ganz grob, sagen wir mal zwischen dem 9. Jahrhundert und dem letzten Jahrhundert vor Christus, die alttestamentliche Zeit. Und da werden verschiedene Vorstellungen entwickelt, die sich vor allen Dingen dann um zwei Begriffe drehen, weil die unterschiedliche Akzente setzen. Zum Beispiel eine sehr stark gesetzesgeprägte Vorstellung. Was heißt das, wenn man vom Gesetz her denkt, ein Volk, das von seinem Gesetz her bestimmt ist?

DOMRADIO.DE: Welche anderen Ideen gibt es noch?

Fleischer: Das zweite ist zum Beispiel von Liturgie bestimmt. Worin liegen die Chancen, wenn das Gesetz, was man heute vom Staat kennt, nicht das Regelwerk ist, sondern eben auch von dem obersten Familienvater her kommt, von Gott. Welche Aspekte berücksichtigt dieses Gesetz? Zum Beispiel die Freude ist Teil des Gesetzes. Es muss Gelegenheit geben, sich zu freuen. Das ist sozusagen verordnet.

Welche Chance steckt dann in der Liturgie? Ist das jetzt einfach nur die Regel zu einem bestimmten Zeitpunkt? Muss ich immer dies und jenes tun? Muss ich im Tempel sein? Oder steckt da noch eine ganz andere Dimension hinter? Ich glaube, aus diesen verschiedenen Dimensionen kann Kirche heute wieder lernen.

DOMRADIO.DE: Was ist daran interessant für die Kirche von heute?

Fleischer: Zum Beispiel die Frage der Freude wäre zum Beispiel eine. Oder: Bei der Liturgie ist ein ganz spannendes Thema, nicht was haben wir falsch gemacht, sondern wie können wir eigentlich, wenn was falsch gelaufen ist, in die Zukunft gehen? 

Oder der Gedanke der Solidarität. Das ist sicherlich noch mal etwas, wo wir ja im Moment eher leiden, wo die Kirche etwas an sich hat, wo es in die Einzelteile zerfällt. Es wäre das Gegenteil von dem, was man sich als Bibel-Volk-Gottes vorstellt. Das gilt nicht nur für das Alte Testament, sondern auch bei Paulus. Der sagt immer da, wo die Einheit des Volkes Gottes - also die Kirche - nicht sichtbar wird, da wird das Zeugnis der Kirche und das Zeugnis für Jesus Christus absolut unterwandert.

Das Interview führte Katharina Geiger.


Dr. Gunther Fleischer / © Anita Hirschbeck (Erzbistum Köln)
Quelle:
DR
Mehr zum Thema