Die Vatikanspitze hält Fastenexerzitien

Arbeitsruhe und Spekulationen

Für eine Woche ruht derzeit die Arbeit im Vatikan. Alle Staatsbesuche und Politikergespräche sind abgesagt, die Arbeitstreffen von Benedikt XVI. mit seinen Mitarbeitern entfallen. Die Fastenexerzitien sind für Päpste und Kuriale Zeit der Reflexion - und in diesem Jar Zeit für Spekulationen.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Selbst die Generalaudienz am Mittwoch für Pilger und Besucher aus aller Welt, die den Päpsten sakrosankt ist, findet diesmal nicht statt. Jedes Jahr zu Beginn der Fastenzeit ziehen sich der Papst und die Kardinäle, Bischöfe und höheren Prälaten der römischen Kurie zu geistlichen Exerzitien zurück. Freilich kümmern sich die Arbeitsstäbe der Behörden weiterhin um laufende Vorgänge.

Viermal täglich kommt die Kurienspitze in der mit modernen Mosaiken ausgestatteten Kapelle "Redemptoris Mater" zu Meditationen und liturgischen Stundengebeten zusammen. Gehalten werden die geistlichen Vorträge vom Salesianer-Professor Enrico dal Covolo, ein Experte für Alte Kirchengeschichte. Anlässlich des derzeit laufenden Priesterjahres spricht er über die geistliche Bedeutung von Priesterberufungen. Die Bestellung zum "Exerzitienmeister" des Papstes gilt als sehr ehrenvoll und ist mitunter ein Signal für neue Aufgaben.

Die Fastenexerzitien sind für Päpste und Kuriale stets eine Zeit der Reflexion. Johannes Paul II. hat während dieser Tage die meisten Eintragungen zu seinem "Testament" gemacht. Aber auch unmittelbare Vorgänge und praktische Planungen dürften Benedikt XVI. und seine Mitarbeiter beschäftigen.

Missbrauchsfälle in Irland und Deutschland
Da sind etwa die Missbrauchsfälle in Irland, über die die Vatikanspitze vergangene Woche mit den Bischöfen der Grünen Insel konferierte. Noch innerhalb der Fastenzeit will der Papst dazu einen Brief an die Katholiken des Landes richten. Sorgen machen im Vatikan aber auch die Nachrichten aus Deutschland. Dort wurden in den letzten Wochen zahlreiche Missbrauchsfälle bekannt.

Am Montag kündigte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, zum Auftakt der Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe in Freiburg an, man wolle den Missbrauchsskandal vor den Papst bringen. Er werde mit Benedikt XVI. persönlich bei einer Romreise im März über die Vorgänge sprechen, so Zollitsch.

Der "Fall Boffo"
Zudem spekulieren italienische Medien in diesen Tagen weiter über den "Fall Boffo" - über den Chefredakteur der bischofseigenen Tageszeitung "Avvenire", der nach "Enthüllungen" über eine angebliche Nötigung zurücktrat. Zwar hat der Vatikan in einer Klarstellung von ganz oben Behauptungen zurückgewiesen, belastende Dokumente gegen Boffo stammten letztlich von der Vatikanzeitung "Osservatore Romano". Aber die Hintergründe sind weiterhin schleierhaft.

Weiter mutmaßen Medien derzeit über bevorstehende Personalveränderungen in der Kurie. Fünf Kardinal-Minister haben die Pensionsgrenze von 75 Jahren bereits überschritten. Darunter sind die Präfekten der Kongregationen für die Bischöfe, Kardinal Giovanni Battista Re, den Klerus, Kardinal Claudio Hummes, und das Ordensleben, Kardinal Franc Rode. Weiter zählen die beiden deutschen Kurienkardinäle Walter Kasper und Paul Josef Cordes zu diesem Kreis. Zudem gilt der Missionsminister Ivan Dias (73) als gesundheitlich stark angeschlagen.

Seither stehen päpstliche Audienzgäste unter dem "Generalverdacht", es könnte sich um Nachfolger für vatikanische Spitzenpositionen handeln. Der australische Kardinal George Pell wurde nach seiner Papstbegegnung Anfang Januar als Anwärter für die Bischofskongregation gehandelt. Der Baseler Bischof Kurt Koch, so vermutete man Anfang Februar, könnte Kasper als Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen nachfolgen.

Allerdings war die gleiche Vermutung Mitte Januar bereits über den Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller geäußert worden. Und der Wiener Kardinal Christoph Schönborn, der auch Mitte Januar einen päpstlichen Audienztermin hatte, war wieder einmal mittelfristig für die Leitung der Glaubenskongregation im Gespräch - alles Spekulationen, die aus der Umgebung der Genannten sofort dementiert wurden. Aber derartige Entscheidungen werden während der Exerzitienwoche ohnehin nicht fallen.